Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan:Deutsche Lebenslügen

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Die Afghanistan-Woche hat der Bundesregierung und auch der Nato gezeigt, dass sie ihre Lebenslügen auf Dauer nicht aufrechterhalten können. Es wird Zeit für ein paar ehrliche Worte: über die Tabus der Deutschen, den Realismus der Nato und über das, was für Afghanistan wirklich nötig wäre.

Stefan Kornelius

Sicherheit ist eine feine Sache. Wer Geld auf dem Konto und ein Dach über dem Kopf hat, wer geborgen ist durch Familie und Freunde, wer sich der Arbeit und seinen Leidenschaften widmen kann, der ist sich seines Lebens sicher.

Umstrittener Einsatz: Bundeswehrsoldaten in Afghanistan (Foto: Foto: AP)

Risiken lassen sich zwar nicht ausschließen, aber für ein angstfreies Dasein kann gesorgt werden: von Versicherungen, von Banken, vom Arbeitgeber und natürlich vom Staat, der die Gewährleistung von Sicherheit als eine seiner vornehmsten Aufgaben ansehen muss. Ohne Sicherheit kein Vertrauen, ohne Vertrauen keine Stabilität, ohne Stabilität kein wohlwollender, im besten Fall demokratischer Staat, ohne Staat Anarchie und Willkür.

Das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen beschränkte sich lange auf das Leben in den eigenen vier Wänden. Alles, was sich innerhalb der Landesgrenzen abspielte, wurde mit großer Akribie gewogen. Der Staat und die innere Sicherheit - vor allem die materielle, aber auch die polizeiliche - stehen im Mittelpunkt leidenschaftlicher Auseinandersetzungen.

Dabei wurde stets als selbstverständlich akzeptiert, dass die Sicherheit von außen nicht beeinträchtigt wird, dass Deutschland gut aufgehoben ist unter Freunden und Nachbarn, und dass die Wirtschaft stark genug ist, um das Land zum Exportweltmeister zu machen. Das ist die Idealvorstellung der Deutschen von ihrem Leben in Sicherheit und ihrer Rolle in der Welt.

Die Entstehung der Scheuklappenmentalität

Dieses eher passive Rollenverständnis hat seine Ursache in der verständlichen außenpolitischen Entmündigung nach dem Zweiten Weltkrieg. Außen- und Sicherheitspolitik wurde von anderen übernommen - zunächst von Besatzungsmächten, dann von Bündnissen.

So entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte ein sehr positives Verständnis von Multilateralismus in Deutschland, ohne den die Europäische Union nicht hätte entstehen können. Zyniker sprachen gar von einem post-nationalen Deutschland, derart selbstlos und scheinbar interessenfrei trat die Politik auf.

Allerdings entstand so auch eine Scheuklappenmentalität. Ausgeblendet blieben Probleme, die nicht in das deutsche Konzept passten. So wuchs eine Tabuzone, eine politische no-go-area, in deren Kern das Thema Kampfeinsatz zu finden ist.

Wird, wie in den vergangenen Tagen, eines dieser Tabus berührt, dann wird die Reaktion unberechenbar, ja gefährlich. Dann geht es nicht nur um die Aufgaben der Soldaten in Afghanistan oder die beste Strategie zum Aufbau einer Zivilverwaltung im umkämpften Süden. Nein, dann geht es gleich um den Abzug, um das militärische Selbstverständnis der Bundeswehr, um Sinn und Zweck des Nato-Bündnisses insgesamt.

Ein bekannter Reflex

Bei solchen Debatten tritt ein gerüttelt Maß an Irrationalität, sogar ein Hang zur Panik zutage. Die Politik trägt dazu bei, weil sie aus Furcht schweigt. Es war die Kanzlerin, die dem Begehren anderer Nato-Staaten widersprach, den Einsatz der Bundeswehr auszuweiten. Sie tat dies nicht aus Sorge um das Wohl der Soldaten, sondern aus Angst vor dem politischen Gegner - denn der könnte ja den schwachen Konsens über Bündnis und Einsatz aufkündigen und das Ganze zu Wahlzwecken instrumentalisieren.

