Krieg in Syrien:Welche Fehler der Westen in Syrien nicht wiederholen darf

A man carries a child who survived what activists said were airstrikes by forces loyal to Syria's President Bashar al-Assad, in the Douma neighborhood of Damascus

Unerträgliches Leid: Ein Mann trägt ein verletztes Kind nach einem Luftangriff auf das Douma-Viertel von Damaskus

(Foto: REUTERS)

Der Krieg muss so schnell wie möglich beendet werden. Eine Allianz mit Putins Russland aber darf es nicht um jeden Preis geben.

Von Joschka Fischer

Seit vier Jahren tobt in Syrien ein blutiger Krieg. Was im Zuge des Arabischen Frühlings als demokratischer Aufstand gegen die Diktatur Baschar al-Assads begann, hat sich zu einem Knoten vielfältiger Konflikte entwickelt, die nicht nur das Land völlig zerstören. In Syrien tragen zudem die wichtigsten Regionalmächte - Iran, Türkei und Saudi-Arabien - mittels Stellvertretern einen brutalen Machtkampf um die Vorherrschaft aus, der die gesamte Region destabilisieren kann. Das Beispiel Jemen zeigt dies. Darüber hinaus versucht Russland dort mittels einer militärischen Intervention seinen Weltmachtstatus gegenüber dem Westen und besonders gegenüber Amerika auszubauen.

Der Konflikt in Syrien findet also auf mindestens drei Ebenen statt: lokal, regional und auch international. Der Verzicht der großen Mächte, diesen Konflikt einzudämmen, hatte schlimme Folgen: Nach Schätzungen der UN sind bisher 250 000 Menschen ums Leben gekommen, im Sommer rechnete der UNHCR mit vier Millionen Flüchtlingen außerhalb Syriens Grenzen und mit 7,6 Millionen Binnenvertriebenen. Der syrische Flüchtlingsstrom nach Europa stellt mittlerweile eine der größten Herausforderungen für die EU dar.

Der syrische Bürgerkrieg ist gegenwärtig auch die gefährlichste Brutstätte des islamistischen Terrors, wie die Selbstmordanschläge des IS in Ankara, Beirut und Paris und das Bombenattentat auf ein russisches Flugzeug in Ägypten beweisen. Zudem droht nun auch die Gefahr eines großen Konflikts zwischen den beteiligten Mächten, der Abschuss eines russischen Jagdbombers durch die türkische Luftwaffe belegt dies. Die Türkei ist Nato-Mitglied, und die Nato beruht auf der militärischen Beistandspflicht im Falle des Angriffs auf ein Mitglied.

Die USA agieren mit angezogener Handbremse

Dieser Krieg muss aus all diesen Gründen so schnell wie möglich beendet werden. Neben einer humanitären Großkatastrophe für die Zivilbevölkerung nehmen die Sicherheitsrisiken fast täglich zu. Der Krieg wächst sich zu einer massiven Gefahr nicht nur für Frieden und Stabilität in der Region aus, sondern droht auch, darüber hinauszugreifen. Nach den Terrorattacken von Paris besteht zu seiner Beendigung jetzt eine Möglichkeit, denn alle wichtigen Akteure (mit Ausnahme des IS) sind nun offensichtlich bereit, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen.

Zwar haben sich alle Akteure verbal auf den Vorrang der Bekämpfung des IS verständigt, aber ob sie dabei auch tatsächlich dasselbe meinen und tun, muss bezweifelt werden: Die Kurden im Norden Syriens und des Irak sind die wirksamsten Kämpferinnen und Kämpfer gegen den IS, werden aber, wegen ihrer nationalen Ambitionen, zugleich von der Türkei als Hauptfeind angesehen. Iran und Saudi-Arabien kämpfen vor allem gegeneinander um die regionale Vorherrschaft unter der Einbeziehung regionaler nichtstaatlicher Akteure; Russland kämpft um seinen Weltmachtstatus in der Region und darüber hinaus gegen jede Form von Regimewechsel und stützt deswegen die Diktatur Assads in enger Allianz mit Teheran, das wiederum seine eigenen geopolitischen Interessen vor allem mit den Schiiten in Libanon verfolgt.

