Hightech aus der Provinz:Deutscher Roh-Stoff für Christo

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Auf etwa zehn Millionen Euro beziffert der Künstler Christo die Kosten seines nächsten Projekts. Es gibt weder Sponsoren noch öffentliche Mittel. "Ich möchte frei entscheiden können", sagt er. Die Kosten finanziert er über den Verkauf von Zeichnungen. (Foto: dpa)
  • Wenn Verhüllungskünstler Christo im kommenden Sommer in Italien sein nächstes Projekt startet, kommt der Rohstoff dafür aus Greven.
  • Das Riesenprojekt zeigt, was in der deutschen Textilindustrie heute noch möglich ist - und wo die Grenzen der Wirtschaftlichkeit liegen.

Von Elisabeth Dostert, Greven

An Tagen wie diesen kann Gelb die Rettung sein. Ein grauer Himmel hängt über Greven. Im Regen wirkt das Braun der Backsteinbauten noch dumpfer. Diana Göcke, sie arbeitet im Vertrieb des Textilherstellers Setex, schiebt ein Stück Stoff über den Tisch im Besprechungsraum. Es hat das Gelb von Dahlien, es verheißt Sommer und Wärme. Genau diese Farbe hat sich Christo gewünscht.

Das nächste Projekt des Verpackungskünstlers heißt "The Floating Piers". Über einen dahliengelben Steg wird Christo vom 18. Juni bis zum 3. Juli 2016 zwei Inseln im oberitalienischen Iseosee mit dem Festland verbinden. "Mitte 2014 ist Wolfgang Volz, Christos Projektleiter und Fotograf, auf uns zugekommen", erzählt Göcke. Sie redeten über Farben und Gewebe: Sonnengelb oder Dahliengelb. Setex hat dann Muster produziert. "Wir sind uns ziemlich schnell einig geworden." So wurde der Mittelständler ein Element in der Lieferkette für das Kunstprojekt.

Gelbe Stoffe verwendeten Christo und seine 2009 verstorbene Frau Jeanne-Claude häufig. Rotorange war der Talvorhang, den sie Anfang der 70er-Jahre zwischen zwei Bergzüge im US-Bundesstaat Colorado spannten. Sandsteinfarben die Hülle, in die das Paar 1985 den Pont Neuf in Paris packte. "Für mich sind das unterschiedliche Farben", sagt Christo: "Ich habe zwar eine Affinität zu Gelb. Aber die Auswahl der Farbe ist in vielen Fällen gar nicht die Konsequenz einer künstlerischen Entscheidung, sondern situationsbedingt." Der Stoff, den Christo und Jeanne-Claude 1983 um elf Inseln in der Biscayne Bay schlangen, war rosa, "weil Rosa in Miami Beach eine große Rolle spielt".

Hinter der Kunst steckt Hightech

"The Floating Piers" ist ein Großprojekt, an dem viele Unternehmen beteiligt sind. Ihm nachzugehen zeigt auch, wie die Produktionsketten in der Textilindustrie heute aussehen und was in Deutschland noch möglich ist. Hinter der Kunst steckt Hightech. Setex webt den Stoff. Zwei Firmen aus Wuppertal sind auch beteiligt. PHP Fibres, ein Tochterunternehmer der thailändischen Indorama Ventures, hat das Polyamidgarn gesponnen, und der Textilveredler Gebr. Wylach hat es gefärbt. "Es ist nicht ganz einfach, ein technisches Garn zu färben", sagt Marc Wylach, Chef des Familienunternehmens mit 30 Mitarbeitern und rund fünf Millionen Euro Umsatz: "Es geht um Nuancen, die ein Laie kaum unterscheiden kann. Christo hat sehr hohe Ansprüche." Für gewöhnlich färbt Wylach Garne für die Autoindustrie, Möbelstoffhersteller und Seilereien. Dahliengelb kommt da eher selten vor.

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Er findet es schrecklich, ohne Jeanne-Claude leben zu müssen. Und Christo hasst es auch, "Verpackungskünstler" genannt zu werden. Er verachtet Menschen, die moderne Kunst nicht begreifen. Aber dank Knoblauch geht es ihm ansonsten bestens.

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Christos schwimmender Steg ist 16 Meter breit und drei Kilometer lang. Auf einer Länge von insgesamt 2,6 Kilometern werden zudem die Bürgersteige in Sulzano und Peschiera Maraglio mit dem gelben Gewebe ausgelegt. Fast 100 000 Quadratmeter Stoff braucht Christo für das Projekt, nicht viel weniger als einst für die Hülle des Reichstags. Das Polyamid-Gewebe ist wetterfest, farb- und lichtecht, Nummer 1033 im RAL-Farbregister. 200 000 Schwimmwürfel. Auf etwa zehn Millionen Euro beziffert Christo die Kosten. Es gibt weder Sponsoren noch öffentliche Mittel. "Ich möchte frei entscheiden können", sagt der Künstler. Die Kosten finanziert er über den Verkauf von Zeichnungen.

