Feminismus:#ausnahmslos - ein neuer Aufschrei nach Köln

Anne Wizorek

Aufschrei-Aktivistin Anne Wizorek initiiert einen neuen Hashtag: #Ausnahmslos.

(Foto: Stephanie Pilick/dpa)

Sexismus ist nicht nur ein Problem der "anderen": Feministinnen um Anne Wizorek wenden sich mit der Kampagne #ausnahmslos gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus.

Von Barbara Vorsamer

Wo bleibt eigentlich der neue Aufschrei? Nach den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln fanden viele Beobachter den sogenannten Netzfeminismus auffallend ruhig - bis jetzt. Knapp zwei Dutzend Feministinnen um Aufschrei-Initiatorin Anne Wizorek, Kübra Gümüşay und Emine Aslan haben einen offenen Brief geschrieben, in dem sie sich gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus wenden. Immer und überall - der Hashtag zur Kampagne lautet #ausnahmslos.

Schon vor der Veröffentlichung ist das Statement mehr als 400 Mal unterzeichnet worden, unter anderem von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD), den Politikerinnen Claudia Roth, Renate Künast (beide Grüne) und Katja Kipping (Linke), den Publizistinnen Anke Domscheit-Berg und Antje Schrupp und den Musikerinnen Inga Humpe und Sookee. Auch internationale Aktivistinnen wie Laurie Penny haben sich beteiligt.

Sexistisch sind nicht nur "die anderen"

Im Statement heißt es: "Der konsequente Einsatz gegen sexualisierte Gewalt jeder Art ist unabdingbar und von höchster Priorität. Es ist für alle schädlich, wenn feministische Anliegen von Populist_innen instrumentalisiert werden, um gegen einzelne Bevölkerungsgruppen zu hetzen, wie das aktuell in der Debatte um die Silvesternacht getan wird. Sexualisierte Gewalt darf nicht nur dann thematisiert werden, wenn die Täter die vermeintlich 'anderen' sind." Sie dürfe nicht nur dann Aufmerksamkeit finden, wenn die Opfer weiße Frauen sind. Es folgen Forderungen an Politik, Gesellschaft und Medien, die größtenteils altbekannt und erwartbar sind: Sexuelle Belästigung muss ein Straftatbestand werden, Beratungsstellen brauchen mehr Geld und die Debatte muss differenziert geführt werden.

Überraschend muten höchstens die Forderung einer geschlechtersensiblen Pädagogik und das Eintreten gegen sexistische Werbung an. Spielen die Inhalte von Kinderbüchern oder Abbildungen auf Werbeplakaten wirklich eine Rolle im Zusammenhang mit sexueller Gewalt wie sie in Köln stattfand? Einer Gewalt, über die auch Gümüşay sagt: "Das hatte eine neue Dimension, eine Dimension von organisierter Kriminalität."

Doch ja, nach Meinung der #ausnahmslos-Initiatorinnen hat das alles sehr viel miteinander zu tun. "Unsere Gesellschaft hat ein Sexismus-Problem auf allen Ebenen", sagt Gümüşay und fordert nun eine Diskussion darüber. Das Statement will beweisen, dass man über Sexismus diskutieren kann, ohne in rassistische Fallen zu tappen. Denn: "Natürlich haben arabische oder türkische oder sogenannte 'nordafrikanische' Communitys ein Sexismus-Problem", so die Publizistin. "Doch das haben sie nicht exklusiv."

Diskriminierung funktioniert immer ähnlich

In der Diskussion um und nach Köln wurden Rassismus und Sexismus häufig gegeneinander ausgespielt. Viel zu selten ging es um die Frage, was die betroffenen Frauen erlebt haben, wie es ihnen jetzt geht, wer ihnen hilft - und viel zu oft um die Frage, welche Hautfarbe, Herkunft oder Religion die Täter hatten und ob dies thematisiert werden darf, soll, muss oder besser nicht. Selbsternannte Frauenbeschützer kamen aus den überraschendsten Ecken und vereinnahmten den Begriff Feminismus, um unter dem Deckmantel der Gleichberechtigung nach Verschärfung der Asylgesetzgebung, mehr Überwachung oder gleich "Ausländer raus!" zu fordern.

Es ist eine verminte Debatte. Auch Feministinnen seien die Zusammenhänge zwischen Sexismus und Rassismus nicht immer bewusst, sagt Gümüşay und spricht von einem jahrelangen Lernprozess. Inzwischen sei es aber Konsens, dass alle Diskriminierungsmechanismen zusammenwirken und sich verstärken. "Es gibt ein Ideal in unserer Gesellschaft und wer diesem nicht entspricht - weil er oder sie schwarz, dick, behindert, muslimisch, weiblich oder sonst wie anders ist - wird diskriminiert", sagt die Aktivistin. Je weniger jemand dem Ideal entspreche, desto mehr ist diese Person von Vorurteilen betroffen.

Zurück zu den Betroffenen

Es ist modernen Feministinnen daher ein Herzensanliegen, nichts und niemanden zu diskriminieren, weswegen es nicht einfach war, sich auf ein gemeinsames Statement zu einigen. Dass es nun gelungen ist, erfüllt Initiatorin Gümüşay mit einigem Stolz: "Das gab es noch nie, dass sich so viele Feministinnen aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammengetan und gemeinsam eine Stellungnahme veröffentlicht haben", sagt sie. Damit wollen sie auch zeigen, wie divers der deutsche Feminismus sei. "In deutschen Talkshows sitzt oft nur eine Feministin und das ist Alice Schwarzer", so Gümüşay.

Die Debatte soll nun zurück auf die betroffenen Frauen gelenkt werden. "Der Einsatz gegen sexualisierte Gewalt muss jeden Tag ausnahmslos politische Priorität haben, denn sie ist ein fortwährendes Problem, das uns alle betrifft", schreiben die Feministinnen.

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