Nach der Flucht:Der tägliche Kampf

Auch vier Jahre nach seiner Flucht leidet Mansur an den psychischen Folgen

Von Katja Riedel

Mansur sagt, dass er sich selbst verloren habe. Dreimal wird Mansur (Name geändert) das wiederholen, während nur weniger Minuten. Wenn es einen Ort gibt, an dem er sich ein bisschen wiederfinden kann, einmal die Woche zumindest, dann ist es das helle Zimmer mit den Korbstühlen, in dem es nach Rosen duftet und in dem Menschen sitzen, die ihn verstehen. Seine Therapeutin, die ihn hier in den Räumen von Refugio am Rosenheimer Platz betreut, kann ihn lesen: sein Gesicht, seine Augen, seine Worte. Wenn Mansur sagt, dass er in seiner Heimat Afghanistan "ein paar Probleme" hatte, dann weiß sie, dass er von Folter spricht, von Monaten in Haft, in denen er als Spion galt. Von Todesangst. Und sie weiß, dass er seine damals gerade geborene Tochter und seine Frau dort zurücklassen musste, wo Bomben fallen.

Vier Jahre ist es her, dass Mansur in Deutschland angekommen ist; es war eine Flucht, die er nicht lange überlegen konnte. Zu groß war die Gefahr, dass er erneut verhaftet werden könnte - und dass er neue Qualen vielleicht nicht noch einmal überleben würde. Es war der Beginn einer weiten und gefährlichen Reise. Seitdem wartet er darauf, nicht nur geduldet zu sein, sondern rechtlich anerkannt. Inzwischen muss er aber sogar fürchten, vielleicht doch nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Sein Wunsch, nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Familie eine sichere Zukunft in München aufzubauen, würde damit scheitern. Es ist eine Situation, die ihm an guten Tagen die Tränen in die Augen treibt. An schlechten Tagen legt sie sein Leben lahm.

Er hat dagegen angekämpft, seit er in Deutschland ist. "Ich habe immer arbeiten wollen", sagt er. Etwas tun. Deutsch lernen, eine Stelle finden. Es war ein einziger Kampf gegen bürokratische Windmühlen, aber auch gegen die Folgen dessen, was er in seiner Heimat durchgemacht hat. Immerhin: Er hat schon vor Jahren eine Arbeitsstelle gefunden. Und er habe auch einen sehr verständnisvollen Arbeitgeber, sagt er. Verständnis hat der Chef dafür, dass Mansur an den schlechteren Tagen früher nach Hause gehen muss. Und auch dafür, dass es Zeiten gab, in denen er seine Traumata und Depressionen in einer Klinik behandeln lassen musste.

Inzwischen kommt Mansur mithilfe seiner Therapeutin über die Runden. Einmal die Woche kommt er zur Therapie bei Refugio. Und die Therapie, die Stunden bei Heike Baumann sind es auch, die ihm Entlastung bringen. Hier erzählt er, wie es sich anfühlt, wenn die ferne und unbekannte Tochter am Telefon fragt, wann er denn endlich komme. Dass in der Nacht zuvor Bomben in der Nähe der Wohnung gefallen seien. Und er lernt, wie er mit der Angst und der Hilflosigkeit umgehen soll, dass er die Familie, die sich in Afghanistan versteckt hält, nicht vor den Gefahren schützen kann, denen sie dort ausgesetzt ist. Die Termine geben ihm Halt, sagt er in noch leicht gebrochenem, aber gut verständlichem Deutsch. Ohne diese Therapiesitzungen würde er all das, was er fühlt und was ihn besorgt, nur in sich selbst drehen und wenden und es ginge wieder abwärts.

Mit seinen Kollegen oder Freunden möchte er solche Themen lieber nicht besprechen. Zu ihnen hat er kein enges, kein vertrauliches Verhältnis. Das sind sie: die Folgen von Folter, von Flucht, von Todesängsten, gegen die Mansur kämpft. Tag und Nacht.

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