SPD-Parteitag in Berlin:Gabriel bekommt das, was man eine Klatsche nennt

SPD-Parteitag in Berlin: Gabriel versuchte in seiner Rede ein Signal der Versöhnung an die SPD zu setzen.

Gabriel versuchte in seiner Rede ein Signal der Versöhnung an die SPD zu setzen.

(Foto: John MacDougall/AFP)
  • Gabriel gibt sich in seiner Rede vor der Wahl gemäßigt, ja beinahe langweilig.
  • Nach der Wahlklatsche spricht er die unangenehmen, provokanten Dinge an, wie etwa die Notwendigkeit des Freihandels oder den Flüchtlingsstrom zu reduzieren.
  • Die Debatte über Gabriel und die Kanzlerkandidatur dürfte erst begonnen haben.

Analyse von Christoph Hickmann

Es ist kein einfaches Jahr gewesen, das die SPD mit ihrem Vorsitzenden gehabt hat. Sigmar Gabriel mag es zu provozieren, hinzu kommt ein mindestens latenter Hang zum Aktionismus. Doch in diesem Jahr war die Schlagzahl der Zumutungen selbst für Gabriels Verhältnisse überdurchschnittlich hoch.

Es begann damit, dass er das Gespräch mit Pegida-Anhängern suchte und damit seine Generalsekretärin Yasmin Fahimi düpierte, die sich zeitgleich gegen derlei Kontakte ausgesprochen hatte. Gabriel peitschte dann die Vorratsdatenspeicherung durch die Partei, ohne Rücksicht auf Justizminister Heiko Maas, einen Gegner dieses umstrittenen Instruments. Er spielte mit dem Gedanken an einen Grexit, und er legte ein Papier vor, in dem keine Rede von sozialdemokratischen Klassikern wie Verteilungsgerechtigkeit war, stattdessen von innerer Sicherheit und Patriotismus. Kurz vor der Sommerpause hatten so ziemlich alle Genossen an der Parteispitze die Nase voll von ihrem Chef.

Und nun? Tritt Sigmar Gabriel am Freitagmorgen vor den SPD-Bundesparteitag und spart sich eindreiviertel Stunden lang jede Provokation. Zumindest fast.

Es ist eine lange, in weiten Teilen langatmige und für Gabriels Verhältnisse sogar beinahe langweilige Rede, der so ziemlich alles fehlt, was Gabriel-Reden sonst ausmacht: überraschende Gedanken, zündende Pointen und jenes gewisse Maß an Provokation, das die Genossen zwar regelmäßig nervt, sie aber auch davor bewahrt, es sich allzu gemütlich zu machen. Was Gabriel hier in einer Veranstaltungshalle des Berliner Messegeländes zu setzen versucht, ist ein Signal der Versöhnung mit der SPD.

Das wird schon zu Beginn deutlich, als er, dem man gern einen gewissen Unernst vorwirft, über "ernste Zeiten" spricht, die "ernste Beratungen und Entscheidungen" erforderten. Es folgt eine Rede, in der so ziemlich alle aktuellen politischen Herausforderungen vorkommen und außerdem vieles, was sozialdemokratische Parteitagsdelegierte gerne hören: dass Steuerhinterzieher die "wahren Asozialen" seien, dass jeder von seiner Arbeit leben können müsse und das Verhältnis der SPD zu den Gewerkschaften ein besonders wichtiges sei.

Eine Art Bonbon hat sich Gabriel zum Thema Syrien ausgedacht. Hier sollen die SPD-Mitglieder entscheiden, falls eine deutsche Beteiligung an Kampfhandlungen geplant würde. Auch die Attacken auf die Union und die Kanzlerin finden Anklang: Er habe Angela Merkel immer davor gewarnt, "Frankreich diesen Sparkurs aufdiktieren zu wollen". Das Ergebnis sei der Aufstieg des Front National, sagt Gabriel. Ebenfalls gegen Merkel gerichtet ist die Formulierung, man könne sich nicht "morgens dafür feiern lassen", dass man eine Million Flüchtlinge ins Land hole, "und dann abends im Koalitionsausschuss jedes Mal 'nen neuen Vorschlag machen, wie man die schlechter behandeln kann".

Am deutlichsten hebt sich Gabriel von der Kanzlerin ab, als er sagt, man müsse "endlich wieder mehr Politik wagen". Die SPD wolle wieder regieren, "natürlich vom Kanzleramt aus". Seine dreieinhalbjährige Tochter habe ihn neulich gefragt, wie lange er noch zu Angela Merkel fahren müsse. "Keine Angst", habe er geantwortet, "nur noch bis 2017." Was so oder so stimmen dürfte: Entweder gewinnt die SPD die Wahl, dann ist Merkel weg. Oder die SPD verliert.