Auferstanden aus dem Niedergang der deutschen Textilindustrie

"Die Zimmer für Juni sind schon gebucht", sagt Konrad Schröer. Ihm und Markus Enk gehört die Setex-Gruppe mit Sitz in Hamminkeln-Dingden. Die Region war einmal eine Hochburg der deutschen Textilindustrie. Das ist lange vorbei. Schröer hat die Firma 1990 gegründet. Er war damals Vertriebschef der Firma Vagedes, die stellte Flanell und Biberstoffe her und sollte liquidiert werden. "Ständig kamen Interessenten in die Firma. Ich habe schnell gemerkt, dass die eigentlich nur die Kundenkartei wollten, aber weder Maschinen noch Mitarbeiter." Schröer stieg dann selbst ein. Das war nicht ganz einfach. "Die Banken gaben damals kein Geld für Textilfirmen." Über die Volksbank bekam Schröer schließlich eine Landesbürgschaft, und er beteiligte, weil ihn seine Frau dazu drängte, seinen alten Lehrling Enk mit 25 Prozent.

Die ersten Jahre liefen gut. "Das waren die Jahre der Wiedervereinigung. Die Leute haben gar nicht nach dem Preis gefragt, sondern nur: ,Wie viel kannst du liefern?' Nach und nach hat Schröer noch andere mehr oder weniger angeschlagene Firmen übernommen: die Grenzlandfärberei Bocholt und die Anton Cramer GmbH aus Greven. Über die Jahre ist eine Gruppe mit gut 150 Millionen Euro entstanden. "Wir haben immer Gewinn gemacht."

2013 kam die Firma Schilgen aus Emsdetten dazu, die eng mit Christo zusammenarbeitete. Sie lieferte das silbrigglänzende Gewebe, in das der Künstler 1995 den Reichstag in Berlin hüllte. "Eigentlich fuhr ich nach Emsdetten, um zwei Webmaschinen zu kaufen", so Schröer, "nach gut einer Stunde hatte ich die Firma." Die Produktion in Emsdetten hat er eingestellt, Christos Stoff kommt heute aus Greven.

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Schröer will beweisen, dass man in Deutschland noch Textilien herstellen kann. Er ist ein freundlicher Herr im dunklen Anzug mit dezent gestreiftem Hemd, die Krawattennadel sitzt korrekt, aber er ist nicht naiv. Er greift durch. "Man kann nicht jede Firma retten", sagt er mit Bezug auf Emsdetten. Aber: "Die Hoffnung ist ein schlechter Ratgeber." Für den 64-Jährigen zählen Zahlen, jeder Standort muss sie monatlich vorlegen, um zu sehen, wie es läuft. "Man muss schon sehr produktiv, schnell und beweglich sein, um in Deutschland produzieren zu können", sagt Schröer: "Wo die Maschinen heute stehen, ist nicht mehr so entscheidend."

Was sich lohnt, hängt von den Lohnkosten pro Meter ab

An den deutschen Standorten stellt Setex Produkte her, bei denen der Lohnkostenanteil unter 20 Prozent liegt. "Bis auf das Baumwollfeld, das wir nicht haben, decken wir alles ab", sagt Schröer. Er stellt Bettwäsche für Firmen wie Aldi, Karstadt und das Dänische Bettenlager her. Genäht wird sie in den Werken in Polen, wo knapp die Hälfte der insgesamt 1100 Beschäftigten arbeitet. Setex färbt und beschichtet Stoffe für Hosenfabrikanten wie Brax oder Gardeur, die Rohware wird in Asien eingekauft. Feinere Stoffe mit mehr als 40 Schuss, das sind im Gewebe die Querfäden, lassen sich Schröer zufolge nicht mehr in Deutschland herstellen, weil es sehr viel länger dauert, einen Meter Ware zu weben. Damit steigen auch die Lohnkosten pro Meter. Am lukrativsten sei das Geschäft mit technischen Textilien, zum Beispiel Gewebe für Leichtbauteile oder flammenhemmendes Material für Vorhänge in Theatern und Museen.

In der neuen Webmaschine in Greven klemmt noch eine Rolle des dahliengelben Gewebes. Setex hat seinen Teil der Arbeit schon abgeschlossen. In Pappkisten stecken noch ein paar Spulen Garn, in einer Box Webabfälle, lange Bänder mit Fransen. "Das wird alles gesondert entsorgt", sagt Göcke. Kein Faden soll in die falschen Hände gelangen. Die mehr als fünf Meter breiten Stoffrollen liefert Setex nach und nach an den Mittelständler Geo - Die Luftwerker in Lübeck, der sie konfektioniert. Er schneidet den 5,2 Meter breiten Stoff für die Abdeckung der Pontons in sechs Streifen und näht diese dann zu Feldern von 31 mal 17,3 Metern zusammen. "Ich rechne mit etwa 6000 Arbeitsstunden", sagt Firmengründer Robert Meyknecht.

Am 4. Juli wird alles vorbei sein. Der Stoff wird recycelt. Von der Firma Altex aus Gronau wird er zu Vlies verarbeitet.

Das Dahliengelb geht unter.

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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