Fifa:Festnahmen zersprengen die Fifa-Pläne

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  • Die US-Justiz ermittelt gegen 16 weitere Fifa-Funktionäre - die Verhaftung zweier Vize-Präsidenten überschattet das Vorstandstreffen in Zürich.
  • Der Plan, die WM von 32 auf 40 Teams aufzustocken, wird vertagt.
  • Die US-Justiz zielt unter anderem auf hochrangige Funktionäre in Brasilien. Zu den Beschuldigten zählt nach SZ-Informationen Verbandschef Marco del Nero.

Von Thomas Kistner, München/Zürich

Ein paar Dinge waren dann doch anders als am 27. Mai, beim ersten Zugriff der US-Justiz auf den Fußball-Weltverband in Zürich. Diesmal musste sich das Personal des Nobelhotels Baur au Lac nicht die Mühe machen, die festgenommenen Stammgäste mit aufgespannten Laken vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen beim Abtransport durch den Hintereingang. Diesmal ging's durch die Garage hinaus in die Auslieferungshaft, und die Polizeifahrzeuge hatten nun getönte Scheiben.

Ansonsten aber sind es Weiterungen derselben Ermittlung, die am Donnerstagmorgen in der Fußball-Hauptstadt Zürich zu zwei Verhaftungen von Fifa-Spitzenleuten geführt haben. Und wieder traf es Vizepräsidenten der Fifa, die den beiden Erdteilverbänden Amerikas vorsitzen: Juan Angel Napout aus Paraguay und Alfredo Hawit Banegas aus Honduras.

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Der Weltfußballverband baut seine Struktur um: Das Exekutivkomitee soll in eine Art Aufsichtsrat umgewandelt werden, der Präsident an Einfluss verlieren - und mehr Frauen in wichtige Positionen kommen.

Die beiden hatten ihre Ämter erst im Frühjahr übernommen - weil ihre Vorgänger in Haft sitzen

Erst vor sechs Monaten hatten die beiden die Regie in den Kontinentalföderationen Conmebol (Südamerika) und Concacaf (Nord- und Mittelamerika) übernommen. Nun wird auch ihnen die Annahme von Bestechungsgeldern in Millionenhöhe angelastet, die sie "als Gegenleistung für den Verkauf von Vermarktungsrechten im Zusammenhang mit der Austragung von Turnieren in Lateinamerika und von WM-Qualifikationsspielen erhalten haben", teilte das Schweizer Bundesamt für Justiz am Donnerstag mit. Die Straftaten seien laut Haftersuchen "teilweise in den USA abgesprochen und vorbereitet worden; zudem sind Zahlungen über US-Banken abgewickelt worden".

Das ist die Einstiegsluke für die US-Justiz, die schon im Mai sieben Fifa-Spitzenleute festsetzen ließen, von denen zwei bereits ausgeliefert wurden. Napout und Hawit lehnten nach ersten Einvernahmen ihre Auslieferung in die USA ab.

Hawit führt die Concacaf erst seit Ende Mai, nachdem Vorgänger Jeffrey Webb, bis dahin Favorit auf die Amtsnachfolge des (ebenfalls suspendierten) Fifa-Chefs Sepp Blatter, im Zug der ersten Zürcher Verhaftungswelle festgenommen worden war. Damals drückte Hawit tiefe Enttäuschung darüber aus, dass sein Verband erneut "Opfer von Betrug" geworden sei. Am Donnerstagabend gab US-Justizministerin Loretta Lynch bekannt, dass außer gegen Napout und Hawit noch gegen 14 weitere Funktionäre ermittelt werde. Staatsanwalt Roberto Capers ergänzte, es handele sich um "hohe Fifa-Offizielle mit Spitzenämtern" in Concacaf und Conmebol. "Die Zahlen sind erschütternd", sagte er. Die Liste der Beschuldigten veröffentlichte die Nachrichtenagentur AFP. Der Schock der neuerlichen Festnahmen in Zürich hatte dort auch Folgen für die Zusammenkunft der verbliebenen Vorstandsmitglieder.

