Proteste in Österreich:Worum geht es in der Debatte um Halal-Fleisch?

Die Rückrufaktion einer Supermarktkette sorgt für Aufregung, Rechte geben sich tierlieb und machen Stimmung gegen Muslime. Fragen und Antworten.

Von Markus C. Schulte von Drach und Sophie Burfeind

Nur wenige Wochen bot die Supermarktkette Spar in Wiener Filialen Halal-Fleisch zum Verkauf an, am Mittwoch verkündete sie, die Produkte wieder aus den Regalen zu nehmen. Der Grund: heftige Kritik im Netz. Der Kette wurde Tierquälerei vorgeworfen. Rechte Gruppen mischten sich in die Debatte und nutzten sie, um Hetze gegen Muslime zu betreiben. Nun wird Spar wiederum vorgeworfen, vor Tierschützern und Fremdenfeinden eingeknickt zu sein. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema:

Was ist Halal-Fleisch?

Fleisch, das als halāl bezeichnet wird, ist für Muslime "erlaubtes" Fleisch. Es zeichnet sich dadurch aus, dass die Tiere dafür mit einem Schnitt durch die Kehle getötet werden. Diese Form des Schlachtens wird "Schächten" genannt, sie führt dazu, dass ein Tier weitgehend ausblutet. Damit soll gewährleistet werden, dass Muslime das im Koran enthaltene Verbot des Verzehrs von Blut einhalten können, wenn sie Fleisch essen. Auch für gläubige Juden ist der Verzehr von Blut verboten. Deshalb essen sie nur Fleisch von Tieren, die geschächtet wurden, und das deshalb als "koscher" gilt.

Gemeinhin findet Schächten ohne Betäubung der Tiere statt. Unter den Gläubigen beider Religionen ist allerdings umstritten, ob ein Tier, das betäubt wurde und nach einem Kehlschnitt ausblutet, ebenfalls als koscher oder halal gilt.

Manche akzeptieren etwa eine elektrische Betäubung unmittelbar vor dem Kehlschnitt oder direkt danach. So ist "Diarel", ein von der EU gefördertes internationales Projekt von Wissenschaftlern, gemeinsam mit europäischen und ägyptischen muslimischen Fachleuten zu dem Schluss gekommen, dass für Muslime eine Betäubung akzeptabel sein kann, wenn das Tier dadurch nicht stirbt, bevor es ausgeblutet ist.

Ein Bericht der Bar Ilan Universität in Israel für das "Diarel"-Projekt kommt dagegen zu dem Schluss, dass Betäubung von Schlachttieren unter jüdischen Rabbinern kein Thema ist: "Um zu gewährleisten, dass das Tier im Augenblick des Schlachtens wirklich lebt und gesund ist, ist es essentiell, dass es bei Bewusstsein und nicht anästhesiert oder betäubt ist", schreibt Wissenschaftler Ari Zivotofsky.

Darf geschächtet werden?

Deutschland

In Deutschland verbietet das Tierschutzgesetz in Paragraf 4 das Töten eines Wirbeltiers ohne Betäubung - außer etwa durch die Jagd. Allerdings haben die zuständigen Behörden die Möglichkeit, Ausnahmegenehmigungen für das Schächten zu erteilen. Geschächtet werden darf, wenn die Methode erforderlich ist, um "den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen".

Ausnahmegenehmigungen werden nur für sachkundige Personen erteilt, die auf einem registrierten Schlachthof arbeiten. Der Ablauf muss durch das Veterinäramt überwacht werden und das Fleisch darf ausschließlich Mitgliedern der betroffenen Glaubensgemeinschaften überlassen werden.

Österreich

Schlachttiere dürfen nur ohne vorausgehende Betäubung getötet werden, wenn dies wegen "zwingender religiöser Gebote oder Verbote einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft notwendig ist" und die eine entsprechende behördliche Bewilligung erteilt worden ist. Das ist nur möglich, wenn sichergestellt ist, dass ausgewiesene Fachleute schlachten, ein Tierarzt anwesend ist und "die Tiere unmittelbar nach dem Eröffnen der Blutgefäße wirksam betäubt werden".

Dieses Vorgehen wird als "post-stunnig-cut" bezeichnet. Es wird allerdings von manchen strenggläubigen Muslimen und Juden nicht als korrekte Schächtung akzeptiert.

Und was sagen Tierschützer?

Für den Deutschen Tierschutzbund ist Schlachten ohne Betäubung Tierquälerei. Daher fordert der Verband schon seit Jahren, die in Deutschland geltenden Ausnahmegenehmigungen abzuschaffen. "Wenn Tiere betäubunglos geschlachtet werden, leiden sie deutlich stärker. Für sie ist es ein Todeskampf. Das ist heute nicht mehr zeitgemäß, weil es Alternativen gibt", sagt ein Sprecher des Verbands. Ziel müsse es sein, das Leid der Tiere beim Schlachten durch Betäubung so weit wie möglich zu verringern.

Wie nutzen Rechte die Tierschutz-Debatte?

Auf Facebook waren in der Debatte um die Halal-Produkte bei Spar auch solche Kommentare zu lesen: "Und mit Halal-Zertifikat kann man sich auch sicher sein, den Dschihad direkt mitzufinanzieren. Danke, Spar!" Auch sonst versuchen Rechtsextreme stärker denn je, mit dem Thema Tierschutz neue Anhänger zu gewinnen und fremdenfeindliche Ideologien zu verbreiten. Die NPD etwa fordert regelmäßig ein Verbot des Schächtens - vordergründig zum Schutze der Tiere. Wie sich in der aktuellen Debatte um Spar in Österreich zeigt, geht es aber vor allem darum, Stimmung gegen Muslime zu machen.

Gerade weil grüne Themen wie Vegetarismus, Veganismus, Tierschutz und Bio derzeit so angesagt sind und viele junge Leute ansprechen, nutzen rechtsgesinnte Gruppierungen diese Themen für sich. Für den Typ Neonazi, der mit Jutebeutel auf Tierschutzdemos geht und vegan lebt, gibt es mittlerweile eine eigene Bezeichnung: den "Nipster". Eine Zusammensetzung aus Hipster und Nazi. Gerade weil Teile der Tierschutzszene ideologisch recht offen sind, ist es für Rechte mitunter leicht, dort Eingang zu finden.

Schon die Nationalsozialisten nutzten den Tierschutz zu Propagandazwecken. 1933 wurde das sogenannte "Reichstierschutzgesetz" erlassen. Damit wurde Schächten unter Strafe gestellt - laut Gesetz mussten warmblütige Tiere vor dem Schlachten betäubt werden, Ausnahmen waren nur bei Notschlachtungen erlaubt. Dieses Gesetz richtete sich gegen Juden, es schränkte ihre religiöse Freiheit ein.

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