Wolfratshausen:Vorurteile über Flüchtlinge mit Fakten abbauen

Anika Dollinger ist seit Januar für die Integrations- und Wohnungslosenhilfe zuständig. Sie hat eine Asyl-Sprechstunde für alle Bürger eingeführt: "Es ist wichtig, auch der Besorgnis Gehör zu schenken".

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Anika Dollinger ist kein neues Gesicht in der Wolfratshauser Außenstelle der Caritas am Obermarkt. "Man kennt mich gut hier", sagt die 33-Jährige und lächelt. Schon in den vergangenen zwei Jahren kam sie regelmäßig vorbei, um Asylbewerbern im laufenden Verfahren zu helfen. Als Asylsozialberaterin des Vereins "Hilfe von Mensch zu Mensch" war sie für den ganzen Landkreis zuständig, hat alle Helferkreise kennengelernt und war sehr viel unterwegs. Seit 4. Januar ist das anders: Dollinger ist die neue Mitarbeiterin der Stadt Wolfratshausen für Integrations- und Wohnungslosenhilfe. Ihre Vollzeitstelle, die auf zwei Jahre befristet ist, wurde nach einstimmigem Stadtratsbeschluss geschaffen. Dollinger soll den Helferkreis bei der Integration von Flüchtlingen beraten und unterstützen. Und Ines Lobenstein, Leiterin der Caritas-Außenstelle und des Helferkreises, bei den immer komplexeren Aufgaben zur Seite zu stehen.

In ihrem Büro im ersten Stock des Caritas-Hauses, das Lobenstein extra für sie geräumt hat, erklärt Anika Dollinger ihre Aufgaben: "Mein Fokus liegt jetzt in einer Stadt und bei einem Helferkreis", sagt die 33-Jährige. Das bedeutet auch, dass sie sich mehr Zeit für die Menschen nehmen kann, die ihre Hilfe brauchen. Für die Stadt wird sich Dollinger nun hauptsächlich um die Belange der anerkannten Asylbewerber kümmern. Sie berät und unterstützt sie und die Helfer, wo es nötig ist: etwa bei den komplizierten Anträgen auf Arbeitslosengeld II beim Jobcenter, bei der Wohnungs- und bei der Jobsuche.

Dollinger, Anika

Die neue Stadtangestellte Anika Dollinger kümmert sich um die Belange anerkannter Asylbewerber, aber auch um die Fragen besorgter Bürger.

(Foto: Konstantin Kaip)

Das kann sehr frustrierend sein, wie Dollinger erklärt. Weil die Asylbewerber per Gesetz einen nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt haben und vor jeder Einstellung erst geprüft werden muss, ob es nicht auch Bewerber aus Deutschland und Europa gibt, was mehrere Wochen dauert. Vielen Arbeitgebern sei das zu lange, sagt Dollinger.

Dennoch können sie und Lobenstein von Erfolgen berichten: So mache beispielsweise ein Pakistani gerade eine Ausbildung zum Kupferschmied, erzählt Dollinger. Eine junge Frau aus Botswana mit sehr guten Deutschkenntnissen habe mit großem Erfolg eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin begonnen, diese jedoch nach einem Jahr abbrechen müssen, weil ihr Asylantrag abgelehnt worden sei. Auch konnten die Helfer schon vier Familien in privaten Wohnungen unterbringen. Wohnungen werden nach wie vor händeringend gesucht. Zwölf so genannte Fehlbeleger gebe es derzeit in Wolfratshausen, anerkannte Flüchtlinge, die noch ihren ursprünglichen Unterkünften wohnen.

Ines Lobenstein jedenfalls ist "sehr, sehr dankbar" für die neue Mitarbeiterin. Dollinger sei "für die Stadt ein Riesenzugewinn", erklärt sie und lobt die "vorausschauende Entscheidung" des Stadtrats, die Stelle geschaffen zu haben. Die Vertrauensbasis zwischen Helferkreis, Caritas und Kommune sei groß, die Zusammenarbeit unkompliziert. Das Ergebnis ist eine unorthodoxe Kombination: Lobenstein ist ehrenamtliche Helferkreisvorsitzende und hauptberuflich bei der Caritas angestellt, trotzdem aber so etwas wie die Chefin der Stadtangestellten Dollinger. "Ich bin froh, mit ihr zusammenzuarbeiten", sagt Ines Lobenstein über die 33-Jährige, die ihre Wunschkandidatin für den Posten war: "Weil wir wissen, was sie kann." Dollinger habe nicht nur " menschliche Qualitäten und ein Gespür für Nähe und Distanz", sondern auch "enormes Fachwissen", das den Helfern im Alltag zugute komme.

