Angreifer in Leverkusen:Stefan Kießling: Treffer voller Wehmut

Bayer Leverkusen - Bor. Mönchengladbach

Treffer mit Wehmut: Stefan Kießling jubelt mit Ömer Toprak über das 2:0.

(Foto: dpa)

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

Um 19.01 Uhr am Samstagabend ist Stefan Kießling an Horst Hrubesch vorbeigezogen, um 19.54 Uhr an Uwe Seeler. Kießling, 31, überholt Stürmer-Legenden des deutschen Fußballs im Zeitraffer. Sein Spurt vorbei an den großen Namen der Historie in der ewigen Bundesliga-Torschützenliste ist rein virtuell.

Als Kießling seine Leverkusener gegen Mönchengladbach mit 1:0 in Führung schoss, überholte er mit diesem 137. Bundesliga-Treffer Hrubesch, als er später das 3:0 erzielte, ließ er mit dem 138. Treffer auch Seeler hinter sich. Jetzt steht Kießling gleichauf mit Mario Gomez auf dem 16. Platz der besten Bundesliga-Torjäger und hat als nächstes Bernd Nickel (141), Thomas Allofs (148) und Fritz Walter (157) vor sich.

"Meine Knochen halten noch ein paar Jährchen"

Wenn man bedenkt, dass Kießling mit seinen 138 Toren in 360 Bundesligaspielen im Schnitt alle 2,6 Partien einen Treffer erzielt hat, dann benötigt er rechnerisch voraussichtlich noch eineinhalb Spielzeiten, um auch Walter einzuholen. Kießling sagt, er habe noch ein paar gute Jahre vor sich. Er denkt noch nicht ans Karriere-Ende. Vielleicht kann er sogar in die Top Ten der ewigen Torschützenliste vordringen, also bis zu Hannes Löhr (166).

"Ich bin überzeugt, dass meine Knochen noch ein paar Jährchen halten", sagt Kießling - aber fraglich erscheint, ob er seine weiteren Tore noch im Trikot von Bayer Leverkusen schießt. Er ist unzufrieden, weil er allzu oft in dieser Saison nur Ersatzspieler war.

Nach seinem Gala-Auftritt mit zwei Toren und zwei Tor-Vorbereitungen zum 5:0-Sieg gegen Gladbach hat Kießling wehmütig geklungen und offen infrage gestellt, ob er noch eine Zukunft hat bei diesem Klub, dem sein Herz gehöre und für den er seit fast zehn Jahren spielt.

Sein Trainer Roger Schmidt sagte nach dem Spiel, er verspüre größten Respekt für Kießling und man sei diesem verdienten Stürmer etwas schuldig - allerdings offenbar nicht, ihm künftig einen Stammplatz zurückzugeben, sondern vielmehr: "Sich nach der Hinrunde mit ihm zu unterhalten und seine Wünsche zu hören". Danach könne man dann eine Entscheidung treffen, "die für alle Seiten die beste ist."

Chicharito ist Stürmer Nummer eins

Das klingt erstens nicht gerade so, als wolle Schmidt Kießling unbedingt halten und zweitens, als könnte sich tatsächlich erweisen, dass Kießling trotz Vertrags bis 2017 am Samstag sein letztes Heimspiel für Bayer Leverkusen gemacht hat. "Wenn du Stefan Kießling heißt, hast du auch Anfragen von anderen Klubs", versichert Sportchef Rudi Völler. Jetzt gehen die Spekulationen erst richtig los, welches Trikot Kießling in der Rückrunde trägt. Hannover und Stuttgart suchen einen Stürmer.

Auch die Gladbacher hätten Bedarf unter Berücksichtigung jener Leistung, die der Ergänzungsspieler Josip Drmic mal wieder geliefert hat. Der Zehn-Millionen-Einkauf, in der vergangenen Saison in Leverkusen von Schmidt verschmäht, findet im Gladbacher Spiel keine Bindung, war am Samstag aber nur ein schwacher Borusse unter vielen. "Katastrophal", fand Kapitän Granit Xhaka jene Mannschaftsleistung, die im elften Bundesligaspiel unter dem Trainer André Schubert die erste Niederlage einbrachte. Schubert lobte hinterher nur einen einzigen: "Stefan Kießling hat ein überragendes Spiel gemacht."

Die Fans haben Kießling nicht abgeschrieben

879 Minuten hat Kießling in der Hinrunde gespielt, das sind, auf 16 Hinrundenspiele gerechnet, im Schnitt 55 Minuten pro Partie. 15 Mal hat er spielen dürfen, neun mal von Anfang an, zwei Mal wurde er aus- und sechs Mal eingewechselt. Das reicht ihm nicht. Stürmer Nummer eins bei Schmidt ist Javier Hernandez, genannt 'Chicharito'. Er hat gegen Gladbach drei Tore binnen 13 Minuten geschossen, damit nun zehn in der Bundesliga und insgesamt 17 in 20 Pflichtspielen für Leverkusen.

Am Samstag haben Hernandez und Kießling ausnahmsweise zusammen stürmen dürfen - es hat vorzüglich funktioniert. Dennoch hat Kießling Zweifel, ob Schmidt ihm künftig mehr Spielzeit einräumt. Den Mexikaner Hernandez haben sie bei seiner Auswechslung mit dem Titellied der alten TV-Serie "Speedy Gonzalez" verabschiedet. "Speedy-bi, speedy-bo, die schnellste Maus von Mexiko", dröhnte es durch die Arena und Kießling in den Ohren.

Doch die Fans haben ihn nicht abgeschrieben. Sie lockten ihn mit minutenlangen Sprechchören aus den Katakomben und feierten ihn. Fast liebevoll verabschiedete sich der gerührte Kießling von den Zuschauern. Auch dieses Bild nehmen Beobachter als Indiz dafür, dass Kießling den Klub verlässt. Sollte dies so eintreffen, hätte er in seinem letzten Heimspiel für Leverkusen mit vier Scorerpunkten noch einmal eine persönliche Bestmarke aufgestellt. Zuvor hatte er jedoch vier Monate lang gar nicht getroffen, sein bis dato einziger Bundesligatreffer datierte aus dem ersten Saisonspiel.

"Ich bin seit zehn Jahren in Leverkusen und habe noch nie so oft auf der Bank gesessen", sagt Kießling. "Da ist man als Stürmer natürlich genervt." Der gebürtige Franke lässt offen, ob er in der Rückrunde noch für Leverkusen spielt. "Ich liebe diesen Verein über alles, aber ich will auch spielen." Über dieses Dilemma müsse er nun erst einmal nachdenken.

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