Unbearbeitete Aktenberge:Verpasste Fristen: München droht 180-Millionen-Euro-Ausfall

Lesezeit: 2 min

  • Mehr als 5100 jugendliche Flüchtlinge hat das Stadtjugendamt im Jahr 2015 in Obhut genommen
  • Die Kosten für die Unterbringung kann sich München erstatten lassen.
  • Doch im Jugendamt sind offenbar Tausende Anträge liegen geblieben.
  • Nach vorsichtigen Schätzungen könnte das die Stadt bis zu 180 Millionen Euro kosten.

Von Sven Loerzer

Mehr als 5100 Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern als Flüchtlinge in München angekommen sind, hat das Stadtjugendamt allein im vergangenen Jahr in Obhut genommen und in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht. Dies könnte die Stadt teuer zu stehen kommen, wenn sie es nicht schafft, rechtzeitig die Kostenerstattung für 2015 und die Jahre zuvor zu beantragen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung geht es nach vorsichtigen Schätzungen um bis zu 180 Millionen Euro.

Oberbürgermeister Dieter Reiter hat nach einem Zwischenbericht des städtischen Revisionsamtes das Sozialreferat aufgefordert, alles zu tun, damit es nicht zu Ausfällen kommt. Um die Anträge doch noch rechtzeitig zu stellen, werden etwa 30 bis 50 Arbeitskräfte benötigt. Das Sozialreferat hofft dabei auch auf Unterstützung durch andere Referate.

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Die Unterbringung und Betreuung junger, unbegleiteter Flüchtlinge muss erst einmal die Stadt bezahlen, sie kann sich das Geld aber erstatten lassen. Weil deren Zahl seit 2014 stark gestiegen ist, hatten die Mitarbeiter des Jugendamts alle Hände voll damit zu tun, geeignete Einrichtungen zu finden. Dabei blieben offenbar nicht nur die Kostenerstattungsanträge aus dem Jahr 2015 in großer Zahl liegen, wie ein Sprecher des Sozialreferats bestätigt, sondern es waren auch noch sehr viele Fälle aus den Vorjahren unbearbeitet.

Wie viele Fälle betroffen sind

Mitte November verfasste die Leiterin der Sozialbürgerhäuser, Ursula Hügenell, deshalb ein dramatisch klingendes "Hilfeersuchen des Stadtjugendamtes und der Sozialreferentin" an die Mitarbeiter: Wegen der stark gestiegenen Flüchtlingszahlen, der Personalsituation und der geänderten Gesetzeslage sei "nach vorsichtigen Schätzungen mit einem Einnahmeausfall im voraussichtlich 3-stelligen Millionenbereich für die Stadt München zu rechnen, wenn nicht sofort gehandelt wird".

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Weiter heißt es in dem Schreiben, das der SZ vorliegt: "Um die erforderlichen Nacharbeiten in circa 10 000 Fällen zu sichten und zu priorisieren", seien bereits "alle verfügbaren Auszubildenden" im Einsatz. Um dann die "priorisierten Arbeitspakete Zug um Zug" in den Sozialbürgerhäusern zu bearbeiten, werde Personal gesucht, das bereit sei, Überstunden zu leisten oder seine Arbeitsstunden aufzustocken. Auch an die Abordnung von Personal aus anderen Bereichen der Stadtverwaltung sei gedacht. Eiligstes Handeln sei geboten, weil in einigen Fällen die Frist Ende 2015, ansonsten am 31. Juli 2016 ablaufe.

Was die Stadt nun tun muss

Inzwischen, so heißt es im Sozialreferat, habe sich jedoch herausgestellt, dass die Fristen für die Fälle aus dem Jahr 2015 bis Ende 2016 laufen. Und für die Altfälle vor 2015 habe das Sozialreferat eine Klarstellung des Bundesfamilienministeriums zum Fristablauf erbeten und hoffe so auf Zeitgewinn.

Das Verfahren ist aufwendig: Zunächst muss das Stadtjugendamt für jeden einzelnen Jugendlichen einen Antrag beim Bundesverwaltungsamt stellen, das dann einen erstattungspflichtigen Träger bestimmt. So sollen die Kosten analog zur Aufnahmequote auf die Bundesländer verteilt werden. In der Regel sind die Landesjugendämter, in Bayern die Bezirke, erstattungspflichtig. In jedem Fall muss die Akte gesichtet und jeweils eine Abrechnung für einen der bundesweit 23 verschiedenen Kostenträger erstellt werden.

Als erste Konsequenz aus dem drohenden Desaster hat Oberbürgermeister Dieter Reiter dem Sozialreferat aufgegeben, "ein belastbares Einnahmencontrolling aufzubauen und Rückstände in der Geltendmachung von Ansprüchen zeitnah abzubauen". In sechs Monaten soll ihm das Sozialreferat zusammen mit Revisionsamt und Kämmerei einen abschließenden Bericht vorlegen.

© SZ vom 20.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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