Nepal:Fast wie ein Erdbeben

Women walk past houses that were damaged by an earthquake earlier this year, in Bhaktapur, Nepal

Die Trümmer der Beben von April und Mai zeichnen Nepal, nun lähmt unter anderem Benzinmangel den Wiederaufbau.

(Foto: Navesh Chitrakar/Reuters)

Eine Blockade an der Grenze mit Indien stranguliert den kleinen Nachbarn Nepal. Eine Lösung der Krise scheint derzeit unwahrscheinlich zu sein.

Von Arne Perras

Wer in Nepal einen Bypass am Herzen braucht, kann sich im "Shahid Gangalal Heart Centre" in Kathmandu operieren lassen. Normalerweise sind die Patienten bei den dortigen Spezialisten gut aufgehoben, aber was ist schon normal in diesen Tagen. Alles liegt lahm im Himalaya-Staat zwischen Indien und China. Und so müssen sogar lebenswichtige medizinische Eingriffe aufgeschoben werden. Ärzte schlagen Alarm, weil sie nicht mehr den nötigen Nachschub an Spezialmaterialien und Medikamenten bekommen.

Das Herzzentrum von Kathmandu bestätigte kürzlich, dass die Chirurgen die Zahl der Eingriffe deshalb um 40 Prozent herunterfahren mussten. Die Regierung versucht, Notrationen einzufliegen, doch noch ist davon kaum etwas zu spüren. Am Telefon ist Ram Shresta zu erreichen, der in Nepal das Dulikhel Hospital leitet und für seine Arbeit auch Spenden aus Deutschland bekommt. Der Chirurg klingt sehr besorgt. "Es wird jeden Tag schlimmer. Weil es so wenig Benzin gibt, schaffen es viele Patienten gar nicht hierher ins Krankenhaus." Seine Klinik ist auf Chirurgie und Geburtshilfe spezialisiert, aber es kommen jetzt weit weniger Frauen als sonst. "Viele haben keine Transportmöglichkeit", sagt er, weil nur noch wenige Busse fahren. Schuld an den verheerenden Verhältnissen ist eine Blockade der Grenze zum südlichen Nachbarn Indien, wo nun schon mehr als zwei Monate Stillstand herrscht. Nicht nur zahllose Lieferungen für Krankenhäuser stecken dort fest, sondern auch viel Treibstoff. Das kleine Land in den Bergen fühlt sich durch den großen Nachbarn stranguliert. Und Nepals Premier Sharma Oli warnt, dass die Auswirkungen der Blockade schon jetzt um ein vielfaches schlimmer ausfielen als die wirtschaftlichen Folgen des Erdbebens. Nach den Erdstößen am 25. April bezifferte die Regierung die ökonomischen Verluste auf 6, 8 Milliarden Dollar. Was die Grenzblockade das Land kosten wird, hat die Regierung aber noch nicht mit genauen Zahlen untermauert.

Spürbar ist die Krise für alle, neben Treibstoff und Medikamenten fehlt vor allem Gas zum Kochen. "Unsere Entwicklung hat einen massiven Rückschlag erlitten", urteilt die Nepali Times. Ausgelöst hat die Krise ein Aufstand im Süden, der sich gegen Nepals neue Verfassung richtet. Die Volksgruppe der Madhesis, die in Nepal wie in Indien leben, fühlt sich durch den Zuschnitt neuer Provinzen benachteiligt und politisch nicht genug vertreten. Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften starben seit Ende August Dutzende Menschen, auch am Wochenende gab es mindestens vier Tote.

Aufgebrachte Jugendliche blockieren seit Wochen die Straßen im Niemandsland zwischen beiden Staaten, viele Nepaler vermuten, dass Indien die Blockierer stützt. Delhi hat solche Vorwürfe stets zurückgewiesen. Doch ist offenkundig, dass die Beziehungen zwischen dem neuen Premier Oli und der Regierung in Delhi frostig sind.

Wo der Ausweg aus der Krise liegen könnte, weiß derzeit niemand

Hindu-nationalistische Kreise in Indien hatten gedrängt, dass die neue Verfassung das benachbarte Nepal als Hindu-Staat definiert, stattdessen haben sich die maßgebenden politischen Kräfte in Kathmandu dem Säkularismus verschrieben. Der seit Oktober regierende Premier Oli gilt zudem als Indien gegenüber eher distanziert. Als sich die Krise in Nepal zuspitzte, erklärt seine Regierung, man wolle künftig ein Drittel allen Benzins aus China einführen und nicht mehr allen Treibstoff wie früher aus Indien. Das klang verständlich, weil ja über Indien kaum noch etwas hereinkam.

Die Regierung Narendra Modis habe Nepal so aber geradezu in Pekings Arme getrieben, urteilt der in Indien geborene Analyst Tunku Varadarajan von der Stanford University. Er schob die provokante Frage hinterher: "Will Modi wirklich als der in Erinnerung bleiben, der Nepal an China verlor?" Wo der Ausweg aus dieser Krise liegt, kann derzeit keiner erkennen. Kreise westlicher Diplomaten stufen die Krise als "zunehmend düster" ein. Es könnte sein, dass Oli stürzt, wenn die Krise eskaliert. Doch ein Nachfolger, der Nepal beruhigen und die Beziehungen zu Indien verbessern könnte, ist nicht in Sicht.

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