Klassenkampf - der Schulratgeber:Wenn Bürokratie den Unterricht verhindert

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Wenn Bürokratie Vertretungsstunden verhindert, sitzen Schüler allein im Klassenzimmer.

(Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)

Die Englischlehrerin ist dauernd krank, ihre Schüler sollen sich den Stoff selbst beibringen. Warum fallen an Schulen so viele Stunden aus und was kann man dagegen tun?

Von Matthias Kohlmaier

Die Leserfrage

Meine Tochter besucht die 6. Klasse einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen. Leider fällt seit geraumer Zeit der Unterricht im Kernfach Englisch im Durchschnitt dreimal pro Woche ohne adäquate Vertretung aus, weil die Lehrerin so oft krank ist. Die Kinder sind angehalten, Stoff selbständig zu erarbeiten, was in diesem Alter zwangsläufig zu hohen Defiziten führt.

Die Schulleitung sieht keine Möglichkeit, irgendetwas gegen das Problem zu tun. Auch das Schulamt, sagte mir der Rektor, würde nicht reagieren, bevor besagte Lehrkraft nicht mindestens vier Wochen am Stück krankgeschrieben ist. Was können wir tun, damit der Unterricht endlich regelmäßig stattfindet?

Die Antwort

Das Thema Stundenausfall steht schon seit einigen Jahren bei den Kultus- und Schulministern sehr weit oben auf der Prioritätenliste. In dieser Zeit hat sich tatsächlich eine Menge zum Guten gewendet. Überall, wo dazu Zahlen erhoben wurden, entfällt weniger Unterricht ersatzlos als noch vor einem Jahrzehnt. Dass die Maßnahmen allerdings im mitunter starren Schulsystem an ihre Grenzen stoßen, zeigt der von Ihnen beschriebene Fall.

Aus Sicht des zuständigen Ministeriums in NRW sehen die Zahlen sehr gut aus. Im Schuljahr 2014/15 sind nach der jüngsten Stichprobenuntersuchung nur 1,7 Prozent der Schulstunden ausgefallen. 2009/10 waren es noch 2,4 Prozent, 2003 gar 4,7 Prozent (die Eckdaten der Untersuchung finden Sie in diesem PDF).

"An vielen Schulen gibt es sehr gute Konzepte, um Unterrichtsausfall zu vermeiden und ein kontinuierliches Lernen der Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen", schreibt das NRW-Schulministerium auf Anfrage. Diese Konzepte zeichneten sich durch "Transparenz, Verlässlichkeit und Schülerorientierung aus". In Ihrem Fall wurde immerhin transparent gemacht, warum sich an der wenig zufriedenstellenden Situation nichts ändern lässt. Aber warum kann nicht einfach eine andere Lehrkraft für die kranke Englischlehrerin einspringen? Oder könnte man nicht wenigstens vorübergehend eine Vertretung engagieren?

Es ist kompliziert

Die Antworten auf beide Fragen sind kompliziert. Natürlich soll nicht irgendein Lehrer in die Klasse kommen, sondern einer, der Englisch studiert hat. Alle Lehrkräfte, die in NRW in Vollzeit arbeiten, sind aber von Schuljahresahresbeginn an mit ihrem Maximum von 25,5 Wochenstunden fix verplant. Da ist es kaum möglich, ad hoc eine langfristige Vertretung innerhalb des Kollegiums zu organisieren. Bedenken Sie die Komplexität eines Stundenplans für eine Schule mit zum Beispiel 1000 Schülern und 60 oder 70 Lehrenden.

Geld wäre da

Sollen sie doch eine Vertretung einkaufen, mögen Sie nun zu Recht fordern. Geld wäre da, wie das Ministerium erklärt: "Zur Vermeidung von Unterrichtsausfall stehen für alle Schulformen im Haushalt 2015 'flexible Mittel für den Vertretungsunterricht' in Höhe von 52,35 Millionen Euro zur Verfügung." Das Problem in der Umsetzung trägt einen sehr deutschen Namen: Bürokratie.

Denn die Mittel für eine Ersatzlehrkaft können von der Schulleitung erst angefordert werden, wenn die Englischlehrerin mehrere Wochen am Stück krankgeschrieben ist. Der Schulleiter Ihrer Tochter hat Ihnen also die Wahrheit gesagt. Selbst wenn das Geld bewilligt wird, muss erst einmal eine qualifizierte Lehrkraft gefunden werden, die sich für einen Vertretungsjob hergibt. Denn: Im Arbeitsvertrag eines solchen Vertretungslehrers steht, dass das Arbeitsverhältnis sofort endet, wenn der zu vertretende Kollege wieder gesund ist. Der Ersatzlehrer hat also keinerlei Sicherheit, ob er in der Woche drauf noch Arbeit haben wird. Darauf haben nur wenige Lehrer Lust.

Wie man dem Stundenausfall effektiv begegnen könnte, hat das Ministerium in NRW theoretisch bereits in einem seiner Konzepte formuliert. Vertretungsunterricht sei nur sinnvoll, "wenn Schülerinnen und Schüler über Kompetenzen verfügen, Angebote und Zeit des Vertretungsunterrichts produktiv zu nutzen. Dazu zählt die Fähigkeit, Lernprozesse mit abnehmender Unterstützung zunehmend selbständig und in eigener Verantwortung zu planen." Man müsste also darauf hinarbeiten, dass sich Schüler auch sinnvoll mit unterrichtsrelevanten Themen beschäftigen können, wenn der Fachlehrer krank ist. Wie Sie schon einwenden, dürfte das für Sechstklässler in einer Fremdsprache allerdings schwer umzusetzen sein.

Bleibt Ihre Frage: "Was können wir tun?" Die Antwort ist leider unbefriedigend: wenig. Den Schulleiter haben Sie bereits aufgesucht. Bessert sich nichts, sollten Sie der zuständigen Bezirksregierung schreiben und genau erklären, wann und wie oft der Unterricht entfällt. Die Verantwortlichen dort haken dann noch mal bei der Schulleitung nach und mit etwas Glück ändert sich etwas.

Dabei spielt auch eine Rolle, ob vielleicht mehrere Lehrer der Klasse bei schlechter Gesundheit sind. Ein langjähriger Schulleiter eines Gymnasiums in NRW, der seinen Namen hier nicht lesen möchte, meint dazu: "Falls die Klasse von Lehrerausfällen besonders belastet ist, wird der Schulleiter trotz Personalknappheit eventuell Lehrerstunden umschichten. Obwohl er damit zwangsläufig an anderen Stellen Engpässe produzieren muss."

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