Eurovision Song Contest:Jetzt lieber doch nicht

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Der NDR rückt nach Kritik von Xavier Naidoo ab. Vor allem die eigenen Mitarbeiter im Sender machten offenbar Druck. Das Ende vom Lied ist das aber noch lange nicht.

Von Hans Hoff und Claudia Tieschky

Den Eurovision Song Contest kürzt man allgemein mit "ESC" ab. Auf der Computertastatur steht ESC für die Escape-Taste. Genau die hat die ARD am Samstag gedrückt und die erst am Donnerstag stolz vom NDR vorgetragene Nominierung von Xavier Naidoo als deutschen ESC-Vertreter für 2016 zurückgezogen; raus aus dem Schlamassel ist man damit noch lange nicht.

Was zuvor geschah: Seit Donnerstag erhob sich eine heftige Erregungswelle. Besonders im Netz wurden Naidoo Antisemitismus, Verschwörungstheorien und Homophobie vorgeworfen und vieles, was der Mannheimer in seiner nicht selten konfusen Art je von sich gegeben hatte. Naidoo hatte unter anderem 2014 am Tag der Deutschen Einheit vor sogenannten Reichsbürgern gesprochen, die an ein Deutschland in den Grenzen von 1937 glauben. Naidoo sagt, "dass ich weder homophob noch irgendwie rechtsradikal bin", die Auffassung der Reichsbürger teile er auch nicht. Der Lesben- und Schwulenverband fand trotzdem, die Entscheidung sei "sehr schwer nachzuvollziehen". Künstler wie Til Schweiger und Michael Mittermeier solidarisierten sich dagegen mit Naidoo.

"Es war klar, dass er polarisiert, aber die Wucht der Reaktionen hat uns überrascht. Wir haben das falsch eingeschätzt", sagte der ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber vom NDR nun. Das Wir, das er meint, ist eher überschaubar. Wie einsam die Nominierung durch die NDR-Spitze wirklich war, wird erst langsam deutlich - unter anderem in den klirrenden Sätzen, mit denen sich der ARD-Programmdirektor Volker Herres in der Welt am Sonntag zitieren ließ: Er hätte es "begrüßt, wenn diese Diskussion ARD-intern hätte geführt werden können, bevor mit der Nominierung Fakten geschaffen wurden. So ist das alles sehr unglücklich gelaufen", sagte Herres, der sonst eher dafür bekannt ist, notfalls auch den größten Mist zu verteidigen, wenn er aus der ARD kommt. Doch diesmal war offenbar nicht mal Herres vorab informiert.

Vor allem aber hatte Schreiber seit Donnerstag massiv Kritik aus dem eigenen NDR bekommen. Weniger von Hierarchen - eingebunden in die Nominierung waren Intendant Lutz Marmor und Fernsehdirektor Frank Beckmann - sondern von NDR-Mitarbeitern. Die legten Donnerstagnachmittag einen Protestbrief vor, tags darauf gab es ein Treffen der Unterzeichner mit Beckmann und Schreiber, bei dem Äußerungen Naidoos zur Sprache kamen und bei dem auch Schreiber nachdenklich gewirkt haben soll. Wer den Unterhaltungschef kennt, ahnt, wie gewaltig der Druck gewesen sein muss, wenn er zurückzog.

Lange galt Schreiber als der Siegertyp, der im Herbst 2009 die ESC-Zusammenarbeit zwischen Stefan Raab, Pro Sieben und ARD eingefädelt hatte, bei der der deutsche Kandidat vom Publikum gewählt wurde. Nach dem Lena-Sieg 2010 in Oslo schien Schreiber unangreifbar, zuletzt musste er aber nicht nur miserable deutsche Platzierungen beim ESC wegstecken, sondern auch die Tatsache, dass der interne Rückhalt für die ESC-Unternehmungen nachließ. Naidoo hätte Aufmerksamkeit garantiert, muss man sich gedacht haben, das stimmte ja auch und ging trotzdem schief. Wer am 14. Mai zum Finale nach Stockholm fährt, ist vollkommen offen.

Naidoo schrieb bei Facebook, "das war der alleinige Vorschlag der ARD", den er nach reiflicher Überlegung zugesagt habe. "Wenn sich nun kurz nach unserer vertraglichen Einigung mit dem NDR und dem Abschluss aller Vorbereitungen die Planungen der ARD durch einseitige Entscheidung geändert haben, dann ist das ok für mich." Zur Frage, welche Verpflichtungen für die ARD durch diese Verträge bestehen, teilte der NDR auf Anfrage mit: "Verpflichtungen der ARD gibt es nicht." Über mögliche Verpflichtungen des NDR könne man derzeit "keine Angaben machen, da das Projekt nicht zustande kam und wir daher zunächst mit dem Management reden müssen".

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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