Dichters Performance:Wortmaschine

Tondokumente des Dichters Thomas Kling existieren zahlreich. Dabei geht seine körperliche Präsenz verloren - sein feldwebelhafter Umgang mit dem Publikum, sein scharfer Blick. Eine DVD zeigt ihn nun bei einer Lesung.

Von Tobias Lehmkuhl

Mitten im Raum steht ein Kühlschrank, umwickelt mit gelbem Nylonband. "Effi Briest" heißt die Installation von Martin Gostner, und als Thomas Kling im März 1989 im Atelier Peter Bömmels in Köln neben ebendiesem Objekt aus seinem ersten, bei Suhrkamp erschienenem Gedichtband "geschmacksverstärker" liest, hat er auch einen knitterigen Zettel dabei, auf dem ein frisch geschriebener Text steht: "effi b.; deutschsprachiges polaroid". Und wenn darin auch von keinem Kühlschrank die Rede ist, so doch immerhin von "1 spülmaschine, elektr. / dosenöffner, bodystockings (= neumieder) und worte; / e. als (wider)wortmaschine, dida sagt sehnsuchtsehnsucht / zu sich".

Es helfen keine neuen Küchengeräte; Effi will einfach nicht funktionieren in der Welt, die ihr zugewiesen ist. So wird sie für diesen Abend zur Heldin der Kölner Kunstszene, Heldin eines noch jungen, 31-jährigen Dichters, dem die klassische Dichterrolle ebenso ein Graus ist wie Effi das Hausfrauenleben: Statt sich an einen Tisch zu setzen, vor sich ein Glas Wasser, stellt er sich neben den Nylon-Kühlschrank; statt melancholisch vor sich hin zu murmeln, schießen die Worte messerscharf aus seinem Mund. Da es ganz ohne Wasser aber nicht geht, steht zu seinen Füßen ein Plastikbecher.

Dass man diesen Becher, der irgendwann umkippt, den Kühlschrank und Kling überhaupt sehen kann, ist dem Künstler Boscher Theodor zu verdanken, der damals, als einer der ersten wohl in einer ganzen Reihe von Kling-Verehrern, diese Atelier-Lesung mit seiner Kamera dokumentiert hat.

Die Pose zur Performance vermittelt nur das Bild

Tondokumente von Kling existieren zahlreich; eine große Hörbuch-Edition wurde jüngst sogar mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet. "Die gebrannte Performance", so der Titel, lässt zuweilen allerdings das vermissen, was mit dieser kurzen DVD nun nachgereicht wird: Die körperliche Präsenz Thomas Klings, sein mitunter Furcht einflößender Blick, seine soldatisch stramme Haltung, sein feldwebelhafter Umgang mit dem Publikum ("Klaus, halt's Maul"), die Pose also, die zur Performance gehörte, zum gelungenen, runden Auftritt.

Hubert Winkels spricht im Beiheft zur DVD vom frühen Thomas Kling als einem "Punk-Popper-Hybrid-Deklamator mit seinem trotzigen Charme zwischen James Dean und Blinky Palermo", Friederike Mayröcker von jemandem, der eine neue Art Schönheit beschwört, eine die uns "ZERFEZT". Von den "dichterzombies" der jüngeren Vergangenheit, die bei Neumond dreimal um den Erlenbaum wandern, von betulich-leisen Tönen will Kling auf jeden Fall nichts wissen. Bei ihm pflatscht "lehmannscher kompott in rilkes einmachgläser." Das hätte vielleicht sogar Effi geschmeckt.

Boscher Theodor: kling ungelöscht. DVD. Verlag Klaus Bittner, Köln 2015. 20 Minuten, 45 Euro.

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