Pflanzenschutzmittel:Glyphosat? Im Zweifel: Nein!

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Das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat wird auch eingesetzt, um Getreide schneller reif werden zu lassen.

(Foto: Bloomberg)

Über die krebserregende Wirkung von Glyphosat streiten angesehene Wissenschaftler. Keine gute Grundlage, um dessen Zulassung zu verlängern.

Kommentar von Silvia Liebrich

Der erbitterte Streit über das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat stellt die Politik vor ein großes Problem. Die EU-Kommission muss im nächsten halben Jahr darüber entscheiden, ob der Wirkstoff in der Europäischen Union zugelassen bleibt, ob seine Nutzung eingeschränkt oder ganz verboten wird. Was aber tun, wenn sich Experten völlig uneinig sind über die Risiken?

Während die einen sagen, das meistverkaufte Pestizid der Welt sei "wahrscheinlich krebserregend für Menschen", stellen die anderen fest, genau dies sei nicht der Fall. Die widersprüchlichen Urteile stammen von Vertretern der Wissenschaft, die durchaus einen Ruf zu verlieren haben. Bei den einen handelt es sich um die Krebsagentur IARC der Weltgesundheitsorganisation (WHO), bei den anderen um zwei Behörden, die Verbraucher vor gesundheitlichen Risiken schützen sollen: das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin (BfR), das die Analyse im Auftrag der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) erstellt hat.

Der Streit verunsichert viele Europäer

Der wissenschaftliche Streit verunsichert viele Europäer. Schließlich geht es bei Krebsrisiken nicht um Petitessen. Wie prekär die Lage ist, macht der Brandbrief deutlich, der am Dienstag EU-Gesundheitsminister Vytenis Andriukaitis übergeben wurde. Unterzeichnet haben ihn knapp 100 internationale Forscher, darunter auch einige, die für die WHO arbeiten oder gearbeitet haben. Die Forscher erheben schwere Vorwürfe gegen BfR und Efsa. Deren Bewertung enthalte schwerwiegende Mängel, sei in Teilen wissenschaftlich inakzeptabel und die Ergebnisse seien durch vorliegende Daten nicht gedeckt. Das BfR weist diese Vorwürfe zurück.

EU-Kommissar Andriukaitis darf und kann diesen Protest nicht so einfach vom Tisch wischen. Hier tragen nicht etwa Glyphosatkritiker oder Gentechnikgegner ihre Einwände vor, sondern die Wissenschaftler renommierter Forschungseinrichtungen. Ganz egal, wer recht hat: Es wäre grob fahrlässig, auf dieser Basis eine erneute Zulassung von Glyphosat auszusprechen. Die Vorwürfe müssen geklärt und ausgeräumt werden. Es steht zu viel auf dem Spiel, für Landwirte, Industrie und vor allem die Bevölkerung.

Bei Glyphosat geht es nicht um irgendein Pestizid. Das Mittel ist so etwas wie der Treibstoff der modernen Landwirtschaft. Wo das Mittel hingespritzt wird, wächst fast kein Kraut mehr. Landwirte schätzen den Stoff, weil er ihnen die Arbeit erleichtert, sie müssen nicht so oft über den Acker fahren und auch nicht so tief umgraben. Die Reife von Getreide lässt sich ebenfalls damit steuern.

Gewinne in Verbindung mit Gentech-Pflanzen

Hersteller wie der US-Agrarkonzern Monsanto, der das Mittel zuerst auf den Markt brachte, generieren Milliardenumsätze mit glyphosathaltigen Mitteln, vor allem in Verbindung mit Gentech-Pflanzen, die gegen den Wirkstoff resistent sind. Deren Anbau ist zwar in der EU weitgehend verboten, weltweit aber stark verbreitet. Doch die Hersteller dringen mit diversen Anträgen auf Anbauzulassungen auch nach Europa. Werden diese Pflanzen erlaubt, dürfte dies den Glyphosat-Einsatz weiter hochtreiben, und das würde eine noch stärkere Belastung für die Bevölkerung bedeuten.

Schon heute lässt sich Glyphosat im Urin von Menschen und vielen Lebensmitteln nachweisen. Anders als bei rotem Fleisch, das ebenfalls von der WHO als Krebsrisiko eingestuft wird, haben Verbraucher keine Wahl, ob sie das Mittel zu sich nehmen oder nicht. Deshalb kommt dem Staat hier eine besondere Sorgfaltspflicht zu, auch Vorsorgeprinzip genannt. Er muss seine Bürger vor den Risiken schützen, die sie nicht selbst beeinflussen können - wenn nötig, durch ein Verbot.

Die EU hat nun die Wahl. Sie kann die Ergebnisse von BfR und Efsa zurückweisen und eine Neuprüfung anordnen. Oder aber sie vertraut dem Urteil der Behörden und lässt Glyphosat für weitere zehn Jahre zu. Das wäre jedoch ein fatales Signal, nicht nur für die Bürger, sondern auch für die Glaubwürdigkeit der betroffenen Behörden, der WHO-Krebsforscher und der Wissenschaft insgesamt.

Die EU muss den Fall Glyphosat deshalb zum Anlass nehmen, die Risikoanalyse durch staatliche Behörden zu reformieren. Diese stützen sich derzeit vor allem auf Studien der Hersteller selbst. Viele dieser Studien sind nicht veröffentlicht und können von Außenstehenden nicht überprüft werden. Das ist aus Verbrauchersicht nicht akzeptabel. Risikostoffe müssen transparent und unabhängig untersucht werden. Bestätigen sich die Risiken von Glyphosat, darf es nur eine Option geben: Im Zweifel gegen das Gift und für den Schutz von Mensch und Umwelt.

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