Oper:Alles muss raus

Salome

Jochanaan, Opfer der entgrenzten Begierde Salomes, ist in der Stuttgarter Inszenierung so etwas wie ein passiver Selbstmordattentäter.

(Foto: A.T. Schaefer)

Kopf ab! In Stuttgart, und in diesen Zeiten, wirkt Richard Strauss' "Salome" verstörender denn je.

Von Helmut Mauró

Video-Bilder von Flüchtlingskolonnen im Hintergrund. Aufmüpfige, die gegen Polizei und Tränengas kämpfen, die Zäune niederreißen und einfach weitermarschieren. Die "Salome" des Bühnendramatikers Oscar Wilde und seines kongenialen Komponisten Richard Strauss ist eine Art Ein-Personen-Flüchtlingsstrom. Salome kann nicht zurück zu Vernunft und Menschlichkeit. Sie muss unbedingt diesen geheimnisvollen, gut aussehenden Einsiedler haben. Es ist ein entgrenztes sexuelles Begehren, das über die junge Frau hereinbricht, das sie steuert, das sie morden lässt.

Das kommt deutlich zutage in der neuen Produktion der Oper Stuttgart, inszeniert von Kirill Serebrennikov, der seit 1994 an den Bühnen von Rostow und Moskau inszeniert. Er hat eine sichere Hand für mehrschichtiges Erzählen und für ein Musiktheater, das sich bei ihm gleichberechtigt aus Wort, Schauspiel und Klangorganismus zu ungeheurer Kraft entwickelt. Selbst wenn er die raubeinige Salome aus ihrem schwarzen Punk-Look schält und in ein weißes Tutu und einen rosa Mickey-Mouse-Pullover steckt und sie sich wie eine Dreijährige auf die Couch werfen und mit den Fäusten auf das Leder trommeln muss: In dieser Annäherung an diesen gewaltigen Stoff steckt mehr, als das bildmächtige, multimediale Spektakel zunächst vermuten ließe.

Schier endlos erscheint einem der immer und immer wieder und immer lauter wiederholte Ruf "Ich will den Kopf des Jochanaan", und der durchdringende Sopran, die gewaltige, durchaus Wagner-taugliche Stimme der Simone Schneider überwältigt und raubt nicht nur Herodes den Nerv, der für ein erotisches Abenteuer mit seiner Stieftochter Salome dieser jede Wunsch erfüllen will, sondern sie massiert auch ausdauernd die Nerven der Zuschauer. Man sitzt da und wartet auf diesen abgeschlagenen Kopf, ist von der Vorstellung angeekelt wie Herodes und vom maßlosen Blutdurst dieser Frau fasziniert.

Warum hat er immer nur seinen Gott geliebt, nicht sie? Die Rache dafür wird monströs sein

Matthias Klink als Herodes ist jetzt gefordert, er muss seine Stieftochter von ihrem Wunsch abbringen, sie aus ihrem Wahn reißen, aber die ist längst auf Autopilot. Klink gibt wirklich alles und Großes, stellenweise glaubt man, es gelänge ihm, die wilde Frau zu versöhnen. Aus dem Orchestergraben tönen immer neue Höhepunkte, ein Meer aus harmonischen Volten und Klanginnovationen tost heran; man schwindelt. Salome wird den abgeschnittenen Kopf küssen. Sie wird den Triumph der Begierde über die Philosophie der Enthaltsamkeit, wie sie Jochanaan verkörpert, hinausschreien - sodass Herodes wirklich Angst bekommt und sie am Ende töten lässt. Es ist das einzig Humane, was er noch tun kann, so scheint es.

