Gala der Kritik:Von der Gegenkultur zum Kanon

"Texte zur Kunst" definiert neue Kunstbegriffe. Jetzt feiert das Magazin, das 1990 von Isabelle Graw und Stefan Germer in Köln ins Leben gerufen wurde, sein 25. Jubiläum.

Von Georg Imdahl

Das Cover der ersten Ausgabe schmückte ein Porträt von Clement Greenberg: Verschlagen schaut der Kritiker ins Objektiv, während er genüsslich an einer Zigarette zieht. Ein Mann -ein Kanon: Kein anderer Meinungsmacher hat in der Kunstgeschichte der letzten Jahrzehnte so tiefe Spuren hinterlassen wie der Apologet der Abstraktion in den 1950er und 60er Jahren. Wenn dessen Konterfei die Gründungsnummer einer neuen, linken Kunstzeitschrift bebilderte, konnte das nur eine Kampfansage bedeuten. Tatsächlich verschrieb sich das von Isabelle Graw und Stefan Germer 1990 in Köln ins Leben gerufene (seit dem Jahr 2000 in Berlin erscheinende) Magazin Texte zur Kunst der Revision akademischer Deutungsmuster - wie einer an Gattungen, namentlich der Malerei orientierten Kunstgeschichte, zumal dann, wenn deren geschichtliches Ziel im abstrakten Expressionismus der New York School bestehen sollte. Womit eben jene Hierarchie weißer, westlicher, maskuliner Künstler etabliert war, als deren Pate und Patriarch Clement Greenberg figurierte.

Dagegen galt es eine Kritik in Stellung zu bringen, die, wann immer sie über Kunst spricht, zugleich auch politische, ökonomische und soziologische Zusammenhänge benennt, jene "Produktionsverhältnisse", die auch in die Wahrnehmung von Kunst eingehen. Auch Popkultur und Medien flossen in den Diskurs ein, aus dessen Instrumentarien allzu essenzialistische Werkbegriffe ausgesondert werden sollten. Stattdessen gerieten psychoanalytische, feministische, institutionelle Fragestellungen in den Fokus, wofür die amerikanische Zeitschrift October ein Vorbild lieferte.

Jetzt, da Texte zur Kunst 25. Geburtstag feiert, finden sich die ersten Ausgaben in einer sehenswerten Ausstellung im Wiener Museum für moderne Kunst in einer Vitrine wieder - und sind also musealisiert. Die von Matthias Michalka kuratierte Schau unter dem sperrigen Titel "to expose, to show, to demonstrate, to inform, to offer" rekonstruiert noch einmal den zeitgeschichtlichen Rahmen einer in Köln und Wien virulenten Kunst um 1990, die damals verstärkt ihre Rahmenbedingungen ins Spiel brachte und Netzwerke knüpfte. Nicht zuletzt waren es die in Wien versammelten Arbeiten von Mark Dion, Fareed Armaly, Andrea Fraser, Renée Green, Christian Philipp Müller und Heimo Zobernig, die den kritischen Geist von Graw und Germer beflügelten.

Am Ende steht dann doch die große Geste

Als das Magazin jetzt in den Berliner Festspielen mit einer "Gala-Konferenz" sein Jubiläum beging, lag auch die druckfrische 100. Ausgabe aus, und siehe da: Wieder zieht Greenberg auf dem Umschlag an seiner Zigarette - Titel: "The Canon". Texte zur Kunst begann einst als Gegen-Kanon, verkörpert heute aber längst einen kritischen Kanon, ohne ihr Programm je so genannt haben zu müssen. Kanon gründet auf Bekenntnis, Argument, Autorität, er fordert Risiko, und je klarer seine Konturen gezeichnet sind, desto ergiebiger kann man sich an ihm abarbeiten.

Für die "Gala" und das jüngste Heft bat die Redaktion ihre langjährigen Mitarbeiter, Künstler seit dem Gründungsjahr 1990 für einen Kanon der Gegenwart vorzuschlagen - die Beiträge über Mike Kelley, Judith Hopf, Maria Lassnig, Rosemarie Trockel, Group Material, Sturtevant bestätigen die Linie des Magazins, sind aber eher paritätisches Sammelsurium als Kanon. Ihre Irritation gestand die Kölner Texte-zur-Kunst-Autorin Brigitte Weingart ein: "Am Ende ist es dann doch das Große der Geste (KANON!), das seine Aneignung nicht loswird."

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