SZ-Serie:Wer hat Angst vorm weißen Blatt?

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Mark Olival-Bartley berät als Tutor Amerikanistik-Studenten beim akademischen Schreiben

Von Christiane Lutz, München

Das mit dem Füller ist ein Fetisch. Das gibt Mark Olival-Bartley zu, wenn er seinen Füller - Olivenholz, schwarze Tinte, viel zu teuer - in seinen Händen hin und her bewegt und erzählt, dass bereits Günter Grass und Herta Müller mit diesem Stift Bücher signiert hätten. Denn er braucht streng genommen keinen Füller für seine Arbeit als Tutor im "Writing Center" des Amerikanistik-Institut der LMU. Mehrmals die Woche sitzt Olival-Bartley, 46, an einem Schreibtisch in der staubigen Amerikanistik-Bibliothek und berät Studenten, die beim Verfassen akademischer Texte Probleme haben. "Oft ist mein Job aber auch psychologisches Coaching und Händchenhalten", sagt Olival-Bartley. Die Panik vor der Deadline vermischt sich ja meist mit inhaltlichen Schwierigkeiten. Und wenn ein Student nur ein paar gute Worte braucht, dann kriegt er eben ein paar gute Worte.

Das "Writing Center" des Amerikanistik-Instituts gehört zum größeren "Schreibzentrum" für Sprach- und Literaturwissenschaften der LMU, das seit November 2012 existiert. Das Schreibzentrum bietet Beratung durch Tutoren an, organisiert Schreibtage und "die lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten", in der Studenten gemeinsam bei Kaffee und Keksen zum Vollenden ihrer Werke zusammen kommen. Tutoren sind anwesend. Ziel des Ganzen ist es, den Bachelor- und Master-Studenten ein besseres Gefühl fürs Lesen und Verfassen akademischer Texte zu vermitteln.

Denn Studenten geisteswissenschaftlicher Studiengänge lernen zwar alles mögliche - selbständiges Denken, sich selbst organisieren, größere Zusammenhänge herstellen - wer aber noch nie einen Essay über Paul Austers Einflüsse auf die amerikanische Gegenwartsliteratur verfasst hat, tut sich erst einmal schwer damit. Essays und Bachelorarbeiten müssen den Regeln des Instituts entsprechend gegliedert sein, Argumentationslinien richtig geführt werden. Das Zitieren ist bekanntermaßen ebenfalls eine heikle Angelegenheit, und die Formatierung hat jeden Studenten schon zahllose Nächte gekostet.

Autor, Poet und Tutor: Mark Olival-Bartley, sagt, dass sich die Panik vor der Deadline meist mit inhaltlichen Schwierigkeiten vermischt. (Foto: Florian Peljak)

"Als allerallererstes sage ich den Studenten aber Folgendes: Schreiben ist ein Prozess", sagt Mark Olival-Bartley. "Es besteht in unserer Gesellschaft der Eindruck, Schreiben sei eine Art Produkt. Wie ein gedrucktes Buch. Wie eine Skulptur. Vollendet und fertig. Doch der Schreibprozess ist rekursiv, zyklisch, chaotisch." Olival-Bartley spricht Englisch, er ist Amerikaner, Hawaiianer von Oahu. Das erklärt möglicherweise seine Tiefenentspanntheit. Er studierte an der Hawaii Pacific University in Honolulu und promoviert derzeit an der LMU in Philosophie. Er lebt in der Schellingstraße, die er "einen Himmel für Autoren" nennt. "All die Antiquariate, das Lyrik-Kabinett, der Englische Buchladen. Ich war sofort verliebt", sagt er. Unschwer zu erraten, dass Olival-Bartley selbst Poet und Autor ist.

Die Tipps für seine Studenten sind daher häufig unkonventionell, aber immer leidenschaftlich. Er rät dazu, sich Texte auszudrucken und wenn nötig mit der Schere einzelne Passagen auszuschneiden und neu anzuordnen. Den Prozess des Schreibens zu erspüren. Wer Angst vor dem weißen Blatt hat, dem empfiehlt er zunächst eine Methode namens "free writing", nach der fünf Minuten lang ununterbrochen mit einem Stift auf ein Papier geschrieben werden muss, ganz egal was. "Das Meiste davon ist natürlich Schrott", sagt Olival-Bartley, "aber manchmal sind ein, zwei gute Gedanken dabei."

Mark Olival-Bartley berät Studenten aber auch zur akademischen Fragestellung, die am Anfang eines jeden Essays steht. Hilft mit Rhetorik, Argumentationsführung, erklärt richtiges Zitieren. Knifflig ist die englische Sprache, in der die Texte der Amerikanistik-Studenten verfasst sein müssen, natürlich auch. "Bloß nicht den Fehler machen, einen Text erst auf Deutsch zu schreiben und dann übersetzen zu wollen. Das klappt nicht." Mark Olival-Bartley bedauert, dass heutzutage jeder noch so mickrige Essay hochwertig ausgedruckt und hübsch gebunden über inhaltliche Schwächen hinwegtäuschen will. "Diesem Prozess der Wortfindung, der Ideen-Destillation wird viel zu wenig Zeit geschenkt." Dabei sei es egal, ob man ein Gedicht oder einen Essay schriebe.

Schreibzentren wie das an der Münchner LMU sind an deutschen im Gegensatz zu amerikanischen Universitäten eine eher neue Erfindung. Diese spezielle Art der Betreuung in ungezwungener Atmosphäre schien lange Zeit unnötig zu sein. Die Universität wird hierzulande nicht als Dienstleister verstanden. In den USA, wo sich Studenten im fünfstelligen Bereich verschulden müssen, schon. So wurschtelte hier jeder allein vor sich hin. "Auch an der LMU war man sich am Anfang nicht sicher, ob das Angebot des Schreibzentrums überhaupt angenommen würde", sagt Olival-Bartley. Manche Studenten dachten, es sei ein Zeichen von Schwäche, sich bei einem Tutor Hilfe zu holen. "Doch die Einstellung hat sich längst geändert. Plötzlich haben sie verstanden, dass es sehr hilfreich sein kann, sich mit jemandem auszutauschen, der nicht der betreuende Professor ist." Inzwischen gibt es Schreibzentren und lange Nächte der Hausarbeiten an zahlreichen Universitäten.

Nach einem 30-minütigen Termin mit dem Schreibtutor müssen die Studenten das Angebot auf einem Fragebogen schriftlich bewerten. Beide Seiten wollen schließlich etwas dazu lernen. Über Weihnachten ist Mark Olival-Bartley nach Hawaii geflogen. Dort wollte er seine alte Universität besuchen und sich im dortigen Writing-Center ein paar Dinge für München abgucken. Die Notizen, die er sich dabei gemacht hat, schickte er per Post an seine Münchner Adresse - getippt auf einer Schreibmaschine.

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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