Vorwürfe gegen LKA-Beamte:Die unglaubliche Geschichte eines ehemaligen V-Manns

Vorwürfe gegen LKA-Beamte: SZ-Montage

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  • Der ehemalige V-Mann Mario F. erhebt schwere Vorwürfe gegen LKA-Beamte.
  • Sie hätten bei Straftaten weggesehen und ihn teilweise sogar bestärkt.
  • Die Kriminalpolizei ermittelt gegen sechs LKA-Beamte und rekonstruiert den Fall so, wie F. ihn schildert.

Von Olaf Przybilla, Würzburg

Natürlich kann das alles gar nicht wahr sein, was Mario F. da erzählt. Der Mann hat ein Vorstrafenregister wie einer, der sein Leben lang nichts anderes gemacht hat, als hauptberuflich Halunke zu sein. Er war Mitglied bei einer Rockergruppe, bei den Bandidos, die der organisierten Kriminalität zumindest sehr nahe steht.

Er war zur selben Zeit Spitzel fürs bayerische Landeskriminalamt (LKA), das ihn nach einiger Zeit zu einem ziemlich unzuverlässigen Zuträger und Lügner erklärte. Im Moment sitzt er in einem bayerischen Knast, vor einer Woche noch saß er in einem unterfränkischen Bezirkskrankenhaus ein, einer Drogentherapie wegen.

So einem muss man nicht glauben. Und schon gar nicht Storys wie diese, wobei F. im Gespräch ankündigt, dass nun etwas folge, das er zunächst selbst nicht habe glauben können. Es geht um seinen früheren Boss, den Chef einer bayerischen Gliederung der Bandidos. Er sei damals fast vom Glauben abgefallen, sagt F. in sanftem Sächsisch, als er mitbekommen habe, dass exakt dieser Mann beim Papstbesuch 2011 für Recht und Ordnung gesorgt habe. Als Sicherheitsdienstler.

Übrigens, schiebt er hinterher, auch bei Veranstaltungen eines Stadtverbands der Bayern-SPD habe sich dieser Mann mitunter um die Sicherheit gekümmert. Man müsse sich das mal vorstellen, sagt F., ein Ober-Bandido beim Papst und bei der SPD. Das mit dem Papst habe ihn so empört, dass er es gleich einem Mann vom LKA berichtet habe. Dem aber sei das herzlich egal gewesen. Darum müssten sich andere kümmern, habe er geantwortet.

Selbstverständlich kann das so auf gar keinen Fall gewesen sein. Oder doch? Wer sich mit dem Fall des Mario F. schon länger beschäftigen muss, neigt dazu, besser gar nichts mehr auszuschließen.

Was F. über das LKA sagt

Die Richter am Landgericht Würzburg haben seine Geschichten nicht geglaubt. 2013 war das, Mario F. musste sich wegen Drogenhandels verantworten. Der Prozess lief nicht gut für ihn. Nicht nur, dass er am Ende zu fast sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Er ging auch als notorischer Lügner aus dem Prozess.

Auch da hatte er schon seine Geschichten erzählt: Dass er am Drogenhandel überhaupt nicht interessiert war. Sondern als LKA-Spitzel - als V-Mann, wie Fachleute in der Branche sagen - auch an kriminellen Aktionen habe teilnehmen müssen, weil er sonst ja gleich hätte sagen können, dass er ein Spitzel ist und kein Bandido. Dass seine V-Mann-Führer das gedeckt, gebilligt und sogar forciert hätten. Und er es als Unverschämtheit empfinde, dass die LKA-Leute nun in Abrede stellten, dass er in Sachen Drogenbekämpfung unterwegs gewesen sei.

Etliche LKA-Beamte haben im Prozess ausgesagt. Alle widersprachen den seltsamen Geschichten. Auf Akten, die F. womöglich entlastet hätten, konnten die Richter nicht zugreifen. Die wurden vom Innenministerium gesperrt. Geheimsache F.

Warum die Kriminalpolizei gegen LKA-Beamte ermittelt

Inzwischen ermittelt die Kriminalpolizei gegen sechs LKA-Beamte. Zwei davon sind Führungsbeamte, auch sie sollen gewusst haben, dass F. Straftaten begeht. Stimmt das so, hätten sie das den Kollegen von der Polizei melden müssen. Im Jargon der Branche heißt das: Legalitätsprinzip.

