Klimawandel:Natur in der Arktis: Hering auf Abwegen

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Ein Eisbär und sein Kühlschrank: Dieser hat die Überreste eines erlegten Delfins so in den Schnee eingebuddelt, dass sie frisch bleiben.

(Foto: Jon Aars/AFP)

Das wärmere Wetter verwirrt viele Tierarten. Eisbären jagen Delfine, der Kabeljau schwimmt nach Norden. Die Veränderungen gehen schneller vonstatten denn je.

Von Silke Bigalke

Eisbär frisst Delfin, die Szene hat Schlagzeilen gemacht. Der Eisbär lebt auf Spitzbergen in der Arktis, sein Fang waren zwei Weißschnauzendelfine. Über den zweiten schaufelte der Bär etwas Schnee, um ihn zu verstecken und für später aufzusparen. Dabei fotografierte ihn im April 2014 ein norwegischer Forscher, der der Sache nachging. Weißschnauzendelfine sind zwar schon häufiger vor Spitzbergen gesehen worden, allerdings im Sommer.

Diese beiden Delfine hatten sich aber im April dorthin verirrt, viel zu früh im Jahr. Vielleicht haben sie sich vom wärmeren Wetter täuschen lassen. Dann hat das Eis sie eingeschlossen und der Eisbär hat darauf gelauert, bis sie durch ein Loch in der Eisdecken auftauchen mussten. Später fanden die Forscher sieben weitere Delfingerippe in der Gegend, an denen Eisbären nagten.

Eine "glückliche Situation"?

Der ausgehungerte weiße Bär ist zu einem Symbol im Kampf gegen den Klimawandel geworden. Weil das Eis in der Arktis schmilzt, verliert er seine Jagdgründe. Das wärmere Wetter verwirrt viele Tierarten und zwingt sie, ihr Verhalten zu ändern. Für Norwegen, dessen wichtigste Branche nach der Ölindustrie die Fischerei ist, hat das Konsequenzen, die noch gar nicht absehbar sind. Kabeljau, Schellfisch, Makrele und Seelachs breiten sich wegen des milderen Klimas aus. Bisher wachsen die Bestände.

Vor Norwegens Küste gebe es heute mehr Kabeljau als nach dem Zweiten Weltkrieg, als lange gar nicht gefischt worden war, sagt Otto Gregussen, Generalsekretär des Norwegischen Fischer-Verbands Norges Fiskarlag und spricht von einer "glücklichen Situation". Zu den Warnungen einiger Forscher, dass es bald wieder bergab gehe mit dem Fischreichtum, sagt er nur, das könne man nicht wissen.

Wie der Klimawandel die Arktis in den nächsten Jahrzehnten verändern wird, wagt niemand vorhersagen. Doch Wandel ist sichtbar: Die norwegische Küstenwache klagt, dass der Verkehr in der Arktis zunimmt - nicht nur wegen der Fischer, die den Schwärmen in den Norden folgten und sich über ein immer größer werdendes Gebiet verteilten. Mehr Handelsschiffe nutzen die Nordostpassage vorbei an Norwegens Nordküste, der Tourismus auf Spitzbergen nimmt zu. Dazu kommen die schwimmenden Bohranlagen der Ölindustrie. 80 Prozent des Verkehrs in der Arktis fährt durch norwegische Gewässer.

Wohin kann der Kabeljau noch wandern?

Auch unter der Wasseroberfläche wird es voller. Fische aus wärmeren Gewässern schwimmen seit Jahrzehnten Richtung Nordsee, Fische aus der Nordsee ziehen tiefer in die Arktis. Dort mischen sich sogenannte boreale Arten wie Hering und Kabeljau mit arktischen Spezies, die sich selbst weiter Richtung Nordpol zurückziehen. "Dies alles geschieht ziemlich schnell, der stetige Wandel der Fischarten wird sich beschleunigen", sagt Svein Sundby, Wissenschaftler am Norwegischen Institut für Meeresforschung.

Wie kommen Fische aus der Nordsee mit der Dunkelheit in der Barentssee zurecht? Wohin kann der Kabeljau, der es bis vor Spitzbergen geschafft hat, noch wandern? Weiter nördlich jedenfalls kommt er laut Sundby nicht, dann wird das Wasser zu tief für ihn - ein Limit, an das auch andere Fischarten stoßen könnten. Zwei Grad Erderwärmung bis Ende des Jahrhunderts hält Sundby für unvermeidlich, der Anstieg in der Arktis wird doppelt so hoch, vier Grad. "Das ist eine enorme Veränderung", sagt der Forscher. Die Erfahrungen aus den vergangenen Jahrzehnten helfen wenig. "Ich fürchte, viele Menschen erkennen nicht, dass die Veränderungen dramatischer werden als das, was wir bisher gesehen haben."

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