US-Wahl:Umfragen-Irrsinn: Trump "irgendwo zwischen acht und 64 Prozent"

Wahlkampf USA 2016

Meinungsforschung ist ein wichtiger Pulsmesser für die Stimmung.

(Foto: AFP,Reuters)

Meinungsforscher sind in der heißen Phase des US-Vorwahlkampfes sehr gefragt - doch wie verlässlich sind ihre Umfragen?

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Donald Trump bestreitet große Teile seiner Auftritte damit, voller Stolz mit seinen großartigen Umfrage-Resultaten anzugeben. US-Medien greifen nahezu täglich Umfragen auf, um ausgiebig über die nächste Wende im Wahlkampf zu spekulieren. Doch wie verlässlich und aussagekräftig sind die Wählerbefragungen eigentlich?

Beispiel: Wenn Donald Trump in nationalen Umfragen zur republikanischen Vorwahl mit fast 20 Prozentpunkten führt, aber in der Realität Bundesstaat für Bundesstaat und an unterschiedlichen Terminen abgestimmt wird, landet er nach einer Berechnung der Datenseite FiveThirtyEight am Ende "irgendwo zwischen acht und 64 Prozent". Mit einer 95 prozentigen Wahrscheinlichkeit.

Einige US-Medien haben sich in den vergangenen Monaten die Mühe gemacht, Umfragen-Methodik und die Wechselwirkung zwischen den Ergebnissen und der Berichterstattung zu analysieren. Hier einige Erkenntnisse (Leseliste folgt am Ende dieses Textes):

  • Umfragen sollen zu Aufmerksamkeit verhelfen - für ein Meinungsforschungsinstitut, die Experten einer bestimmten Universität oder für ein Medienunternehmen. Weil TV-Sender, Zeitungen und Websites "das Rennen" lieben, konzentrieren sie sich meist auf die Kandidaten statt auf Sachpolitik - und geben viel Geld aus, um die Bürger regelmäßig befragen zu lassen. Und manch ein Kandidat spielt einem Reporter Daten seines eigenen pollster zu, um die Berichterstattung in seinem Sinne zu lenken.
  • Fragen zum "Stand des Rennens" sind allerdings häufig irrelevant: Direktvergleiche möglicher Kandidaten (Trump vs. Sanders, Rubio vs. Fiorina) sollen "Wählbarkeit" messen, aber was sagen sie in der Praxis wirklich aus? Landesweite Umfragen sind im Vorwahlkampf völlig uninteressant, weil das US-Wahlsystem auf Bundesstaaten ausgerichtet ist. Auch die Frage "Wen würden Sie wählen, wenn heute Präsidentschaftswahl wäre?" ist umstritten: Weder stehen die Kandidaten fest, noch haben sich die Wähler entschieden oder mehrheitlich größere Gedanken über Personen und Programme gemacht.
  • Die Qualität der Datenbasis ist höchst unterschiedlich - auch, weil sich die finanzielle Ausstattung von Anbieter zu Anbieter unterscheidet. Einer Schätzung zufolge kostet eine Umfrage den Auftraggeber dieses Jahr doppelt so viel wie noch 2008.
  • Warum sind Umfragen so teuer geworden? Mobiltelefone. Die Zahl von Festnetz-Anschlüssen geht zurück, doch Handy-Nutzer gehen a) seltener direkt ans Telefon und dürfen b) nicht automatisiert angerufen werden (Folge eines Verbraucherschutzgesetzes von 1991). Zudem haben die Befragten immer weniger Zeit - die Firmen sind deshalb teilweise dazu übergegangen, sie finanziell für den Aufwand zu entschädigen.
  • Es braucht also mehr Geld und mehr Mitarbeiter, um mehr Anrufe zu tätigen, die aber weniger Menschen erreichen. Die Antwortrate liegt inzwischen unter zehn Prozent, vor einigen Jahrzehnten nahm sich noch jeder zweite angerufene Amerikaner Zeit für die Meinungsforscher.
  • Es kommt darauf an, wer anruft. Bei automatischen Anrufen schneidet Donald Trump besser ab, als wenn ein Mensch am anderen Ende der Leitung sitzt. Die persönlichen Umfragen gelten als akkurater, allerdings gibt es auch eine Hemmschwelle, sich zu Kandidaten mit extremeren Standpunkten zu bekennen.
  • Meinungsforscher nutzen unterschiedliche Modelle, um sicherzugehen, dass die Umfragen repräsentativ sind. Nicht alle sind gleich gut, hinzu kommt eine Fehlertoleranz von bis zu fünf Prozent.
  • Die Mischung muss nicht nur die korrekte Relation von Festnetz- und Handy-Anrufen sicherstellen. Ein wichtiger Faktor ist die Wahrscheinlichkeit, zur Wahl zu gehen. Vorwahlen haben eine geringe Beteiligung: Wer also registrierte Wähler befragt, liegt nach der bisherigen Erfahrung weiter weg von der Wahrheit als jemand, der "wahrscheinliche Wähler" befragt. Außerdem verschiebt sich durch die Eingrenzung der Stichprobe der Fokus auf "Wahlprognose", weg von der "Meinungsforschung", um die es eigentlich einmal gehen sollte.
  • "Wahrscheinliche Wähler" setzen sich aus verschiedenen Faktoren zusammen, zum Beispiel spielt die Ethnie eine Rolle. Gallup sagte 2012 einen Sieg für Mitt Romney voraus, weil das Meinungsforschungsinstitut das Wahl-Interesse von Schwarzen und Latinos um einige Prozent zu niedrig ansetzte.
  • Detaillierte Internet-Umfragen sind noch nicht so repräsentativ wie Telefon-Befragungen - unter anderem wegen des weiterhin bestehenden digitalen Grabens (Online-Befragte sind in den USA eher jung und links) und der Tatsache, dass die Aktivierung von Teilnehmern schwierig ist.

Umfragen sind so wichtig wie nie zuvor: Sie bestimmen, welche Kandidaten an einer TV-Debatte teilnehmen dürfen. Zugleich haben sie psychologische Effekte auf Wähler. Sie können dazu verleiten, sich Kandidaten mit guten Gewinnaussichten anzuschließen oder zu Hause zu bleiben, weil der eigene Favorit keine Chance hat.

Die Macher der NPR-Sendung "On The Media" haben deshalb eine Checkliste für Wahlumfragen veröffentlicht. Sie raten dazu, auf die Bilanz der einzelnen Wahlforscher zu blicken und sich an Mittelwerten zu orientieren. Diese liefert zum Beispiel die Website Real Clear Politics, FiveThirtyEight hat eine Rangliste der Umfragefirmen erstellt.

Das Problem der Umfragen ist aber kein amerikanisches - auch in anderen Ländern lagen die Meinungsforscher in den vergangenen Jahren daneben. Eine nicht zu unterschätzende Entwicklung in einer Zeit, in der Meinungsforschung ein wichtiger Pulsmesser für die Stimmung ist.

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