Neuer Bildband:Betonbayern

Parkplatz statt Wiese, Asphalt statt Wald, Grau statt Grün: In betont ruhigen, frontalen Draufsichten im immer gleichen Format veranschaulichen die Fotografien von Robert Schlaug, was die Bauwut im Freistaat angerichtet hat

Von Christian Sebald

Für Horst Seehofer ist Bayern ja "die Vorstufe zum Paradies". Kein Auftritt des Ministerpräsidenten und CSU-Chefs in einem Bierzelt, kein Parteitag und kein politischer Aschermittwoch, an dem nicht irgendwann die Floskel fällt - auch und gerade über die Landschaften im Freistaat. Den Flächenfraß lässt Seehofer dabei jedesmal außen vor. Dabei hat die Betonierung Bayerns für immer neue Straßen, Siedlungen, Gewerbe- und Industriegebiete längst so dramatische Ausmaße angenommen, dass Naturschützer sie für das drängendste Umweltproblem im Freistaat halten. 18 Hektar freie Landschaft gehen jeden Tag in Bayern verloren. Das entspricht der Fläche von 25 Fußballfeldern oder - aufs Jahr gesehen - einer Stadt von der Größe Augsburgs.

Den Fotografen Robert Schlaug treibt der Flächenfraß um - so sehr, dass er drei Jahre lang den Freistaat bereist und bis in seine äußersten Winkel hinein Aufnahmen von der alltäglichen Bauwut gemacht hat. Alltagsarchitektur, urbane Räume und Kulturlandschaften sind von jeher die Themen des 66-jährigen Künstlers aus dem mittelfränkischen Roth. Jetzt hat er 128 Farbfotografien zu dem Bildband "Bayerns Schattenseite - Flächenverbrauch ohne Ende?" zusammengefasst.

Es ist eine eindrucksvolle Dokumentation der Bausünden und Planungsfehler, die seit Jahrzehnten im Freistaat begangen werden. Längst verhunzen uniforme Eigenheimsiedlungen mit den immer gleichen Satteldächern und Carports die Dorfränder überall im Land. Dafür kommen die einstigen Ortszentren immer mehr herunter. Nicht nur in strukturschwachen Regionen verfallen vormals prächtige historische Anwesen. Sondern auch in den reichen Teilen Bayerns. So wie immer mehr Geschäfte in den Ortschaften verrammelt sind. Dafür entstellen draußen an den Ausfallstraßen die ewig gleichen Einkaufshallen von Aldi, Lidl & Co. mit ihren monströsen Parkplätzen Ortsansicht um Ortsansicht. Und erst die Gewerbe- und Industriegebiete. Immer mehr Wälder und Wiesen müssen immer gigantischeren Betonbauten weichen - es ist ein gleichförmiger Hallenbrei, der sich wie ein Krebsgeschwür in den Freistaat hineinfrisst. Dazu die vielen Straßen, Autobahnen und anderen "Erschließungsmaßnahmen", wie Verkehrsprojekte auf Planungsdeutsch heißen. Sie reißen die wohl tiefsten Wunden in die Landschaften - wie man am Bau der Autobahn A 94 durch das Isental sehen kann. Natürlich hat Schlaug auch dieses, über Jahrzehnte besonders umkämpfte Projekt in seine Dokumentation aufgenommen.

Wer aber in dem Band reißerische Fotografien aus spektakulären Perspektiven erwartet, der wird enttäuscht. Es sind betont ruhige, frontale Draufsichten in immer gleichem Format. Außerdem fehlt jede nähere Beschreibung der Aufnahmen. Nur im Anhang listet Schlaug die Orte auf, an denen die Fotografien entstanden sind. Dieser Kunstgriff soll den Betrachter ermuntern, sich in die Bilder zu versenken, sie auf sich einwirken zu lassen. Denn, so lautet Schlaugs ästhetisches Credo, "erst auf den zweiten Blick wird das Banale und Alltägliche zum Besonderen".

Aber natürlich ist Schlaugs Buch auch ein Protest, ein Protest gegen das Weiter-so des Flächenfraßes. Das macht nicht zuletzt die Einführung von Richard Mergner deutlich. Mergner ist Landesbeauftragter des Bundes Naturschutz in Bayern, des Umweltverbandes, der wie kein zweiter gegen den Flächenfraß und die Zersiedelung des Freistaats kämpft. Mit wenig Erfolg freilich. Nicht nur, dass Bayern seit Jahren bundesweit den Negativrekord hält, wie Mergner schreibt. Die Betonierung der Landschaften könnte alsbald einen beträchtlichen Schub erfahren. Denn es ist der erklärte Wille von Finanz- und Heimatminister Markus Söder (CSU), dass es die Kommunen künftig noch leichter haben sollen, in der freien Landschaft Gewerbegebiete auszuweisen. Dazu will Söder das sogenannte Anbindegebot lockern. Das Bürokratenwort besagt, dass Gewerbegebiete mit der Kommune, zu der sie gehören, verbunden sein müssen. In der Praxis heißt das, dass sie an einem Ortsrand liegen müssen und nicht einfach mitten in die Landschaft hineingeklotzt werden können. Genau das will Söder nun aufweichen. Geht es nach dem Heimatminister, dann sollen Gewerbegebiete künftig auch an Autobahnausfahrten und Bundesstraßen entstehen können, wenn sie dort keine Verbindung zu einem Ort haben. Auf dass die Betonierung Bayerns voranschreite.

Robert Schlaug: Bayerns Schattenseite - Flächenverbrauch ohne Ende?, mit einer Einführung von Richard Mergner, 148 Seiten, 128 Abbildungen, Verlag PH. C. W. Schmidt, ISBN 978-3-87707-977-5, 29,90 Euro .

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