Volksabstimmung:Geldregen über Basel

Volksabstimmung: Sie sind jung und hatten bisher wenig Geldsorgen. Das wollen sie auch für andere erkämpfen - und verteilen daher Geld an Passanten.

Sie sind jung und hatten bisher wenig Geldsorgen. Das wollen sie auch für andere erkämpfen - und verteilen daher Geld an Passanten.

(Foto: C. Theile)

Junge Aktivisten wollen die Schweizer vom bedingungslosen Grundeinkommen überzeugen. Bald stimmt das Land ab.

Von Charlotte Theile, Basel

Eine junge Frau in einem langen weißen Apothekerkittel. Hinter ihr ein Graffito "Es geht nicht", das "nicht" ist durchgestrichen. Neben ihr Plakate, vor ihr 130 Menschen. Bis auf Götz Werner, den Gründer der Drogeriekette dm, sind alle mit Vornamen vorgestellt worden. Die Frau streckt ein Bündel Zehn-Franken-Scheine in die Höhe: "Das hier sind unsere Flyer. Wer will, trifft sich um 13.30 Uhr mit mir draußen vor der Tür. Dann gehen wir los und verteilen die Flyer in der Fußgängerzone." Euphorischer Applaus schallt durch den Raum, wie immer, wenn jemand etwas ankündigt.

Alle, die an diesem matschigen Samstag in das Unternehmen Mitte, ein alternatives Kaffeehaus in der Basler Innenstadt, gekommen sind, wollen das Gleiche: Die Schweiz vom bedingungslosen Grundeinkommen überzeugen.

Anfang Juni wird das Land per Volksabstimmung entscheiden, ob der Staat jedem Bürger ein Einkommen auszahlen soll, das ihm "menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben" ermöglicht - ohne dass er arbeiten oder sonst etwas leisten muss. Der Betrag steht nicht im Gesetzesvorschlag, die Initianten gehen aber von 2500 Franken (etwa 2300 Euro) aus. In Deutschland ist meist von 1000 Euro die Rede.

Die Idee aber ist überall die gleiche. Und sie wird zur Zeit auf der ganzen Welt diskutiert. In den Sushi-Tempeln des Silicon Valley, in Hunderten Hörsälen, alternativen Lese-Kreisen, Parlamentsgebäuden. Online-Redakteure mögen das Grundeinkommen, weil es zuverlässig für Klicks sorgt und - ein Unterstützer schreit es förmlich hinaus - in der vergangenen Woche sei der Begriff bei Google so oft gesucht worden wie nie zuvor. Nun also stimmt die Schweiz, dieses behäbige, oft konservative Land, in dem Frauen erst seit den 1970er-Jahren wählen dürfen, über eine Idee mit Revolutionspotenzial ab. Als Zukunftslabor der Welt, gewissermaßen.

Labor zu sein, intellektuelle Vorhut einer Gesellschaftsveränderung, die "ohnehin kommen muss", das ist der Gedanke, der die Zusammenkunft in Basel, Kampagnen Labor genannt, am stärksten prägt. "First world development" haben sie selbstbewusst an eine Wand gesprüht. Viele hier sind um die 30 und haben in ihrem Leben wenig Geldsorgen gespürt. Lange studieren, einen Beruf suchen, der sich richtig anfühlt, über Monate sinnieren, was eigentlich der Sinn dieses Lebens sein könnte - mit Privilegien wie diesen sind die meisten hier aufgewachsen. Das Besondere ist, dass sie diese nicht für selbstverständlich halten. Die Sorge um "die Busfahrerin, den Verkäufer, den Krankenpfleger" prägt viele Diskussionen. Die Distanz zu diesen einfachen Leuten, "die eigentlich am meisten profitieren würden, aber das vielleicht noch nicht durchdringen", bleibt dennoch spürbar.

