Volleyball:Keine Reise nach Ankara

Russia v Mexico - FIVB Women's World Championship

Die russische Kapitänin Ekaterina Kosianenko (re.) lehnt eine Anreise zur Olympia-Qualifikation in der Türkei ab.

(Foto: Valerio Pennicino/Getty Images)

Der russisch-türkische Konflikt strahlt auch auf den Sport ab: Europas Verband muss entscheiden, wie er mit dem Champions-League-Boykott durch russische Teams umgeht.

Von JAVIER CÁCERES UND JULIAN HANS, Berlin/Moskau

Seit dem Abschuss einer russischen Militärmaschine durch die Türkei Ende November haben sich die Beziehungen zwischen Ankara und Moskau an vielen Fronten verhärtet; aus neulich noch strategischen Partnern sind nun Feinde geworden. Zu spüren ist das bislang vor allem wirtschaftlich. Russland hat unter anderem die Visumfreiheit für türkische Touristen aufgehoben, Charterflüge in die Türkei sowie den Import von Hahn- und Trutenfleisch, von Tomaten und Mandarinen und anderem Gemüse und Obst gestoppt. Zudem sollen türkische Firmen künftig bei der Auftragsvergabe in Russland benachteiligt werden. Auch der Sport wurde zum Kampfplatz - und treibt nun neue Blüten. Am Samstag beschäftigt sich die Europäische Volleyball-Konföderation (CEV) mit der Frage, wie sie darauf reagieren soll, dass zwei russische Teams, Dinamo Moskau und Belogorje Belgorod, ihre jeweiligen Gruppenspiele bei türkischen Gegnern in der Champions League schwänzten, auf Geheiß des russischen Verbandes, der seinen Mannschaften Anfang Dezember "unter anderem aus Gründen der Sicherheit" verboten hatte, in die Türkei zu fliegen. Die Antwort des CEV ist auch für die Berlin Volleys und den VfB Friedrichshafen von Belang: Die beiden Bundesligaspitzenklubs sind mit Dinamo Moskau und Belgorod sowie den türkischen Mannschaften Arkas Izmir und Ziraat Bankasi Ankara jeweils in einer Champions-League-Gruppe - und fürchten nun wettbewerbsverzerrende Konsequenzen.

Europas Verband hält sich nach dem Schmetter-Boykott der Russen zurück

Beim CEV hält man sich auch eine Woche nach dem Schmetter-Boykott durch die Russen zurück. Die Beratungen "über dieses sehr komplexe, sehr sensible Themenfeld" seien in vollem Gange, sagt CEV-Generalsekretär Thorsten Endres. "Welche Richtung" der Vorstand am Wochenende vorgeben werde, sei offen, die Regularien eröffneten "einen gewissen Spielraum", der bis zum Ausschluss der Teams aus dem laufenden Wettbewerb sowie einer mehrjährigen Sperre reichen könnte. Russlands Verbandschef Alexander Jaremenko wiederum hat eine Verlegung der Spiele in den Januar oder an einen neutralen Spielort gefordert. Aus Berlin kamen derweil Töne, die an den Russen ein Exempel statuiert sehen wollen. Das Verhalten der Russen, die "quasi eigenmächtig" ein Spiel abgesagt hätten, dürfe "nicht nur mit einem Punktabzug bestraft werden", sagte Volleys-Manager Kaweh Niroomand. Frei von Eigennutz ist das nicht. Die Berliner haben bereits ihre (absehbare) Pleite gegen die überstarke Mannschaft Belgorod verbuchen müssen; Arkas Izmir hingegen würde bei einem Punktabzug für die Russen einen nicht einkalkulierten Erfolg einheimsen - und im Kampf ums Weiterkommen gegenüber den Berlin Volleys dann im Vorteil sein.