Dann dürfte Gabriel weg sein. Konfliktthemen? Umschifft Gabriel oder tippt sie so an, dass auch Kritiker damit leben können. So missfällt dem linken Flügel, dass Gabriel die Partei in der Mitte zu positionieren versucht. Doch darauf geht der Parteichef erst am Ende kurz ein: Ja, man müsse die Nichtwähler ansprechen - aber dazu zählten eben nicht nur Menschen "an der Armutsgrenze oder darunter" - sondern auch Menschen "mit Ausbildung und Arbeit", die sich alleingelassen fühlten. Die SPD müsse sich zur "arbeitenden Mitte" bekennen. Am Ende stehen sie im Saal und klatschen: Versöhnung gelungen?

Johanna Uekermann tritt ans Mikrofon, die Juso-Vorsitzende. Ihr Verhältnis zu Gabriel ist nicht gestört, sondern zerrüttet. Nun attestiert sie der SPD ein "Vertrauensproblem": Die Menschen glaubten "uns nicht mehr, was wir sagen". Das zielt auf Gabriel, zumal sie als Beispiel die umstrittenen Freihandelsabkommen nennt, für die er als Wirtschaftsminister verantwortlich ist. Sie könne, sagt Uekermann, "Delegierte verstehen, die sagen, ja, das war 'ne starke Rede, aber irgendwie kann ich das nicht in Einklang bringen mit dem, was danach immer wieder passiert".

Die Klatsche wird in Gabriel arbeiten und zu emotionalen Ausschlägen führen

Gabriel schreitet zur Replik: Uekermann habe ihm "den schlimmsten Vorwurf" gemacht, den man jemandem in der Politik machen könne: "Ich glaube nicht das, was ihr sagt." Dagegen spreche alles, was man in der Regierung erreicht habe.

So weit, so gut, doch dann steigt Gabriel detailliert in die Auseinandersetzung mit Uekermann ein: Sie habe ihm ja neulich öffentlich die Zensur "Vier minus" verpasst - daraufhin habe er sich entschieden, dem Bundeskongress der Jusos keinen Besuch abzustatten. Das hat dann endgültig etwas von einer Schulhofstreiterei, jedenfalls führt Gabriels Intervention dazu, dass in der Debatte andere Jusos und sonstige Parteilinke Uekermann beispringen, während sich die Unterstützung für Gabriel in Grenzen hält. Woraufhin der sich bemüßigt fühlt, am Ende der Debatte zu erklären, dass es nicht schlimm sei, sich zu streiten.

Fast alle besser

Die Wahlergebnisse, in Klammern 2013

Sigmar Gabriel 74,3 Prozent (83,6)

Stellvertreter:

Manuela Schwesig 92,2 (80,1)

Hannelore Kraft 91,4 (85,6)

Thorsten Schäfer- Gümbel 88,0 (88,9)

Aydan Özoguz 83,6 (79,9)

Olaf Scholz 80,2 (67,3)

Ralf Stegner 77,3 (-)

Bestes Wahlergebnis der Nachkriegszeit:

1947 Kurt Schumacher 99,7

Schlechtestes:

1995 Oskar Lafontaine 62,6

Kandidatur gegen Rudolf Scharping

Versöhnung missglückt? Nun steht die Wahl des Vorsitzenden an, und eigentlich könnte das Ergebnis schnell feststehen, da die Delegierten per Tablet-Computer abstimmen sollen. Das funktioniert aber nicht. Es werden Stimmzettel ausgeteilt. Eine halbe Stunde später gibt es ein Ergebnis: 74, 3 Prozent. Es ist das, was man eine Klatsche nennt, 2013 hat Gabriel noch 83,6 Prozent bekommen, und schon das war kein starkes Ergebnis. Und was tut Gabriel? Tritt ans Mikrofon und hält jene Rede, die er sich vor dem Wahlgang verkniffen hat.

Er versucht, die fehlende Zustimmung als Ergebnis seines vermeintlich klaren Kurses zu deuten - und spricht nun all die unangenehmen, provokanten Dinge aus, die er zuvor nicht ausgesprochen hat, zumindest nicht so deutlich: dass Leistung sich lohnen müsse, die SPD also die Partei der Leistung sein solle. Dass Freihandel notwendig sei, dass es keinen Sinn mehr habe, im Wahlkampf für die Vermögensteuer zu kämpfen. Dass man nicht alle Probleme mit höheren Steuern lösen könne. Und dass er die Geschwindigkeit des Flüchtlingszustroms reduzieren wolle.

Er nehme die Wahl an, sagt Gabriel dann. Schließlich habe sich eine "Dreiviertelmehrheit" der Partei für ihn entschieden und damit festgelegt, wo es langgehen solle. "Und so machen wir's jetzt auch."

Man kann davon ausgehen, dass es jetzt in ihm arbeiten wird. Wer um seine emotionalen Ausschläge weiß, der ahnt, dass dieses Ergebnis Folgen haben kann. Die Debatte über Gabriel und die Kanzlerkandidatur dürfte erst begonnen haben.

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