Die Regie changiert da sehr wirkungsvoll zwischen konkreter Anschauung und Abstraktion, der bluttriefende Kopf muss auf die Bühne, der Schleiertanz, mit dem Salome ihren Stiefvater verführt, muss dagegen nicht ausgetanzt werden, sondern findet im Körper des Herodes statt, im Kopf und sonstwo; plötzlich fallen alle gegenseitig über sich her, tanzen halbnackt Walzer, wälzen sich auf der Couch. Hinten reißt Angela Merkel die Arme hoch, im Video von der Fußball-WM. Oben, im Schlafzimmer, entkleiden sich zwei durchtrainierte Männer bis auf den weißen Slip und gesellen sich dazu. Sie werden später der eifersüchtigen Frau des Herodes ein wenig Entspannung bringen. Claudia Mahnke singt und spielt sie mit der Bosheit einer Frau, die ihren Mann einst wirklich geliebt hat und nun gegen die eigene Tochter konkurrieren muss. Aber sie wird später ihren Sieg feiern, wenn sie ihren Mann vor dem Wunsch der Tochter erzittern sieht, den Kopf des Propheten aufzutischen. Recht so, sagt sie, die Tochter habe richtig gehandelt. Denn Jochanaan habe auch sie weggestoßen, "mit Schimpf und Schande". Dieser Jochanaan (Johannes der Täufer), der mit seinem arabisch beschrifteten Stirnband aussieht wie ein IS-Kämpfer, nimmt kein Blatt vor den Mund. Er steht für seine Sache ein, lässt sich dafür einkerkern und foltern, er ist so etwas wie ein passiver Selbstmordattentäter. Er legt, trotz seines heiligen Ansinnens, das Böse in den Menschen offen und provoziert sie durch seine tatenlose Unangreifbarkeit umso mehr.

Er bekommt nicht einmal besondere musikalische Aufmerksamkeit, keine Arie,bleibt weitgehend verborgen, verschwiegen. Nur selten begehrt er auf gegen die Zumutung seiner Mitmenschen. Als Salome ihn aus dem Loch holen lässt, um mit ihm zu reden, um ihn von sich zu überzeugen, was ihrer Meinung nach durch ihre schiere körperliche Präsenz zwingend geschieht, da fegt Jochanaan das Geschirr vom Tisch und wird von den Wachen sofort zu Boden gerissen und in einen orangefarbenen Guantanamo-Overall gesteckt.

Salome, die ihm später allerhand an seinen abgeschnittenen Kopf werfen wird, die ihn anbrüllt, er habe immer nur seinen Gott gesehen und nicht sie, sonst hätte er sich in sie verliebt und nicht in seinen Gott, sie will ihn erst einmal nur ansehen, sich ihres sexuellen Begehrens, das sogleich zur Gier wird, versichern. Sie ist hin- und hergerissen zwischen Lust und Eitelkeit. Sie besingt seinen Körper, seine makellose Haut, beschimpft ihn sogleich als das Fleisch eines Aussätzigen, verliebt sich in seine Haare, zetert auch hier, will ihn küssen und darf es nicht. Herodes will das alles verhindern, achtet den heiligen Mann, huldigt dem heiligen Mann. Der stößt Salome von sich, das Orchester kichert dazu, die Schmach ist groß. Die Rache aber wird monströs sein.

Dirigent Roland Kluttig kann auch nicht mehr anders, als dem geballten Blech, Pauken, Trommeln, Holzbläsern und dem ganzen Rest des Orchesters freien Lauf zu lassen. Alles muss raus an aufgestauter Wut und Schadenfreude, an Gemeinheit und krachender Gewalt. Das Staatsorchester Stuttgart spielt kraftvoll auf, manchmal am Rande seiner Möglichkeiten, weichere Strauss-Töne sind selten, gleichwohl in Rücksichtnahme auf die akustischen Gegebenheiten und die ästhetischen Notwendigkeiten. Es wird nie überlaut oder plärrend, es bleibt immer Musik, in die Richard Strauss Figuren und geheime Beweggründe verwoben hat, in der er gottgleich vorhersieht und nachdenkt, anschiebt und kommentiert.

Für damalige Ohren mag einiges schrill und schräg geklungen haben und so verboten wie Oscar Wildes Sprechtheatervorlage, heute klingt diese Partitur stellenweise fast schon bieder. Die menschlichen oder teuflischen Abgründe dieses Stücks aber, die bleiben so erschreckend wie immer. Mit breitem Grinsen steht Salome an der Rampe und schmettert ihren Sieg heraus: "Ich habe ihn geküsst." Dass damit nicht nur ein Kuss gemeint ist, sondern die komplette Erniedrigung, das zeigt Serebrennikov hier so eindrucksvoll, wie man das kaum je gesehen hat.

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