Vom Agenten zum Putin-Gegner:Rebell vom Dienst

Britische Ermittler halten es für "wahrscheinlich", dass der russische Präsident die Ermordung seines Widersachers Litwinenko gebilligt hat. Wie aus dem FSB-Agenten ein Putin-Kritiker wurde.

Von Julian Hans

File photo of Litvinenko, then officer of Russia's state security service FSB, listening as masked colleague speaks during news conference in Moscow

Litwinenko 1998 (rechts, neben einem maskierten Kollegen), als Angehöriger des Geheimdienstes FSB.

(Foto: Sergei Kaptilkin/Reuters)

Der erste Auftritt von Alexander Litwinenko in der Öffentlichkeit war selbst für die chaotischen 1990er-Jahre in Russland außergewöhnlich. An seiner Seite saß ein Mann mit einer Sturmhaube über dem Kopf, daneben zwei weitere Geheimdienstoffiziere, die ihre Augen hinter verspiegelten Brillen versteckten. Was wirkte wie eine Mischung aus Gangsterfilm und Putschkommando, war eine Pressekonferenz, zu der Litwinenko und seine Begleiter am 17. November 1998 in die Agentur Interfax eingeladen hatten.

Eigentlich sei es ihnen als Mitarbeitern des Geheimdienstes FSB nicht erlaubt, mit den Medien zu sprechen, erklärte Litwinenko zu Beginn. Aber sie hätten sich trotzdem dazu entschieden, weil das Land in Gefahr sei: Generäle an der Spitze des FSB seien ein Bündnis mit der organisierten Kriminalität eingegangen. Sie ordneten Entführungen und Morde an, um deren wirtschaftliche Interessen zu schützen. Unter anderem steckten sie hinter einem Anschlag auf den Oligarchen Boris Beresowski.

Der mutmaßliche Mörder bekommt einen Orden

Die Rebellen vom Dienst forderten transparente Ermittlungen gegen die Generäle, die die demokratischen Errungen-schaften der letzten Jahre blockierten, die Rolle des Geheimdienstes pervertierten und ihre Macht missbrauchten. Die unge-setzliche Anweisungen gaben für Terror-Anschläge, Mord, Geiselnahmen und Schutzgelderpressung. "Wenn die ehrlichen Ermittler gegen die organisierte Kriminalität nicht ihre Arbeit machen können, kann sie morgen vielleicht niemand mehr aufhalten", so sagten es Litwinenko und seine Mitstreiter.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der ehemalige KGB gerade einen neuen Chef bekommen. Vor nicht einmal vier Monaten hatte Boris Jelzin einen Mann aus Sankt Petersburg zum FSB-Direktor gemacht, den in Russland kaum jemand kannte: Wladi-mir Putin. Über Putin äußerten sich die Männer damals positiv. Er bemühe sich, den Dienst neu zu strukturieren. "Wir sind keine Gegner des FSB und seines Leiters Wladimir Putin", erklärten sie. "Wir haben viele Jahre unseres Lebens für das System gearbeitet, wir sind ein Teil des Systems." Vielmehr gehe es ihnen darum, den Geheimdienst "zu reinigen und zu stärken".

Doch der Vorstoß fand an der Spitze des Dienstes wenig Anklang. Bald nach der skurrilen Pressekonferenz wurde Litwinenkos Abteilung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität aufgelöst. Den aufmüpfigen Agenten wurde der Prozess gemacht. Als Litwinenko nach einem Freispruch noch im Gerichtssaal erneut vom FSB festgenommen wurde, nutzte er die nächste Möglichkeit, ins Ausland zu flie-gen. Seit 2000 lebte er in London.

Ob Litwinenko und seine Mitstreiter im November 1998 aus hehren Motiven han-delten oder ob die Öffentlichkeit nur Zeu-ge eines Machtkampfes rivalisierender Gruppen wurde, liegt im Dunkeln. Beresowski jedenfalls, der später selbst nach Großbritannien emigrierte und dort im März 2013 erhängt in seinem Badezimmer aufgefunden wurde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Putin-Gegner, zu dem er in seinen späten Tagen wurde. Er rühmte sich sogar selbst, Jelzin den Nachfolger vorgeschlagen zu haben.

Im Exil setzte Litwinenko seinen Kampf fort, schrieb Bücher über die Verbindungen der Mafia in die Sicherheitsstrukturen und beriet Ermittler; der britische Geheimdienst MI6 zahlte ihm ein regelmäßiges Salär. Auch der spanische Staatsanwalt José Grinda Gonzales war an Litwinenkos Insiderwissen interessiert. Gonzales führte die Ermittlungen gegen die russische Mafia, die ihre Einkünfte in Spanien anlegte und sich teilweise dort niedergelassen hatte. Wenige Tage bevor Litwinenko vor Gonzales aussagen sollte, traf er im Londoner Millennium-Hotel seine Mörder.

Giftanschläge hat es im Umfeld der russischen Politik immer wieder gegeben. Die Journalistin Anna Politkowskaja, die wenige Wochen vor Litwinenkos Ermordung in Moskau erschossen wurde, hatte zwei Jahre zuvor das Bewusstsein verloren, nachdem sie einen Tee getrunken hatte, den man ihr im Flugzeug reichte. Während des Wahlkampfes 2004 wurde der Präsidentschaftskandidat Viktor Juschtschenko mit Dioxin vergiftet. Und erst im vergangenen Jahr musste der Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa mit schweren Vergiftungserscheinungen über Monate im Krankenhaus behandelt werden.

In jüngster Zeit werden alte Indizien für Verbindungen Putins aus Petersburger Tagen zur organisierten Kriminalität in Russland neu diskutiert. So hat etwa der Kampfsportler Leonid Uswjazow nicht nur Putin in Judo trainiert, sondern ihm angeblich auch einen Studienplatz verschafft. Als Autorität der Mafia verbrachte Uswjazow 20 Jahre hinter Gittern, unter anderem wegen Gruppenvergewaltigung, Hehlerei und illegalen Devisengeschäften. 1994 wurde er bei einer Schießerei getötet. Als der Oppositionelle Alexej Nawalny im Dezember aufdeckte, dass Angehörige der russischen Generalstaatsanwaltschaft Geschäfte mit einer der grausamsten Mafia-Banden des Landes machten, gab es aus dem Kreml keine Reaktion.

Litwinenkos Mörder machte unterdes-sen eine steile Karriere in der russischen Politik. Die rechtspopulistische LDPR schickte Andrej Lugowoi als Abgeordneten in die Staatsduma. Dort bringt er seitdem in rascher Folge Gesetze auf den Weg, die die Freiheitsrechte beschränken. Das Gesetz, das es dem Staat erlaubt, kritische Websites zu schließen, wird im Volk "Lugowoi-Gesetz" genannt. Der Einsatz zahlt sich aus: Im März vergangenen Jahres verlieh ihm Putin den Orden für Verdienste um das Vaterland "Für seinen großen Beitrag zur Entwicklung des Parlamentarismus und seine aktive gesetzgeberische Tätigkeit".

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