Streit um Magenverkleinerung:Adipositas-Patient bekommt keine OP bezahlt - und stirbt

Streit um Magenverkleinerung: Eine Magenverkleinerung kann Leben retten.

Eine Magenverkleinerung kann Leben retten.

(Foto: imago)
  • Benjamin E. war krankhaft übergewichtig. Seine Ärzte rieten ihm zur Magenverkleinerung, doch die Krankenkasse verweigerte ihm die OP.
  • Nun ist E. mit nur 27 Jahren gestorben.
  • Ein Fachanwalt für Sozialrecht streitet bundesweit für die Interessen krankhaft übergewichtiger Menschen - und sieht die Betroffenen in Bayern besonders benachteiligt.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel, sagt man in Bayern. Der junge Münchner Benjamin E. hätte darüber nicht lachen können: Seine gewaltige Leibesfülle stieß stets und überall auf Ablehnung. Auf der Straße zeigten Kinder mit den Fingern auf ihn: "Mami, warum ist der Mann so fett?" E. wollte das immer wieder ändern, wollte seine 160 Kilo Körpermasse abschmelzen.

Ärzte rieten dem Mann mit dem Body-Mass-Index (BMI) 54 dringend zur Magen-Operation. Mehrere Jahre stritt der Münchner deswegen mit der AOK Bayern, die eine Kostenübernahme strikt ablehnte und auf konservative Therapien verwies. Doch bevor Richter seinen Fall entscheiden konnten, starb Benjamin E. mit nur 27 Jahren.

Von "krankhaftem Übergewicht mit einem sehr hohen Risiko für Begleiterkrankungen" sprechen Mediziner bei einem Body-Mass-Index von mehr als 40. Der BMI wird berechnet, indem das Gewicht durch die Körpergröße im Quadrat geteilt wird. Ideal gilt ein BMI von 18,5 bis 25, oberhalb eines BMI von 50 sehen viele Ärzte die konservative Therapie als aussichtslos an.

Es gibt zwei Gegner: Kilos und Krankenkassen

Tim Christian Werner, Fachanwalt für Sozialrecht aus Frankfurt, streitet bundesweit für die Interessen krankhaft übergewichtiger Menschen. Er nennt das, was E. passierte, "das bayerische Problem". Menschen mit Fettsucht sehen sich zwei Gegnern gegenüber: den Kilos und den Krankenkassen. Werner, der mehr als 2000 Adipositas-Klienten betreut hat, erhebt massive Vorwürfe: "In Bayern werden die Magenoperationen den Patienten systematisch vorenthalten", sagt er. "Gegen alle wissenschaftliche Erkenntnis und gegen jede ärztliche Empfehlung."

Wenn Menschen trotz Diät, Sport, professioneller Ernährungsberatung und Psychotherapie erfolglos gegen exorbitantes Übergewicht kämpfen, raten Fachärzte oft zum operativen Eingriff. Eine Verkleinerung des Magens oder ein Bypass sollen bewirken, dass weniger Nahrung aufgenommen werden kann und schneller ein Sättigungsgefühl eintritt. Magenverkleinerungen würden "viel zu selten gemacht", beklagte schon vor einiger Zeit Thomas Hüttl, Ärztlicher Direktor des Adipositaszentrums in Bogenhausen. Solche bariatrische Operationen seien langfristig aber oft auch für die Kassen kostengünstiger.

Alle halten sich an die Leitlinien - außer Bayern

Unter Federführung der Deutschen Adipositas-Gesellschaft wurde 2014 eine neue Leitlinie zur "Prävention und Therapie der Adipositas" erarbeitet: Demnach soll operiert werden, "wenn die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist" oder wenn der Gesundheitszustand des Patienten keinen Aufschub erlaube. "Ab BMI 50 gewinne ich deutschlandweit praktisch jeden Fall, falls es überhaupt zum Streit kommt", sagt Anwalt Werner. "Weil Krankenkassen, Sachverständige, Gerichte und auch der Medizinische Dienst der Krankenkassen, der MDK, sich an diese Leitlinien halten - doch nicht so in Bayern."

Werner zählt einige aus seiner Sicht typische Fälle auf. Christine I. ist 34 Jahre alt, 1,65 Meter groß und wiegt 164 Kilogramm. Ihr BMI berechnet sich damit auf 60. Sie leidet seit dem sechsten Lebensjahr unter Adipositas. Als Rangierleiterin bei der Bahn kann sie nicht mehr arbeiten. Wegen häufiger Erkrankungen ist nun auch ihr Bürojob gefährdet. Die alleinerziehende Mutter leidet unter Diabetes und Bluthochdruck. Nach Aussagen von Anwalt Werner verweist ihre Betriebskrankenkasse seit zwei Jahren stoisch auf herkömmliche Therapien. Eine "leitliniengerechte Prüfung" werde von der Kasse ebenso verweigert wie vom MDK.

Gleich neun fachärztliche Indikationen kann Ulrike B. vorlegen. Trotzdem kämpft die 200-Kilo-Frau mit BMI 67 um die Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Ihr Fall liegt beim Sozialgericht München. "Der Chirurg, der operieren soll, ist fassungslos", sagt der Anwalt. Konservative Therapien seien nachweislich erfolglos geblieben.

In Bayern dürfen es sich Adipositas-Patienten nicht zu einfach machen

Eine positive Überraschung war immerhin der Fall von Torsten M., der mit seinen 230 Kilo vor dem Sozialgericht Regensburg geklagt hatte. Auch er will durch eine Magenverkleinerung seinen BMI von 68 drastisch verringern. "Obwohl ein halbes Dutzend Ärzte die medizinische Notwendigkeit und Dringlichkeit eindrucksvoll bescheinigt haben, sagt der MDK nein zur Operation", erklärt Werner, und "die AOK folgt diesem Votum blind." Im Prozess habe die vom Gericht bestellte Sachverständige überraschend zugunsten des Klägers votiert, sagt der Anwalt. "Doch die AOK erkennt das der OP zustimmende Urteil der ersten Instanz nicht an und hat Berufung zum Landessozialgericht eingelegt."

Die Rechtsprechung der vergangenen Jahre zeigt: In Bayern dürfen es sich Adipositas-Patienten nicht zu einfach machen, wenn es darum geht, Gewicht zu reduzieren. Ehe die Kassen die Kosten von mehr als 5000 Euro übernehmen, müssen alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sein, das Gewicht zu reduzieren. Richter betonen immer wieder, es bedürfe einer besonderen Rechtfertigung für einen Eingriff in ein gesundes Organ.

Das bayerische Landessozialgericht stellte in richtungweisenden Entscheidungen klar, gescheiterte Diät-Bemühungen seien allein kein Grund, "die chirurgische Behandlung als notwendige und wirtschaftliche Maßnahme anzuerkennen". Erwartet werden wenigstens sechs bis zwölf Monate dauernde ärztlich begleitete Versuche der Gewichtsreduktion. Dazu ein Konzept mit psychologischer Begleitung sowie Beratung zu Ernährung und Bewegung. Immer wieder bemängeln Sozialrichter, den Versuchen der Kläger fehle es an Nachhaltigkeit.

Das Gericht betont jedoch, dass in etlichen Fällen auch ohne Urteile pragmatische Lösungen gefunden werden. Auf jeden Fall gelte: "Die Kassen müssen sich an unsere Rechtsprechung halten." Bayern halte sich dabei an die Vorgaben des Bundessozialgerichts. Das Gericht bezweifelt daher, dass Sozialrichter in anderen Bundesländern die Anforderungen an OP-Voraussetzungen weniger streng berurteilen würden.

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