Theater:Hirnkastenteufel

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Christian Stückl inszeniert Dostojewskis Roman "Schuld und Sühne" am Münchner Volkstheater als verschlanktes Diskursgewitter im Oberstübchen. Eine Entdeckung ist der wunderbar fahrig präsente Raskolnikow im Zentrum des Geschehens.

Von Egbert Tholl

Vielleicht war Christian Stückl erst einmal fasziniert vom Namen der Hauptfigur, als er sich daran machte, am Münchner Volkstheater, dessen Intendant er ist, Dostojewskis Roman "Schuld und Sühne" auf die Bühne zu bringen. Raskolnikow, da steckt das russische "raskol" drin, was Abspaltung heißt, und abgespalten von der Gesellschaft ist Rodion Raskolnikow ja, der ehemalige Student, der die Pfandleiherin Iwanowna und deren Schwester erschlägt und seine eigene Tat nicht aushält. Da kann er diese noch so gut zu begründen suchen, mit seiner Unterscheidung zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Menschen, wobei er Letzteren eine Freiheit des Handelns zugesteht, jenseits der herrschenden Moral. Raskolnikow wird von einer Instanz eingeholt, mit der er in seiner Theorie nicht gerechnet hat, seinem Gewissen, und das beschert ihm letztlich sogar eine Art Erlösung.

Im Russen-Rausch: Szene mit Paul Behren als Raskolnikow und Pascal Fliggs Porfirij, Untersuchungsrichter und Spielmacher der Justiz. (Foto: Gabriela Neeb)

Stückl benutzt für seine eigene, radikal aus dem Roman herausgekratzte Bühnenfassung nicht die jüngere, funkelnde Übertragung von Swetlana Geier. Nein, in der Übersetzung von Hermann Röhl findet er die monolithische Wucht jener Passagen, auf die seine Inszenierung zielt: Napoleon, dem man ein Denkmal baute, obwohl er die eigenen Armeen verheizte. Oder Mohammed: "Oh, jetzt verstehe ich den Propheten, mit dem Säbel in der Hand, hoch zu Rosse: Allah befiehlt, und du, zitternde Kreatur, gehorche." Das sagt Raskolnikow, doch es wäre falsch, von Stückl und seinem Theater nun die nächste Begründung des Terrorismus zu erwarten. Er bleibt ganz bei Dostojewski und auch bei einer rein dialogischen Form; nur drei Mal rollt ein Bildgewitter über die Zuschauer hinweg: Politiker, Militär, Herrscher, Cäsaren, Krieg.

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Gleich in der ersten Szene ist man mitten im Diskurs. Porfirij (Pascal Fligg) ist auch schon da, der Untersuchungsrichter, der im Laufe der gut zweieinhalb Stunden immer wieder listenreich dafür sorgen wird, dass sich die Gedanken in Raskolnikows Hirn weiter drehen. Sonja ist da, und steht herum wie bestellt und nicht abgeholt, weil hier vor allem eines interessiert: die Diskussionen der drei Studenten Raskolnikow, Rassumichin und Sossimow. Zwar schneien Dunja, Raskolnikows Schwester, und ihr zwischenzeitlicher Bräutigam in spe, der eingebildete Luschin, kurz herein in die karge Bohème-Bretterbude, die Bühnenbildner Stefan Hageneier mit einer Art Karussell der Selbstinsolation nach hinten abschließt. Aber ihr aufgekratzter Besuch dient nur dem Hinweis, dass da draußen doch noch eine Welt ist, jenseits von Raskolnikows Hirn und seiner Grübelstube mit ihren Bücherstapeln.

Man sieht keinen Mord, keine Folklore, nichts Russisches. Stattdessen erinnert Porfirij, der Spielmeister der Justiz, an einen Beamten der McCarthy-Ära. Sossimow (Moritz Kienemann) gibt sich radikal und würde nie handeln; der im Grunde seines Herzens bürgerliche Rassumichin (Jakob Geßner) sucht den Ausgleich und verstummt zusehends. Und Raskolnikow verfällt dem Rausch der eigenen Idee: Paul Behren ist eine Entdeckung. Fahrig und präsent, hitzig und in sich gekehrt, nervöses Zentrum der Diskussionen, die ohne ihn ins Abstrakte kippten. Letztlich geht es seinem Raskolnikow doch nur um den eigenen Vorteil. Und die Theorie der Weltveränderung ist dahin.

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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