170 Wolfratshauser helfen

Etwa 170 Bürger engagieren sich im Wolfratshauser Helferkreis. Sie kümmern sich um 150 Asylbewerber, die derzeit in Wolfratshausen leben, in insgesamt 14 Häusern. Schon im Frühjahr könnte sich die Zahl verdoppeln. Dann will der Landkreis zwei größere Unterkünfte in der Stadt errichten, für jeweils etwa 70 Flüchtlinge. "Die Herausforderungen werden nicht kleiner", sagt die Helferkreis-Vorsitzende Ines Lobenstein. Deshalb sei die neue Koordinatorin wichtig, einerseits für die Arbeit mit den Asylbewerbern, andererseits für die "Aufklärung der Bevölkerung".

Die Flüchtlinge, die derzeit in Wolfratshausen leben, kommen aus mehr als zwölf verschiedenen Nationen, sind Christen, Muslime und Jesiden. Ob ein Asylantrag durchgeht und wie lange das jeweilige Verfahren dauert, sei, abgesehen von den Syrern, "überhaupt nicht abzuschätzen", sagt Lobenstein. Sie beobachte gar einen "Stillstand": So wisse sie von einem Asylbewerber, der schon seit vier Monaten in Wolfratshausen sei, sein Termin, um einen Asylantrag zu stellen, sei jedoch erst im April. Die Flüchtlinge, die 2016 nach Wolfratshausen kommen, würden voraussichtlich auch das ganze Jahr nicht die Möglichkeit dazu bekommen, schätzt Lobenstein. Für den Helferkreis spiele das aber keine Rolle. "Wir können nicht auf irgendwelche Ergebnisse warten. Wir fangen einfach an."

Der Einsatz für die Flüchtlinge lohne sich immer, unabhängig von den Aussichten eines Verfahrens, ist Lobenstein überzeugt. "Uns ist es wichtig, dass sie uns in guter Erinnerung behalten, egal was passiert." aip

Dabei ist die gebürtige Tölzerin, die inzwischen in Dietramszell lebt, eine klassische Quereinsteigerin: Dollinger ist studierte Landschaftsarchitektin, hat sich jedoch vor zwei Jahren beim Verein "Hilfe von Mensch zu Mensch", der eine Kooperationsvereinbarung mit dem Landkreis hat, als Sozialberaterin für Flüchtlinge beworben und die Stelle bekommen, die inzwischen neu besetzt wurde. Dollinger, die bei der Stadt nun offiziell für die Abteilung 13 des Amts "Bürger und Veraltung" arbeitet, trifft ihre Nachfolgerin ab und zu im Haus.

Ihr Büro ist für das Publikum montags, mittwochs und freitags zwischen 8.30 und 11.30 Uhr, sowie donnerstags von 14.30 Uhr bis 16 Uhr geöffnet. Die übrige Zeit brauche sie, um "Dinge abzuarbeiten und als Puffer für Unvorhergesehenes", erklärt sie. Dazu gibt es neuerdings eine wöchentliche öffentliche Sprechstunde: Jeden Dienstag von 17 bis 18 Uhr empfängt Dollinger zusammen mit Lobenstein oder einem anderen Helferkreismitglied im Asylzentrum im zweiten Stock der Caritas am Obermarkt 7 Asylhelfer, um sie bei anstehenden Problemen zu beraten, aber auch alle anderen Bürger, die Ängste und Fragen haben. Die Idee zur Asylhelfer- und Bürgersprechstunde sei im Helferkreis entstanden, erklärt Lobenstein, nachdem es viele besorgte Anrufe aus der Bevölkerung gegeben habe. "Es ist wichtig, auch der Besorgnis Gehör zu schenken", findet auch Anika Dollinger.

Ob die Wolfratshauser das Angebot annehmen, muss sich zeigen. Dollinger jedenfalls würde in der Sprechstunde gerne "Vorurteile mit Fakten abbauen", wie sie sagt. Am Einfachsten sei das jedoch durch Begegnung möglich. Deshalb, sagt Dollinger, werde sie jeden bei der Sprechstunde auch einladen, zum Bürgercafé des Helferkreises zu kommen.

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