Nein in Hamburg:Olympischer Sport strickt die Dolchstoßlegende

Olympia-Referendum in Hamburg

So hätte das geplante Olympiastadion auf dem Kleinen Grasbrook für die Olympischen Spiele 2024 in Hamburg ausgesehen. Visualisierung: KCAP | Arup | Vogt | Kunst+Herbert | gmp | Drees&Sommer | WES | ARGUS | bloomimages | on3studio | Luftbilder Matthias Friedel/dpa

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  • Das Nein der Hamburger zu einer Bewerbung für die Sommerspiele 2024 führt zu der Frage, warum es mit Olympischen Spielen in Deutschland nicht klappt.
  • Wie geht es mit dem organisierten Sport hierzulande weiter?

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Ende der Woche trifft sich der deutsche Sport in Hannover. Der Mitgliederkonvent steht an, geplant war er als Freudenfest; jetzt wird ihn große Niedergeschlagenheit prägen. Ähnlich wie am Sonntagabend im Hamburger Rathaus, als die Stimmenauszählung zunehmend einen Trend verfestigte und bald klar war: Olympia? Nein danke. Die Bevölkerung lehnt eine Bewerbung für 2024 ab. Deutschland und Olympia, das ist seit Langem die Geschichte eines Scheiterns. Berchtesgaden 1992: K. o. in Runde eins, unter sieben Kandidaten. Berlin 2000: K. o. in Runde zwei, mit nur neun Voten. Leipzig 2012: K. o. schon in der Vorauswahl, zur Endrunde gar nicht zugelassen. München 2018: eine haushohe Niederlage gegen Pyeongchang. München 2022: ein klares Nein der Bevölkerung. Und nun Hamburg: Erneut senkten die Bürger den Daumen, nur 48,4 Prozent waren dafür, 51,6 dagegen - bei einer Wahlbeteiligung von knapp mehr als 50 Prozent.

In den Spitzen von Politik und Sportpolitik fielen die Reaktionen zwar enttäuscht, aber noch vergleichsweise zurückhaltend aus. Doch diverse Athleten und Funktionäre gaben sich entrüstet. Von einem "Sargnagel für den Leistungssport", sprach die dreimalige Schwimm-Paralympics-Siegerin Kirsten Bruhn. Das Referendum gleiche einem "Dolchstoß für die Entwicklung des Hochleistungs- und Breitensports unterhalb des Fußballs in Deutschland", sagte der Präsident des Deutschen Volleyball-Verbandes, Thomas Krohne.

Nun wird heftig diskutiert: Warum klappt das nicht mit Olympia in Deutschland? Und wie geht's nun weiter mit dem (olympischen) Sport in Deutschland? Weil das eine eng mit dem anderen verknüpft ist, bedarf es einer ehrlichen Aufarbeitung. Doch zumindest die ersten Reaktionen deuten nicht darauf hin, dass die Verantwortlichen die Lage begriffen haben.

Ablenkungsmanöver des Sports ziehen beim Bürger offenbar nicht mehr

Wie schon nach früheren Pleiten, ist nun von Nörgelei, Kleingeisterei und Mutlosigkeit bei den Bürgern die Rede, das Wort von der angeblichen German Angst bei Großprojekten geht um. Andere finden die Gründe derweil in den erschwerten Bedingungen der Abstimmung. Die jüngsten Terrortage werden herangezogen sowie all die Herausforderungen, die durch die Flüchtlings-Problematik entstehen.

Das Kernargument aber für das Ergebnis des Referendums ist: das System Sport. Die Sportpolitik, das dreiste Treiben mancher Funktionäre und das wachsende Unbehagen, das die Menschen mit diesen autonomen Zirkeln haben. Sie halten den Sport für verrottet und korrupt - und dieses Unbehagen ist längst mit Händen zu greifen. So formulierte die Olympia-Gegnerin Judith Demba von den Naturfreunden Berlin angesichts der vielen Skandale im Fußball mit einer unüberhörbaren Süffisanz: "Wir bedanken uns bei der Fifa für die gute Mitarbeit. Der Skandal im Weltfußball-Verband hat beim Referendum eine große Rolle gespielt. Das hat zu einem großen Vertrauensverlust in der Bevölkerung gegenüber Sportverbänden geführt."

Dabei hat sich die olympische Welt eifrig an einer Art sportpolitischen Mülltrennung versucht, nach dem Motto: Dort der Fußball und die böse Fifa; wir hier bei Olympia und im IOC spielen den Part der Guten - und haben auch schon eine Reform-Agenda 2020 eingesetzt. Nur ziehen solche Ablenkungsmanöver nicht mehr so recht. Tatsächlich sind sich Fifa und IOC nahe wie eh und je. Diese sportpolitische Symbiose zeigt sich am besten am Beispiel Scheich Achmed Al-Sabah: Der war Königsmacher bei der Kür von Thomas Bach zum IOC-Chef 2013. Nun ist der Kuwaiter im Fifa-Vorstand und puscht den aussichtsreichsten Anwärter auf die Nachfolge Sepp Blatters, Scheich Salman (Bahrain). Von den formalen Strukturen her ist die Fifa sogar reformierter als das IOC. Auch zeigt der Umgang mit dem Doping-Skandal in der Leichtathletik, dem olympischen Kernsport, dass das Geschäft immer noch weit über der Moral steht.

