Großbritannien:Fall Litwinenko: Bericht mit diplomatischem Sprengstoff

Alexander Litwinenko

Der frühere russische Geheimdienstmitarbeiter Alexander Litwinenko mit einem maskierten Kollegen auf einem Foto aus dem Jahr 1998.

(Foto: dpa)
  • Ein in London vorgestellter Untersuchungsbericht kommt zu dem Schluss, dass der russische Staat hinter dem Mord an Alexander Litwinenko steckt.
  • Insbesondere die Verwendung des radioaktiven Poloniums 210 deute auf eine Verwicklung des Staates hin.
  • Dieses Fazit birgt diplomatischen Sprengstoff.

Von Christian Zaschke, London

In der Pine Bar des Millennium-Hotels im Londoner Stadtteil Mayfair herrscht eine gediegene Atmosphäre. Zu den überteuerten Drinks werden exotische Nüsschen gereicht, der Service ist exzellent. Hier trank Alexander Litwinenko am 1. November 2006 einige Schlucke grünen Tees, den ihm zwei russische Geschäftsleute servierten, Andrej Lugowoi und Dmitrij Kowtun. Gut drei Wochen später war Litwinenko tot: Er starb am 23. November 2006 in einem Londoner Krankenhaus an einer Vergiftung durch radioaktives Polonium.

Ein am Donnerstag in London vorgestellter Untersuchungsbericht kommt zu dem Schluss, dass der russische Staat hinter dem Anschlag steckt. Der Vorsitzende Richter Robert Owen sagte, dass der Mord nach seinen Erkenntnissen wahrscheinlich vom russischen Präsidenten Wladimir Putin gebilligt wurde.

Innenministerin Theresa May nannte die Ergebnisse der Untersuchung in einer Rede im Parlament "zutiefst verstörend". Das Außenministerium bestellte den russischen Botschafter Alexander Jakowenko ein.

Dieser wies die Anschuldigungen entschieden zurück. Er verlas ein Statement und erklärte, dass "diese Provokation den bilateralen Beziehungen nicht helfen" werde. Er habe mit dem zuständigen Staatssekretär "Ansichten ausgetauscht". Der mutmaßliche Täter Andrej Lugowoi, der heute als Abgeordneter im russischen Parlament sitzt, nannte die Ergebnisse der Untersuchung "absurd".

Richter Owen sagte, es gebe keinen Zweifel daran, dass Lugowoi und Kowtun hinter der Tat steckten. Sie hätten im Auftrag von anderen gehandelt. In seinem Abschlussbericht schreibt er: "Unter Berücksichtigung aller mir zur Verfügung stehenden Beweise und Analysen stelle ich fest, dass die Operation des (russischen Geheimdienstes) FSB, Herrn Litwinenko zu ermorden, wahrscheinlich von Herrn Patruschew (damals Chef des FSB) und auch von Präsident Putin gebilligt wurde." Insbesondere die Verwendung des seltenen und sehr teuren Poloniums 210 deute auf eine Verwicklung des Staats hin, da es in einem Atomreaktor hergestellt werden müsse.

Russland: "Rein strafrechtlicher Fall politisiert"

Former Russian Agent Poisoned In London

Alexander Litwinenko auf der Intensivstation eines Londoner Krankenhauses im November 2006, drei Tage vor seinem Tod.

(Foto: Natasja Weitsz/Getty Images)

Dieses Fazit birgt diplomatischen Sprengstoff. Die Beziehungen zwischen Großbritannien und Russland sind ohnehin nicht gut. Premierminister David Cameron sagte am Donnerstag, nun sei klar, dass "dieser entsetzliche Mord eine von einem Staat unterstützte Tat" war. Man werde Moskau mit "klarem Blick und kaltem Herzen" gegenübertreten.

In Russland herrscht Verärgerung. Unter anderem wird kritisiert, dass die richterliche Untersuchung nicht öffentlich war. Zudem habe das Ergebnis von Beginn an festgestanden. Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums sagte: "Wir bedauern, dass ein rein strafrechtlicher Fall politisiert worden ist, was die Atmosphäre der bilateralen Beziehungen trübt."

Strafrechtlich ohne Folgen

Litwinenkos Witwe Marina forderte am Donnerstag in London vor den Royal Courts of Justice wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Zudem solle es Einreiseverbote für die beteiligten Personen geben, also auch für Präsident Putin.

Es geht vor allem auf das Engagement der Witwe zurück, dass die richterliche Untersuchung vor einem Jahr überhaupt begann. Die britische Regierung hatte kein gesteigertes Interesse an den Nachforschungen, um die Beziehungen zu Russland nicht noch weiter zu verschlechtern. Marina Litwinenko setzte jedoch vor Gericht durch, dass der Fall noch einmal aufgerollt wird.

Strafrechtlich hat der Bericht keine Folgen. Dennoch stellt sich nun die Frage, wie die Londoner Regierung reagieren will. Litwinenko hatte die britische Staatsbürgerschaft angenommen. Bleibt die Regierung untätig, muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen, dass der russische Staat einen britischen Bürger ungestraft auf den Straßen Londons mit äußerst gefährlichem Material umbringen kann.

Wie Litwinenkos Tod nachhallt

Aus dem Amtssitz von Premierminister Cameron in 10 Downing Street verlautet, dass man maßvoll vorgehen wolle. Man habe bereits unmittelbar nach dem Mord Maßnahmen ergriffen, die immer noch gültig seien: strengere Visa-Kontrollen, verminderte Kooperation mit dem FSB. In Anbetracht der aktuellen Bedrohungen zum Beispiel durch die Terrormiliz Islamischer Staat sei ein gutes Arbeitsverhältnis zu Russland jedoch wichtig. Man müsse zunächst an die nationale Sicherheit denken.

Marina Litwinenko sagte, sie sei sehr glücklich darüber, dass der Untersuchungsbericht so deutlich ausgefallen sei. Sie befürchte jedoch, dass die britische Regierung aus diplomatischen Gründen schlicht gar nichts tut.

Zwei Tage vor seinem Tod hatte Alexander Litwinenko einen Abschiedsbrief verfasst, in dem er Wladimir Putin direkt für seinen Tod verantwortlich macht. Er schrieb: "Sie werden es vielleicht schaffen, einen Mann zum Schweigen zu bringen. Aber der Protest aus aller Welt, Herr Putin, wird für den Rest des Lebens in Ihren Ohren nachhallen."

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