Wirtschaftslage:Wir leben in Deutschland, nicht im Paradies

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Bürger und Unternehmen geben nach einem konjunkturell starken 2015 gelassen. Aber sie sollten sich nicht auf dem Boom ausruhen. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

2015 war ein gutes Jahr für deutsche Unternehmen. Doch sie müssen anfangen, sich für zwei große Herausforderungen zu rüsten: Die Digitalisierung und den Terror.

Kommentar von Caspar Busse

Stark und unbeeindruckt von den Krisen der Welt - so präsentierte sich die deutsche Wirtschaft im gerade abgelaufenen Jahr, mal wieder. Die Exporte laufen, die Auftragslage ist gut, die Arbeitslosigkeit gering. Allein die 100 größten deutschen Unternehmen steigerten in den ersten drei Quartalen 2015 ihren addierten Umsatz um immerhin 8,2 Prozent auf fast 1,2 Billionen Euro, die Zahl der dort Beschäftigten stieg auf 4,8 Millionen. Eine durchaus beeindruckende Bilanz.

Trotzdem wäre es verantwortungslos, jetzt einfach die Hände in den Schoß zu legen und den Boom zu genießen. Denn viele Probleme und Gefahren werden derzeit von zwei wichtigen Entwicklungen überdeckt, die zu einer Sonderkonjunktur führen, gerade für die exportorientierten deutschen Unternehmen. Zum einen ist Öl so billig wie schon lange nicht mehr. Das entlastet massiv die Kostenseite der Firmen und trägt zur Konsumlust der Verbraucher bei, die nun mehr Geld zur Verfügung haben. Zum anderen sorgt der schwache Euro für eine Exportförderung der besonderen Art, die Wettbewerbsfähigkeit steigt. Deutsche Produkte werden für Käufer außerhalb des Euro-Raums billiger. Dazu kommen die niedrigen Zinsen durch die Flutung der Märkte mit Geld durch die Europäische Zentralbank (EZB).

Mancher könnte also schon meinen, er sei im Paradies. Doch die Gefahren lauern überall.

Der weltweite Terror durch den sogenannten Islamischen Staat bringt Unsicherheit, besonders für die exportabhängige deutsche Wirtschaft. In China hat sich das Wachstum zuletzt merklich abgekühlt, der Export nach Russland hat sehr unter den Sanktionen gelitten. Überhaupt haben die noch vor wenigen Jahren hochgerühmten Schwellenländer, von deren Aufschwung gerade die deutsche Wirtschaft mit der Lieferung von Maschinen und Ausrüstungsgütern profitierte, sehr zu kämpfen. Dazu kommt die Digitalisierung, die jahrzehntelang bewährte und einträgliche Geschäftsmodelle von heute auf morgen ins Wanken bringen kann. Ist gerade die deutsche Wirtschaft dafür gut gerüstet? Zweifel sind angebracht.

Noch besteht kein Druck - aber bald ist es zu spät

Noch immer ist die Abhängigkeit von der Automobilwirtschaft enorm. Allein vier der zehn umsatzstärksten deutschen Konzerne sind Autobauer, darüber hinaus gibt es eine hohe Zahl von Zulieferern, von ganz groß bis sehr klein. Der Abgasskandal bei Volkswagen - die Wolfsburger haben jahrelang Emissionswerte bewusst manipuliert - hat das eigentlich positive Image der Branche arg ramponiert. Dazu kommen fundamentale Veränderungen: Elektromobilität und alternative Mobilitätskonzepte sind die Themen der Zukunft. Große US-Konzerne wie Google oder Apple arbeiten an Fahrzeugen, die selbständig herumkurven sollen. Für die deutschen Hersteller von vor allem großen und teuren Limousinen tauchen damit gefährliche Konkurrenten auf.

Die deutsche Industrie ist auf all das möglicherweise nicht gut vorbereitet. Noch besteht ja kein unmittelbarer Druck, an Innovationen zu arbeiten. Das "alte" Geschäftsmodell - etwa der Verkauf großer, mit viel Technik ausgestatteter und spritschluckender Fahrzeuge - läuft (noch) gut. Bald ist es zu spät.

Die Vorzeigeunternehmen haben wenig vorzuzeigem

Noch größere Probleme haben andere Vorzeigeunternehmen der deutschen Industrie. Die Energiekonzerne Eon und RWE etwa ringen um eine neue Strategie, ziehen sich aus dem Ausland zurück und probieren unterschiedliche Arten der Aufspaltung, um mit der Energiewende fertig zu werden. Der Ausgang dieser Experimente ist höchst ungewiss. Lufthansa ringt sowohl mit den eigenen Mitarbeitern um Zugeständnisse als auch mit konkurrierenden Airlines um Marktanteile. Billiglinien wie Ryanair oder Easyjet bedrängen das stolze Traditionsunternehmen in Europa - und international laufen die Golf-Carrier wie Emirates oder Etihad den Deutschen den Rang ab.

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Nicht gut ist es auch um Thyssen-Krupp bestellt, die Essener haben lange an Fehlern der Vergangenheit laboriert und sind gleichzeitig mit harter Konkurrenz aus Asien konfrontiert. Oder Siemens: Konzernchef Joe Kaeser ist den Beweis noch schuldig, wie endlich wieder nachhaltiges und hohes Wachstum für den Konzern möglich ist. Schwer unter Druck ist auch die Chemie- und Pharmaindustrie: Weltweit tun sich Konkurrenten zusammen und schließen Multi-Milliarden-Deals. Ob die ein Erfolg werden, ist zwar keineswegs ausgemacht, aber die Deutschen sind doch alarmiert.

Es ist also nicht das Paradies, leider. Aber die derzeit günstigen Bedingungen sollten die Unternehmen nutzen, um sich für die großen Veränderungen zu rüsten.

© SZ vom 04.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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