Misstrauen:"Man weiß ja nie"

Misstrauen: Im Bus sitzen die Leute am liebsten alleine oder neben Menschen, die sie kennen - oder die ihnen zumindest ähnlich sehen. Zeichnung: Jan Reiser

Im Bus sitzen die Leute am liebsten alleine oder neben Menschen, die sie kennen - oder die ihnen zumindest ähnlich sehen. Zeichnung: Jan Reiser

Menschen sind erst mal misstrauisch, wenn sie jemanden nicht kennen. Sie fühlen sich unsicher, wenn ihnen ein Fremder begegnet. Warum ist das so? Und kann man daran etwas ändern?

Von Christina Berndt

Warum sind Menschen erst mal misstrauisch, wenn sie jemanden nicht kennen?

Jeden Tag trifft man Menschen, die man noch nie gesehen hat. Beim Bäcker gibt es eine neue Verkäuferin, im Hort hat schon wieder die Erzieherin gewechselt, und im Bus fahren sowieso dauernd Leute mit, die man nicht kennt. Wenn die sich neben einen setzen, ist einem oft erst mal ein bisschen mulmig. Und der neuen Erzieherin mag man vielleicht gar nicht ins Gesicht schauen. Wer nicht gerade ein Draufgänger oder besonders offen und neugierig ist, der kann sich in Gegenwart unbekannter Menschen ganz schön unwohl fühlen.

Warum ist das bloß so? Auch wenn wir es nicht gerne zugeben: Wir haben wahrscheinlich einfach Angst. Das heißt nicht, dass wir am ganzen Körper zittern, weil wir befürchten, diese unbekannten Leute würden uns schlagen oder etwas Gemeines sagen. Aber wir sind doch unsicher: Man weiß ja nie. Weil wir diese Leute nicht kennen, können wir sie nicht so gut einschätzen. Wir halten es für wahrscheinlicher, dass sie unangenehm werden, als bei Menschen, die wir kennen. Wir fühlen uns wohler mit Freunden oder bei der Frau, die früher beim Bäcker arbeitete und immer so lustig war.

Und manche Leute bekommen allein deshalb einen Vertrauensvorschuss, weil sie uns bekannt vorkommen. Deshalb setzen wir uns in der U-Bahn am liebsten neben Leute, die uns ähnlich sehen. Kein Witz! Das geht sogar so weit, dass wir lieber neben jemandem mit Jeans und lässigen Klamotten sitzen, wenn wir uns auch so kleiden, und lieber neben langhaarigen Mädchen, wenn wir selbst lange Haare haben. Brillenträger setzen sich sogar bevorzugt neben Brillenträger, haben Psychologen von der kanadischen Wilfrid Laurier University in Ontario vor wenigen Jahren herausgefunden. Das klingt verrückt, aber offenbar glauben wir, dass wir vor ähnlich aussehenden Menschen nicht so viel Angst haben müssen. Wir denken, dass sie so ähnlich ticken wie wir. Wir meinen zu wissen, wie sie denken und wie sie reagieren. Menschen teilen Menschen gerne in Gruppen ein. Sie stecken sie gedanklich in Schubladen. "Das hilft bei der Orientierung in einer ansonsten unübersichtlichen Welt", sagt der Sozialpsychologe Ulrich Wagner von der Universität Marburg.

Aus den gleichen Gründen haben wahrscheinlich auch so viele Leute Vorbehalte gegenüber Menschen aus fremden Ländern. Doch auch wenn das Gefühl vielleicht ganz natürlich ist - unabänderlich ist es nicht. Wir können lernen, fremde Menschen nicht in Schubladen zu stecken und keine Angst vor ihnen zu haben. Dazu müssen wir die Fremden einfach nur kennenlernen. Dann merken wir ja: Sie tun uns nicht häufiger etwas Böses als Leute, die uns ähnlich sehen.

Aus Angst wird Unsinn

Menschen begegnen Fremden zunächst mit Unsicherheit. Das Problem ist: Viele versuchen, für ihr Gefühl der Unsicherheit logische Gründe zu finden. Sie wollen nicht von ihren Gefühlen getrieben sein, und Angst geben sie schon gleich gar nicht gerne zu. Wir können mit Unsicherheitsgefühlen nicht gut umgehen, sagt der Sozialpsychologe Ulrich Wagner. "Wir suchen dann nach Informationen, um diese erklären und beherrschen zu können." So kommt es, dass viele Menschen glauben, Flüchtlinge seien kriminell, sie würden klauen oder noch schlimmere Dinge tun. Dabei sind unter Fremden, das zeigen Untersuchungen, auch nicht mehr Verbrecher als unter Einheimischen. Die Angst vor fremden Menschen ist, mit dem Verstand betrachtet, also totaler Quatsch.

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