Weltkonjunktur:Der Crash zeigt: Chinas Börse ist kaputt

Japan Stocks Drop For Fourth Day As China Halts Equity Trading

Der Kursrutsch an den chinesischen Börsen bewegt auch die Aktienmärkte weltweit. Szene aus Tokio, Japan

(Foto: Bloomberg)
  • China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, doch sie steckt in ernsten Schwierigkeiten.
  • Die Regierung bekommt die Krise nicht unter Kontrolle. Das bedroht die Weltkonjunktur.
  • Die chinesische Börsenaufsicht setzt nun eine Notbremse gegen Börsencrashs ein, die sie erst diese Woche eingeführt hatte.

Von Harald FreibergerChristoph Giesen und Stephan Radomsky

Es schwang viel Sarkasmus mit, und dennoch war es seit dieser Woche eine der am häufigsten gestellten Fragen an den Börsenplätzen der Welt: Schaffen die Kollegen in Shanghai und Shenzhen diesmal einen vollen Arbeitstag, oder müssen sie wieder vorzeitig Feierabend machen? Am Montag war der Handel an Chinas Börsen kurz nach der Mittagspause beendet worden. Am Donnerstag dauerte es dann nicht einmal mehr bis zum Lunch. Um 9.59 Uhr, keine 30 Minuten nach dem Handelsstart, war alles schon wieder vorbei - die Börse wurde für den Tag geschlossen. Die Krise des chinesischen Aktienmarktes zeigt auch, wie labil die Weltwirtschaft Anfang des Jahres 2016 ist.

Warum wurde der Handel in China vorzeitig beendet?

Zu Jahresanfang führte die Regierung in Peking eine neue Börsenregel ein. Sie sieht vor, dass der Handel für 15 Minuten unterbrochen werden muss, wenn der Kurs der wichtigsten 300 Aktien um fünf Prozent absackt, bei minus sieben Prozent ist der Handelstag ganz beendet. Die Hoffnung der Regierung: Gewaltige Kursstürze wie im vergangenen Sommer, als der chinesische Börsenboom kläglich endete, sollen damit abgemildert werden. Doch was als Sicherheitsmaßnahme gedacht war, ist zum Katalysator der Krise geworden.

Was war die Ursache für den Einbruch?

Am Montag waren es schlechte Umfragedaten zur chinesischen Industrie, die die Kurse abstürzen ließen. In den Tagen danach hatte Chinas Zentralbank Geld in den Markt gepumpt, auch über Stützkäufe des chinesischen Staatsfonds wurde spekuliert. Am Donnerstag nun schickte die Schwäche der Landeswährung Yuan die Aktien auf Talfahrt, weil die Zentralbank den Wechselkurs zum achten Mal innerhalb kurzer Zeit gesenkt hatte. Zudem waren die meisten Analysten vom starken Rückgang der Währungsreserven überrascht worden. Die Notenbank verkündete, dass die Rücklagen im Dezember auf 3,33 Billionen Dollar geschrumpft waren - um108 Milliarden Dollar, der niedrigste Stand seit drei Jahren. Die Analysten hatten im Schnitt lediglich einen Rückgang von etwa 20 Milliarden Dollar prognostiziert. Die Ursache ist wohl Kapitalflucht, die Chinesen trauen der eigenen Wirtschaft nicht mehr.

Warum reagieren die Investoren so sensibel darauf?

"Die Anleger verlieren zunehmend das Vertrauen in Chinas Führung, dass sie diese Krise noch steuern kann", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Im vergangenen Sommer konnte sie den Kursrutsch nur mit Mühe eindämmen. Auch der Handelsstopp, der die Lage beruhigen sollte, bewirkte nun eher das Gegenteil. "Chinas Börse ist kaputt, sie galt zwar stets als Kasino. Doch selbst für Spekulanten ist sie heute zu gefährlich", urteilt Sebastian Heilmann, Direktor des Mercator Institute for China Studies. "Die Bemühungen der Regierung seit dem Sommer 2015, die Börse regulatorisch und mit Hilfe gewaltiger Finanzspritzen in den Griff zu bekommen, sind gescheitert", meint Heilmann. Kapitalmärkte lassen sich nicht wegsperren wie unliebsame Dissidenten oder zensieren wie die hörige Staatspresse. Was fehlt, ist Vertrauen und vor allem glaubwürdige Akteure, die mit wenigen Sätzen die Märkte beruhigen können - wie etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr damaliger Finanzminister Peer Steinbrück, die im Herbst 2008 nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers die deutschen Sparguthaben für sicher erklärten. Oder wie EZB-Chef Mario Draghi, der versprach, er werde den Euro schützen, "was immer es kostet". Merkel, Steinbrück und Draghi, sie beruhigten die Märkte. Chinas Führung überrascht sie.