Warum die Kriminalpolizei mit Akribie gegen bayerische LKA-Beamte ermittelt, ist eine eigene Geschichte. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Der Aktenlage nach zu urteilen, müssen sich Kriminalbeamte und LKA-Leute gehörig in die Quere gekommen sein. Die Kripo-Beamten legen den LKA-Männern wohl zu Last, dass sie ihnen mit ihrer V-Mann-Wichtigtuerei ins Handwerk pfuschten. Dass sie Ermittlungserfolge verhinderten, weil sie den Spitzel warnten. LKA-Männer scheinen für Kripo-Beamte Schnösel aus München zu sein, die sich um provinziellen Drogen-Kleinkram einen Dreck scheren. Denen es wichtiger ist, ihren V-Mann, einen Berufskriminellen, bei Laune zu halten.

Nachdem F. in Haft war, fingen Kriminalpolizisten an, gegen Kollegen vom LKA zu ermitteln. Sie glauben inzwischen herausgefunden zu haben, dass LKA-Leute mindestens in einem erheblichen Fall genau wussten, dass F. maßgeblich am Diebstahl von Minibaggern in Dänemark beteiligt war. Trotzdem sollen LKA-Beamte geschwiegen und sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Polizei im Dunkeln darüber gelassen haben, wohl um ihren V-Mann zu schützen. Auch sollen sie, um das zu verschleiern, Akten bewusst und systematisch gefälscht haben.

Worum es bei den Ermittlungen geht

Noch sind es nur Ermittlungen, die gegen sechs LKA-Beamte geführt werden. Aber die Ermittlungsergebnisse sind äußerst präzise. Sie lassen die Prognose zu, dass die LKA-Leute gute Argumente finden müssen, um ihr Handeln in der Causa Minibagger zu erklären. Es geht um den Verdacht der Strafvereitelung im Amt. Im Landeskriminalamt kursierte in der Führungsebene ein Papier, demzufolge im Fall der gestohlenen Bagger "keine schlafenden Hunde" geweckt werden sollten. Auch werden LKA-Beamte ihre Aussagen im ersten Prozess gegen F. erklären müssen. Dass sie dort nicht ausschließlich die Wahrheit gesagt haben, steht zumindest deutlich im Raum. Falsche Zeugenaussagen, womöglich sogar abgesprochene, vor Gericht?

Das wäre keine Kleinigkeit. F. hat die Geschichte mit den Baggern immer schon so erzählt, wie es inzwischen auch die Kriminalpolizei rekonstruiert zu haben glaubt. Er habe sich für die Bandidos auf den Weg nach Dänemark gemacht, habe dort Bagger verfrachtet, alles mit Wissen des LKA. Er sei dann, nachdem er wegen eingebauter Sender in den Baggern festgenommen wurde, gleich wieder freigelassen worden. Obwohl die Beweise, dass er mit dem Diebstahl was zu tun gehabt hat, erdrückend gewesen seien.

Wer lügt da also, und wer sagt die Wahrheit? Vor allem aber: Stimmen womöglich auch andere Details, die F. über sein Leben als V-Mann seit Jahren erzählt, ohne dass ihm das einer glauben wollte oder gar irgendwo aufgeschrieben hätte? Sogar das mit der SPD und dem Papst?

Wer Mario F. ist

Mario F. wurde am 15. April 1967 in Köthen, Sachsen-Anhalt, geboren. Nach der Wende ließ er so ziemlich nichts aus, was man als mittelschwerer Krimineller so machen kann. Der Bundeszentralregisterauszug vom 6. Juni 2012 enthält 13 Einträge, vom fahrlässigen Vollrausch über Beihilfe zur Untreue, fortgesetzte gemeinschaftliche Hehlerei bis hin zum Betrug.

Nach einer Haft 2009 habe er sich gedacht, dass das alles nicht so weitergehen könne. Ein straffreies Leben war nun sein Ziel, und weil ihm ein LKA-Mann namens Tom geraten hatte, sich doch mal zu melden, machte er das. Er bekam dann zwei, wie man so sagt, V-Mann-Führer zugeteilt.