Auch vor diesem Hintergrund wird in deutschen Volleyball-Kreisen gern an das Beispiel des Frauenteams USC Münster erinnert. Es wurde 2012 bestraft, weil es ein Spiel bei Hapoel Kfar Saba in Israel säumte. Seinerzeit wurde Tel Aviv mit Hamas-Raketen beschossen. CEV-Generalsekretär Endres hält den Vergleich für unangebracht. Damals habe es keine offizielle Reisewarnung durch das Auswärtige Amt gegeben, Berlin habe lediglich dazu "geraten", "von nicht notwendigen Reisen" in den Süden Israels abzusehen. Wie genau der russische Verband seine Absage begründete, ist insofern nicht bekannt, als der CEV den Brief des russischen Verbandes vertraulich behandelt.

Spannung ist so oder so angebracht: Die Verbands-Exekutive ist erst seit zwei Monaten im Amt und hat damit noch keinerlei Profil erkennen lassen können; unter den acht Vizepräsidenten, die im Vorstand sitzen, sind sowohl der russische als auch der türkische Verbandspräsident. Zudem verfügen die Russen über ein beträchtliches Eigengewicht. Ihre Teams zählen zu den wirtschaftlich und damit auch sportlich stärksten Mannschaften im Volleyball. Die vergangenen vier Champions-League-Sieger - Zenit Kasan (2012/2015), Lokomotive Nowosibirsk (2013) und Belogorje Belgorod (2014) - stammten ausnahmslos aus Russland. Andererseits steht im Januar in Ankara das Qualifikationsturnier der Frauen für die Spiele in Rio 2016 an, mit russischer Beteiligung. Angeblich hat sich Italien als Ausweichort angeboten, der CEV allerdings dementiert. Der Kapitänin der Nationalmannschaft, Jekaterina Kosianenko, wäre ein Umzug nur recht. "Ein Trip nach Ankara wäre lebensgefährlich", sagte sie laut Russiavolley.com, "ich weiß nicht, ob es das wert ist."

Zudem gibt es Verwirrung um ein von Staatschef Wladimir Putin erlassenes Verbot

Durch diese volleyballspezifische Gemengelage ist fraglich, ob vom CEV-Entscheid des Samstags eine Signalwirkung für andere Disziplinen ausgeht. Die sportpolitischen Scharmützel gehen ja über den Volleyball hinaus. Russlands Kanu-Nationalteam verlegte das Winter-Trainingslager von der Türkei nach Armenien und Italien; umgekehrt berichtete der russische Eiskunstlauftrainer Alexander Tschulin, das türkische Sportministerium habe seinen Schützlingen Alisa Agafonowa und Alper Ucar verboten, mit ihm zusammenzuarbeiten. Und dann ist da noch der Fußball.

Rostow und Lok Moskau stornierten wie die Ruderer ihre türkischen Wintertrainingslager. Zudem gibt es Verwirrung um ein von Staatschef Wladimir Putin erlassenes Verbot für russische Arbeitgeber, türkische Arbeitnehmer unter Vertrag zu nehmen. Erst war die Rede davon, dass der Bann auch für Fußball-Legionäre gelte. Nachdem der Weltverband Fifa erklärte, sie werde sich das genau anschauen, war davon nicht mehr die Rede. Das gleiche Verbot bringt ein anderes Problem mit sich - für die Fußball-Weltmeisterschaft 2018. Der Grund: Türkische Firmen sind sehr stark in der russischen Baubranche vertreten, bringen oft ihre eigenen Arbeiter aus der Heimat mit. Bei den WM-Bauten sind türkische Firmen als Subunternehmer unter Vertrag. Der Sportminister und Präsident des russischen Fußballverbandes, Witalij Mutko, versicherte, dass geltende Verträge nicht betroffen wären. Doch Experten halten es für sicher, dass die Stadien kaum rechtzeitig fertig würden, wenn man tatsächlich alle türkischen Arbeiter, wie im Erlass gefordert, rausschmeißen würde.

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