Gegen acht Uhr wurden die 20 Funktionäre, darunter der deutsche Vertreter Wolfgang Niersbach, vom Hotel am See auf den Zürichberg ins Fifa-Hauptquartier chauffiert. Dort wurde in Windeseile alles für einen angemessen dezenten Medienauftritt eingerichtet. Denn eigentlich hatte, nach alter Sitte ohne Vorankündigung, eine Revolution auf der Agenda gestanden: die Aufstockung der Fußball-WM von 32 auf 40 Teams. Ein Coup, der mehr zufriedene Fußballnationen und noch mehr Geld für die Fifa-Kassen generieren sollte. Nun wurde er abgeblasen - weil er zu sehr an die klassische Fifa erinnert? Niersbach teilte mit, die Sache werde weiter geprüft. Asiaten und Afrikaner hätten sich besonders dafür eingesetzt. Anzunehmen, dass auch die zwei Verhafteten zugestimmt hätten, wenn für ihre Verbände mehr WM-Plätze rausgesprungen wären. Statt über Nacht das turnierkompatible 32er-Format zu sprengen und die WM auf 40 Teams aufzublähen, mussten nun andere Kernbeschlüsse getroffen werden. Während Interimspräsident Issa Hayatou (Kamerun) nach Zeugenberichten mit dem Schlaf kämpfte, winkte das Gremium die Vorschläge der neuen Reformkommission durch.

Die stammten weniger aus dem Gremium, dessen Mitglied Ahmad Al-Sabah (Kuwait) die Reformen sogar bis zuletzt hintertrieb, als aus der Feder von Domenico Scala. Der Fifa-Compliance-Chef hatte das schillernd besetzte Grüppchen wiederholt offen kritisiert. Die Reformpläne sind abgesegnet, sie brauchen aber eine Dreiviertel-Mehrheit im Kongress Ende Februar. Zudem fehlt es weiter an Spitzenfunktionären, die die neuen Ämter angemessen ausfüllen könnten. Aushilfs-Präsident Hayatou musste sich vor der Presse Fragen erwehren, was es mit den Korruptionsvorwürfen gegen ihn persönlich auf sich habe, die unter anderem schon im britischen Parlament erörtert wurden. Antwort: "Ich wäre nicht hier, lieber Freund, wenn das bewiesen wäre." Der langjährige Afrika-Chef beteuerte, er habe "nie einen Dollar" kassiert. Was das Internationale Olympischen Komitee anders sah, als es sein Mitglied Hayatou 2011 wegen einer Geldannahme sanktionierte.

Geld kann nun auch die Fifa gut gebrauchen. In Zürich sickerte durch, dass sie 2015 ein Jahresdefizit von rund 100 Millionen Dollar zu beklagen habe. Das erste dicke Minus seit 2001; damals war die Schmiergeldagentur ISL kollabiert, die sich die Rechte an den WM-Turnieren 2002 und 2006 erkauft hatte. Im laufenden Jahr nun hatte die Fifa juristische und administrative Sonderkosten, zugleich liefen ihr Sponsoren davon. Neu einsteigen will vorerst niemand. Und die verbliebenen Top-Partner - Visa, Coca Cola, McDonald's und die alten Getreuen von Adidas - hatten vor der Exekutivsitzung öffentlich gefordert, einen Reformprozess unter unabhängiger Überwachung einzuleiten.

Nun wird es nicht nur in der Schweizer "Ausschaffungshaft" eng. Die US-Justiz zielt unter anderem auf hochrangige Funktionäre in Brasilien. Zu den Beschuldigten zählt nach SZ-Informationen Verbandschef Marco del Nero, gegen den seit zehn Tagen auch das Fifa-Ethikkomitee ermittelt, sowie der langjährige Fifa-Vorstand Ricardo Teixeira. Letzterer gilt als eine der größten Skandalfiguren im Fifa-Dunst. Teixeira war als Schwiegersohn des Blatter-Vorgängers an der Fifa-Spitze, Joao Havelange, in hohe Fußballämter gelangt; bis heute verdient er üppig an Freundschaftsspielen der brasilianischen Selecao - obwohl er 2012 wegen Ermittlungen der heimischen Bundespolizei alle Posten abgegeben hatte und nach Florida verschwunden war. Von dort floh er im Mai zurück nach Brasilien, als die US-Justiz erste Festnahmen vornahm. Betroffen davon war auch Teixeiras engster Geschäftspartner, der eine Marketingagentur in den USA betrieb.

© SZ vom 04.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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