Nebenher musste er aber noch was anderes machen, also übernahm er einen abgehalfterten Club in Amberg. Eine Stange zum Tanzen hatte das Haus und Separees, aber "keine Genehmigung mit Zimmerbetrieb", klagt F., es war schwierig. Immerhin wurde er von Razzien verschont, er war ja jetzt V-Mann. Mitunter statteten ihm V-Mann-Führer einen Besuch ab in der Geschäftszeit, ohne jedoch, das betont F., mit Frauen aufs Zimmer zu verschwinden. Unterm Strich war sein Leben als V-Mann in dieser Zeit aber eher unergiebig. Als V-Mann war F. ein kleiner Fisch.

Warum die LKA-Leute an Mario F. lange festhielten

Das änderte sich, als er an einer Theke in Plattling mit einem Bandido ins Gespräch kam und das den LKA-Leuten erzählte. Die reagierten euphorisch, was F. gar nicht in den Kram passte. Ein Rocker war er nie, sagt er, deren Leben sei ihm völlig fremd. Er lebe lieber in Hotels "als ungeduscht auf einer Isomatte zu liegen".

Aber er fügte sich, wurde Chauffeur eines bundesweit agierenden Bandido-Bosses und besorgte osteuropäische Prostituierte für Bordelle in der ganzen Republik. So kam er besser an Informationen ran, das LKA wurde immer euphorischer. In den Akten finden sich Lobreden über den V-Mann. So nah sei man dem harten Kern der Bandidos noch nie gewesen, jubelte das LKA.

Aber es gab auch Ärger, sagt F. Das LKA habe ihm nicht nur den Wagen, sondern auch eine Tankkarte gestellt. Die drückte er mitunter dem Bandido-Boss zum Bezahlen in die Hand, um selbst aufs Klo gehen zu können. Er machte das aber nur so lang, bis er auf einer Tank-Quittung eine Angabe über den Rechnungsempfänger entdeckte: Bayerisches Landeskriminalamt. Die Bandidos, schimpft F., hätten ihn gemeuchelt, wenn sie das entdeckt hätten.

Warum sich das LKA laut F. letztendlich von ihm distanzierte

Zum Bruch kam es dann bei einem Drogendeal in Tschechien, für den F. Fahrtkosten abgerechnet habe. Er hält das für ein ziemlich starkes Indiz, dass das LKA von dem Geschäft wusste und es deckte. Ärger gab es bei dem Deal, weil ihm die LKA-Leute gesagt hätten, er möge den Stoff in der Stoßstange des Wagens verstecken. Dann könne er an der Grenze, sollte er kontrolliert werden, sagen, das habe ihm einer da reingesteckt.

Aus Bequemlichkeit steckte F. den Stoff aber in die Unterhose. Er wurde kontrolliert, die LKA-Männer mussten ihn rausholen und waren mächtig sauer. Vor allem musste F. den Bandidos erklären, warum er so glimpflich davon kommt, obwohl er doch mit Drogen erwischt wurde. Das LKA distanzierte sich von F. Ihm wurde der Prozess gemacht: knapp sieben Jahre wegen Drogenhandels.

Nur dieser unfassbare Prozess, sagt F., treibe ihn dazu, seine Geschichte so genau zu erzählen. "Ich bin ja nicht freiwillig lebensmüde", sagt er. Wenn er rauskomme aus dem Knast, wolle er eine neue Identität, um der Rache der Bandidos zu entgehen. Bislang wurde das aber abgelehnt.

Zu Jahresbeginn berichtete Mario F. von einem Spaziergang im Bezirkskrankenhaus Werneck, bei dem er einen Schuss gehört haben will. Womöglich einen Warnschuss, sagt er. Die Polizei stellte die Ermittlungen ein. Wieder ein Beitrag aus dem schier unbegrenzten Geschichtenfundus des Mario F.? Es gibt einen Zeugenbericht eines Mannes, der mit F. Hofgang hatte. "Es war auch für mich deutlich zu hören, dass es sich um einen Pistolenschuss handelte", schreibt er. Gemeinsam mit einer Klinikangestellten sei man ins Haus geflüchtet. Das muss so nicht gewesen sein, womöglich war der Ton gar keine Schuss. Ausschließen aber kann man es nicht.

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