Was tut Chinas Regierung, um die Lage in den Griff zu bekommen?

Am Donnerstag hob die chinesische Börsenaufsicht den automatischen Handelsstopp wieder auf. Offenbar hat man in Peking nun begriffen, dass sie keine Sicherheitsmaßnahme, sondern ein Katalysator der Krise gewesen ist. Ebenfalls diskutiert wurde, ein Verkaufsverbot für Großanleger zu verlängern: Im Sommer hatte die Regierung diese Regel erlassen, um den Crash einzudämmen. Eigentlich sollte sie an diesem Freitag auslaufen, weshalb viele Investoren schon vorher Aktien verkauften. Nun könnte es sein, dass das Verbot verlängert wird.

Wie reagierten die anderen Börsen?

Wie schon am Montag kam es an den internationalen Finanzmärkten nach dem Handelsstopp zu Kursstürzen. Der Deutsche Aktienindex (Dax) fiel zeitweise um mehr als vier Prozent und notierte erstmals seit Oktober unter 10 000 Punkten. Die Wall Street notierte kurz vor Handelsschluss etwa zwei Prozent im Minus. Der legendäre amerikanische Investor George Soros fühlt sich daher bereits an den Einbruch der Finanzmärkte vor acht Jahren erinnert. "Ich würde sagen, das wächst sich zu einer Krise aus", sagte Soros auf einer Veranstaltung in Sri Lanka. "Wenn ich mir die Finanzmärkte anschaue, dann gibt es dort ernste Probleme. Das erinnert mich an die Krise, die wir 2008 hatten."

Warum wären von einer Krise in China deutsche Konzerne besonders stark betroffen?

China ist für die exportorientierte deutsche Industrie mittlerweile genauso wichtig wie die USA. Rund acht Prozent aller Ausfuhren gehen in die Volksrepublik. Besonders die Automobilhersteller, Maschinenbauer und Chemiekonzerne profitierten in den vergangenen Jahren vom Boom in China. Nun, da sich das Wachstum abschwächt, leiden sie. Ablesen lässt sich dies auch an der Entwicklung der Aktienkurse in dieser Woche: Während der Dax rund acht Prozent verlor, stürzten die Aktienkurse von VW, BMW, Daimler und Continental um 12 bis 16 Prozent ab.

Wie wirkt sich der niedrige Ölpreis aus?

Er ist ein weiterer Unsicherheitsfaktor für die Weltwirtschaft. Gut 33 Dollar und damit ein Viertel weniger als Anfang Dezember kostete am Donnerstag ein 159-Liter-Fass der Nordseesorte Brent. Seit Jahresbeginn 2015 liegt das Minus bei mehr als 40 Prozent. Die Folge: Sprit und Heizöl sind hierzulande so günstig wie seit Jahren nicht mehr. Zusammen mit den hohen Lohnzuwächsen 2015 und der historisch niedrigen Arbeitslosigkeit wirkt das wie ein Konjunkturpaket und befördert die Binnennachfrage. Andererseits verheißt der Kollaps des Ölpreises unsichere Zeiten. Die Kombination aus einem weltweiten Überangebot und der perspektivisch schwächelnden Nachfrage gerade auch aus China sind ein gewaltiges Problem für viele Ölförderstaaten. Bricht der Ölpreis ein, geraten die Staatshaushalte der Länder ins Wanken - betroffen davon sind zum Beispiel Russland, Nigeria oder Saudi Arabien. Das schürt die Unsicherheit weiter, politisch, aber auch wirtschaftlich. Die Konjunktur in Russland liegt bereits am Boden, die Wirtschaftsleistung schrumpfte 2015 um vier Prozent, Saudi-Arabien hat im Dezember ein umfangreiches Sparprogramm und Wirtschaftsreformen angekündigt. Beide Länder waren dank ihrer Energie-Einnahmen lange Zeit gute Kunden auch der deutschen Exporteure.

Welche Rolle spielen die Notenbanken?

Das Problem ist, dass die westlichen Zentralbanken immer weniger handlungsfähig werden. Die Finanzkrise ab 2008 konnten sie noch mit billigem Geld und Zinsen nahe der Null-Linie einigermaßen eindämmen. Die US-Notenbank Fed begann erst im Dezember damit, die Zinsen nach sieben Jahren wieder zu erhöhen. Eigentlich müssten weitere Zinsschritte folgen. Doch wenn sich die von China ausgehende Krise der Weltwirtschaft ausweitet, ist das fast nicht möglich. Die Folge wäre eine langfristige Abhängigkeit vom billigen Geld, mit allen negativen Konsequenzen: Es besteht die Gefahr, dass sich auf den Aktien- und Immobilienmärkten Blasen bilden und dass die Industrienationen auf Dauer zu keinem Aufschwung finden, der sich selbst trägt.

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