Milliarden, die der Bund niemals bezahlt hätte

Bayern München - Borussia Dortmund

Nimmt die Dominanz von Fußball noch zu? Szene aus einer Partie FC Bayern gegen Borussia Dortmund

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Die Geschichte des deutschen Olympia-Scheiterns ist aber auch die Geschichte des Mannes, der an der Spitze des sportpolitische Systems steht: Thomas Bach. Bei allen sechs deutschen Kandidaturen war er in unterschiedlichen Rollen präsent. Wie heikel bei einem Olympier, der zum Throne strebt, so eine sportpolitische Interessenskonstellation aussehen kann, zeigte Münchens Kandidatur 2018. Sie war von Anfang an aussichtslos, weil klar war, dass Pyeongchang im dritten Anlauf den Zuschlag erhalten würde. Aber Münchens Kandidatur passte besser in Bachs persönliche Karrierepläne als eine durchaus aussichtsreiche Kandidatur für die Sommerspiele 2020 - denn die wurden auf derselben Session vergeben, auf der sich Bach zum IOC-Chef wählen ließ. Und zwei deutsche Sieger, das ist im Weltsport ausgeschlossen. Hamburgs Nein kommentierte Bach am Montag mit den Worten: "Wir sehen darin eine verpasste Chance für Hamburg und Deutschland." Aber auch für den IOC-Chef ist das Votum alles andere als ein Vertrauensbeweis.

Die deutsche Bewerbung hätte ihm gut als Beleg dienen können, dass die Spiele auch in aufgeklärten Demokratien noch Strahlkraft entfalten. Die deutschen Chancen waren von Anbeginn an überschaubar - wegen Amerikas Favoritenrolle und der Fußball-EM, die im selben Sommer in Deutschland stattfinden soll. Auch das dürfte bei dem Votum eine Rolle gespielt haben. Ebenso wie die ungeklärte Finanzierungsfrage. 7,4 Milliarden Euro hatten die Planer als Kosten veranschlagt. Hamburg wollte nur 1,2 Milliarden Euro bezahlen, der Bund die verbleibenden 6,2 aber nicht geben. Noch am Sonntagabend bestätigte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), dass es der Bund niemals bezahlt hätte.

Jetzt herrscht Katzenjammer. Die Niederlage von Hamburg wird manches im deutschen Sport verändern. Die Olympia-Bewerbung sollte eine große Reform des Leistungssports anschieben, mit dessen Resultaten die Verantwortlichen unzufrieden sind. Die DOSB-Spitze war auf mehr finanzielle Mittel und emotionalen Rückenwind aus. Stattdessen müssen jetzt die Verantwortlichen befürchten, dass der Stellenwert des olympischen Sports weiter abnimmt. "Ich fürchte, Deutschland wird nur noch Großereignisse im Fußball sehen", sagte die SPD-Politikerin Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag. In der Tat ist Deutschland trotz der Affäre rund um das Sommermärchen weiter der Favorit für die Austragung der EM 2024 - auch wenn der Interimspräsident des Deutschen Fußball-Bundes, Reinhard Rauball, nach dem Referendum mahnte: "Dieses Signal sollte der gesamte Sport in Deutschland sehr ernst nehmen."

Auch die demografische Entwicklung spielt gegen Olympia, bei der Jugend ist die Dominanz des Fußballs gegenüber der olympischen Welt noch gravierender als im Durchschnitt der Bevölkerung. Und wenn die Spiele von Rio de Janeiro 2016 erst absolviert sind, steht fernab des euro-amerikanischen Kernmarktes mit Pyeongchang 2018, Tokio 2020 und Peking 2022 ein asiatischer Dreierpack an, der kaum polyglotte Freudenfeste verspricht - und hierzulande die olympische Grundstimmung nicht heben dürfte.

Zugleich setzt im organisierten Sport eine Personaldiskussion ein: DOSB-Vorstandschef Michael Vesper muss die dritte Olympia-Niederlage in seiner Ägide moderieren. Sein Vertrag läuft nur bis 2016, bisher sah es so aus, als würde eine Olympia-Bewerbung ihm eine weitere Periode verschaffen, weil sein Netzwerk dem Sport helfen könnte. Das Argument fällt nun weg. Präsident Alfons Hörmann gab sich selbstkritisch: "Jeder von uns hat allen Grund darüber nachzudenken, was habe ich dazu beigetragen - bin ich Teil der Lösung oder des Problems?" Eigentlich ist es Brauch, solche Debatten im Hintergrund zu führen; beim Konvent in Hannover am Samstag könnte es nun eine Debatte auf offener Bühne geben.

Und wie geht es weiter mit dem Thema Deutschland und Olympia? Nach dem Hamburg-Votum dürfte sich für 2028 jede Debatte verbieten. Pläne für eine weitere rasche Kandidatur ließen sich der Bevölkerung nicht vermitteln. Dazu passt auch die IOC-Perspektive. Ein Nein aus demokratischen Gesellschaften ist für dessen Mitglieder zwar nichts Neues mehr; aber dass ein Sportland wie Deutschland binnen zweier Jahre erst für den Winter und dann für den Sommer die Spiele ablehnt, dürften viele Olympier auch sehr persönlich nehmen. Es ist schwer, Prognosen zu treffen, weil sich in der sportpolitischen Welt stets schnell alles ändern kann. Aber wenn die Deutschen über Olympische Spiele nachdenken, dann werden sie sich wohl auf 2032 konzentrieren. Diese Spiele werden 2025 vergeben, wenn Thomas Bachs Amtszeit vorüber ist und er zum Abschied seine IOC-Familie um einen Gefallen bitten könnte: die Spiele dorthin zu vergeben, wo sie jetzt sechs Mal nacheinander mit ihrer Bewerbung scheiterten: nach Deutschland.

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