Deutschlands Verbündete kennen den Reflex inzwischen. Deswegen hat sich die Diskussion um Afghanistan auch schon wieder beruhigt. Gleichwohl wird der Druck nicht nachlassen, weil es einen unaufgelösten Widerspruch zwischen dem Bild der Deutschen von sich selbst und der Wahrnehmung des Landes von außen gibt.

Um nicht zerrieben zu werden zwischen äußeren Erwartungen und inneren Zwängen, muss die Bundesregierung, müssen die großen Parteien Klarheit schaffen über die Rolle des Landes in einem Bündnis und in Afghanistan.

Die Nato ist eine gewachsene Allianz, die sich, wenn auch mühsam, einem neuen sicherheitspolitischen Zeitalter annähert. Wer, wie Deutschland, Multilateralismus zum Kern seiner Außenpolitik erklärt, will Mitglied in einem Bündnis Gleichgesinnter sein. Wer nach der Alternative zur Nato Ausschau hält, der wird schnell enttäuscht werden: Es gibt keine bessere. Selbst die EU hat das inzwischen verstanden und verzichtet auf ein Konkurrenzmodell; Frankreich gar drängt mit Macht in die Nato zurück.

Zum Prinzip eines Bündnisses gehört die gleiche Verteilung von Rechten und Pflichten. Wer, wie Deutschland, das bessere Aufbaukonzept für den Süden Afghanistans zu haben glaubt, muss es auch durchsetzen. Wer aber eine Teilnahme im Süden des Landes ablehnt, der kann nicht erwarten, dass sein Aufbaukonzept ernst genommen wird.

Natürlich kann man die amerikanische Dominanz in der Nato beklagen. Reduzieren lässt die sich aber nur, wenn man sich selbst stärker engagiert. Dazu reichen manchmal kleine, aber weitreichende Entscheidungen: Helikopter sind hochbegehrt im Süden Afghanistans. Wer vier Hubschrauber schickt, gewinnt überproportional an politischem Einfluss.

Was wirklich nötig wäre

Klarheit muss außerdem geschaffen werden über Sinn und Zweck des Einsatzes in Afghanistan, der nicht zufällig zustande kam. Die USA haben in dem Land die Taliban vertrieben, die Vereinten Nationen haben - mit Hilfe der Nato - Aufbau und Zukunft versprochen. Deutschland stand Pate auf der Petersberg-Konferenz. Derart wuchtige Zusagen werden nicht leichtfertig gemacht, zumal die afghanische Bevölkerung der UN-Mission vertraut.

Allzu leicht werden, gerade in Deutschland, Opfer und Täter in diesem Konflikt verwechselt. Es waren die Taliban, unter deren Schutz der Terror gegen den Westen geplant wurde, es sind die Taliban, die noch heute im Süden die Menschen in den Hunger treiben, nicht die ausländischen Truppen.

Bundesregierung und Nato haben zu lange zu wenig darüber geredet, was den Kern der Afghanistan-Mission ausmacht. Die Irritationen in der Öffentlichkeit rühren aus dem begründeten Gefühl her, dass es schiefgehen könnte mit dem Einsatz, dass sich die Nato zu viel vorgenommen hat und geschwächt zurückkehren könnte.

All dies wird verstärkt durch die künstliche Teilung des Auftrags, wie sie die Bundesregierung aus innenpolitischen Motiven heraus betrieben hat: hier der Aufbau, dort die militärische Befriedung. Noch heute sind mehr als die Hälfte der Deutschen für den Aufbau-Teil, nur 17 Prozent akzeptieren, dass der militärische Kampf zu den Aufgaben gehört.

Außerhalb Deutschlands gibt es die Zweiteilung nicht. Weder in Kanada, noch in den Niederlanden oder in Afghanistan selbst wird akzeptiert, dass der Süden des Landes auf Dauer instabil, der Norden hingegen stabil sein könnte.

Die Afghanistan-Woche hat der Bundesregierung und auch der Nato gezeigt, dass sie ihre Lebenslügen auf Dauer nicht aufrechterhalten können. Anfang April treffen sich die Regierungschefs der Nato. Bis dahin ließen sich noch ein paar ehrliche Worte finden: über die Tabus der Deutschen, den Realismus der Nato und über das, was für Afghanistan wirklich nötig wäre.

© SZ vom 09.02.2008/schä - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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