Gleichzeitig die Begeisterung. Junge Menschen, die schon für Barack Obama von Tür zu Tür zogen. VWL-Studenten, die sich fragen, wie ein System richtig sein kann, in dem Menschen für sechs Euro die Stunde weit weg von ihren Familien Toiletten putzen. Ältere Damen, die noch nie verstanden haben, warum es für eine Art von Arbeit Geld gibt und für die andere nicht. Sie alle haben mit dem Grundeinkommen Antworten auf ihre Fragen gefunden. Keine Existenzangst mehr, kein Prekariat, kein Zwang, arbeiten zu gehen.

"Ist es nicht wahnsinnig dekadent, durch die Straßen zu ziehen und Geld zu verteilen?"

Dass es bisher kaum politische Unterstützung gibt? Ganz normal, beruhigt dm-Gründer Götz Werner die Zuhörer. "Politiker sind unkreativ. Ihre Kunst ist es nicht, Neues hervorzubringen. Aber wenn ein Politiker spürt, es ist etwas Großes im Kommen - Sie glauben nicht, wie schnell er sich an die Spitze der Bewegung vordrängelt."

Einer aus dem Obama-Team sinniert herum, was Obama eigentlich ab 2017 mache. Man weiß es nicht. Für die Schweiz wäre er in jedem Fall zu spät dran.

Gut vier Monate haben sie hier noch, um den Abstimmungskampf für sich zu entscheiden. Die Ideen, die an diesem Samstag entstehen, kommen aus einer Graswurzelbewegung. Tanzende Roboter als Symbol dafür, dass uns künftig die Arbeit abgenommen wird. Das Gemeinschaftsspiel "Welcher Grundeinkommenstyp bist du?", Post-its in der Straßenbahn, Schatzsuche auf dem Weg zur Urne.

Und eben: Die Sache mit den Zehn-Franken-Scheinen. 100 000 Franken wollen die Aktivisten in den nächsten Monaten unter die Leute bringen, gestempelt und mit kleinen Werbestickern. Aber dennoch: Es ist echtes Geld, mit dem man Eier, Milch und Miete bezahlen kann. "Ist es nicht wahnsinnig dekadent, durch die Straßen zu ziehen und Geld zu verteilen?", fragt eine Politikerin der alternativen Linken. "Manifestiert man so nicht das Bild der verschwenderischen, hedonistischen Nichtsnutze?"

Das Gegenargument, 100 000 Franken zu verteilen sei auch nicht dekadenter, als dafür Werbung zu kaufen, klingt überzeugend. Eine kleine Truppe macht sich mit Geldbündeln auf den Weg. Die Reaktionen in der Basler Fußgängerzone sind skeptisch. Was wollen diese Menschen? Warum nennen sie einen Zehn-Franken-Schein Flyer? Was hat es mit der Aussage auf sich, das Geld sei schon da, allein die Bedingungslosigkeit wäre neu? Und jetzt, wo man den Schein schon mal in der Hand hat: Darf man Danke sagen, den Sticker abmachen und sich ein Bier kaufen? Das ist es ja wohl nicht, was diese freundlichen jungen Leute wollen. Oder?

Die Aktion passt gut zur Initiative. Wer Geld geschenkt bekommt, wird zum Nachdenken angeregt. Das ist ein großartiger Effekt. Doch die Mehrheit der Schweizer, die für ihren wirtschaftsliberalen Pragmatismus bekannt ist, werden sie wohl nicht gewinnen. Erst recht nicht vor dem Hintergrund drängender globaler Probleme und der Flüchtlingskrise. "Es braucht drei Abstimmungen, bis sich das Grundeinkommen durchsetzt", diese Prognose hört man an diesem Samstag immer wieder, vielleicht um der Weltrevolutionsstimmung ein bisschen Pathos zu nehmen. Nur eine ältere Dame sagt unumwunden: "Jetzt sind wir so weit gekommen. Jetzt möchte ich das auch gewinnen."

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