Lit.Cologne 2015

Joschka Fischer, 67, war von 1998 bis 2005 Bundesaußenminister und Vizekanzler

(Foto: Ralf Juergens/Getty Images)

Frankreich meint es ernst mit dem Kampf gegen den IS, Deutschland und Europa handeln aus Bündnispflicht gegenüber Frankreich und wollen vor allem den weiteren Zustrom von Flüchtlingen unterbrechen. Die USA agieren mit angezogener Handbremse. Präsident Barack Obama möchte vor allem verhindern, dass das Land vor dem Ende seiner Amtszeit in einen weiteren Krieg im Nahen Osten hineingezogen wird. Diese Haltung hat allerdings ein hochgefährliches Machtvakuum geschaffen, das Wladimir Putin zu nutzen versucht.

Weder mit dem IS noch mit Assad ist ein Ende des syrischen Krieges möglich

Die Europäer allein sind militärisch und politisch zu schwach, um die Dinge in Syrien wirklich beeinflussen zu können, und deshalb droht ein aus der Not geborenes De-facto-Bündnis mit Putins Russland, weil Washington die Führung verweigert. Dies wäre ein dramatischer Fehler, da eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit Russland den Krieg in Syrien nicht eindämmen oder gar beenden würde. Das genaue Gegenteil wäre zu befürchten. Eine militärische Zusammenarbeit mit Assad - und genau das ist Moskaus Ziel und Preis - würde die große Mehrheit der sunnitischen Muslime in die Arme der radikalen Islamisten treiben.

Im Irak konnte man eine solche Entwicklung bereits verfolgen. Die schiitisch beherrschte Regierung von Premierminister Nuri al-Maliki hat ganz wesentlich zur Radikalisierung der irakischen Sunniten und zu deren Unterstützung für den IS beigetragen. Es wäre kurzsichtig und extrem dumm, diesen Fehler sehenden Auges in Syrien zu wiederholen. Das ist mitnichten Realpolitik, denn weder mit dem IS noch mit Assad wird ein Ende des syrischen Krieges möglich sein.

Die Kooperation des Westens mit Russland in Syrien darf nicht um den Preis zweier großer Fehler geschehen, nämlich einer Verknüpfung der Ukraine mit Syrien (die Nuklearverhandlungen mit Iran wurden ohne solch eine Verknüpfung erfolgreich abgeschlossen, und dabei muss es bleiben) und der militärischen Zusammenarbeit mit Assad. Stattdessen sollte versucht werden, die Frage einer militärischen Intervention gegen den IS unter dem Dach des Sicherheitsrates in einer Kapitel-7-Resolution mit der Frage des politischen Übergangsprozesses zu einem Waffenstillstand und zu einer Regierung der nationalen Einheit zu verbinden.

Welche Form von sunnitischem Islam wird sich durchsetzen?

Zudem sei nicht vergessen, dass es sich bei der Eindämmung des Krieges in Syrien nur um den ersten Schritt handelt. Dahinter liegen weitere große Herausforderungen, wenn es um die Gefahren geht, die für Europa in seiner Nachbarregion entstehen können: Der Irak versinkt zusehends im Chaos und droht zu einem weiteren hochgefährlichen Kriegsschauplatz zwischen Iran und Saudi-Arabien zu werden. Eine Einhegung dieses regionalen Kampfes um die Hegemonie im Nahen und Mittleren Osten wird sich als unverzichtbar erweisen, wenn man nicht sehenden Auges in weitere Stellvertreterkriege mit all ihren Risiken laufen will.

Und schließlich wird die Entscheidungsschlacht mit dem islamistischen Terrorismus innerhalb der sunnitischen Gemeinschaft der Muslime stattfinden: Welche Form von sunnitischem Islam wird sich durchsetzen? Die saudisch-wahabitische oder eine modernere, gemäßigtere? Dies ist letztendlich die entscheidende Frage im Kampf gegen den Terrorismus, und eine nicht unwichtige Frage wird dabei sein, wie Europa seine Muslime behandelt - als willkommene gleichberechtigte Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten oder nicht.

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