Flüchtlinge:Das wahre "Ghetto-Problem"

Duisburg-Marxloh

Mit seiner Forderung will Gabriel "Ghetto-Problemen" vorbeugen, wie es sie hier in Duisburg-Marxloh gibt. Doch es hat einen Grund, warum es Flüchtlinge gerade in solche sozialen Brennpunkte zieht.

(Foto: dpa)

SPD-Chef Gabriel möchte anerkannten Flüchtlingen vorschreiben, wo sie zu wohnen haben. Das ist höchstrichterlich verboten - und nicht nur das.

Kommentar von Jan Bielicki

Ein Ghetto ist eigentlich kein Ort, an den ein Mensch freiwillig zieht. In Venedigs Ghetto Nuovo, benannt nach einer dortigen Gießerei, mussten vor 500 Jahren die Juden der Stadt, unter ihnen damals viele gerade neu angekommene Vertriebene aus Spanien, ihren Wohnsitz nehmen. In anderen Vierteln waren sie nicht geduldet. Sobald die Sonne unterging, wurden die Brücken ins Ghetto gesperrt - auch eine Art, mit unerwünschten Anderen in der Stadtgesellschaft umzugehen.

Es schleicht sich also eine gewisse Ironie ein, wenn Vizekanzler Sigmar Gabriel nun "Ghetto-Problemen" ausgerechnet dadurch vorbeugen will, dass der Staat Flüchtlingen vorschreibt, wo sie ihren Wohnsitz nehmen sollen. Es geht ihm ausdrücklich um anerkannte Flüchtlinge, die sich anders als solche, die noch im Verfahren stecken oder gar abgelehnt wurden, bisher deutschlandweit dort niederlassen konnten, wo sie wollten. Und die meisten von ihnen ziehen in Großstädte und dort in die Viertel, wo bereits viele von ihnen leben, wo sie Landsleute, Netzwerke, halbwegs bezahlbaren Wohnraum finden.

Für Neuankömmlinge sind diese bisweilen mit dem Schlagwort "Ghetto" geschmähten Nachbarschaften also sehr attraktiv. Für Alteingesessene und Behörden konzentrieren sich in Duisburg-Marxloh, Berlin-Wedding oder ähnlichen Vierteln anderswo all die Probleme, die eine mangelnde Integration von Einwanderern mit sich bringt.

Leider hat der Leerstand abseits der Ballungsräume einen Grund

Also einfach den Zuzug in die Großstädte steuern mit Auflagen und bürokratischen Beschränkungen? Das taten Städte im Mittelalter, und das tut Chinas Regime noch heute - doch hier und heute gilt der Rechtsstaat, auch für Flüchtlinge. Laut Genfer Flüchtlingskonvention haben sie, wenn anerkannt, das Recht, "ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen". Es einzuschränken ist verboten, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits 2008 sehr eindeutig festgestellt. Damit könnte die Debatte eigentlich schon beendet sein. Nur sind die Probleme damit nicht gelöst.

Denn die großen Städte haben ja tatsächlich die größten Schwierigkeiten, den riesigen Zuzug zu bewältigen. Bereits jetzt verzeichnen die Wartelisten der großstädtischer Ämter Zehntausende, die dringend eine Sozialwohnung bräuchten. Ihnen ist kaum zuzumuten, dass sich jetzt noch eine größere Gruppe von Neuankömmlingen in diese überlange Schlange schiebt. Andererseits stehen Tausende Wohnungen leer in Gera oder Salzgitter, in den Kleinstädten Nordhessens oder der Lausitz.

Leider hat dieser Leerstand einen Grund: Viele sind fortgegangen, weil sie daheim keine Perspektive sahen. Sie sind ausgewandert in die boomenden Ballungsräume des Südens und Westens, dorthin, wo es Arbeit gibt. Arbeit brauchen aber auch die Flüchtlinge, wenn ihre Integration gelingen soll, und die findet sich eben da, wo freie Wohnungen Mangelware sind - in den Städten. Diesen muss geholfen werden, gerade beim Wohnungsbau. Denn hier entscheidet sich, ob der Guss der Einwanderungsgesellschaft gelingt.

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