Weltwirtschaftsforum:Die fünf Lehren von Davos

Die Mächtigen diskutierten beim Weltwirtschaftsforum über künstliche Intelligenz, Flüchtlinge und Deutschlands Rolle in der digitalen Welt. Manches Problem ließ sie ratlos zurück.

Von Ulrich Schäfer, Davos

Manche halten das Weltwirtschaftsforum in Davos für völlig nutzlos, sie vergleichen es mit den Treffen von Stammesfürsten im Mittelalter: Auch die hätten die Welt verbessern wollen - aber am Ende ging es ihnen allein um den Machterhalt. Andere, wie Marc Benioff, der Chef des amerikanischen Softwareunternehmens Salesforce, sind davon überzeugt: Es gebe derzeit keinen besseren Rahmen, um Firmenchefs, Politiker, Vertreter der Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und Kirchen zusammenzubringen und über die Lage der Welt zu diskutieren. Was also wurde in Davos diesmal beredet? Was sind die fünf wichtigsten Lehren aus dem 46. Weltwirtschaftsforum?

1. Die Welt vertraut der Kanzlerin

Die Kanzlerin war, anders als im vorigen Jahr, diesmal nicht in Davos. Dennoch war Angela Merkel omnipräsent: auf den Podien und in den informellen Gesprächsrunden am Rande. Ihr Vorgehen in der Flüchtlingskrise bewegte viele. Doch während in Deutschland das Vertrauen in sie schwindet, ist es außerhalb von Europa ungebrochen.

Sheryl Sandberg, führende Frau von Facebook, lobte die deutsche Regierungschefin für ihren Mut, die Grenzen zu öffnen. Ein anderer amerikanischer Top-Manager bezeichnete Merkel sogar als "meine Heldin". Und der mongolische Präsident, der seine Gäste bei der "Mongolian Night" im Hotel Interconti in einer eigens aufgebauten Jurte empfing, meinte: "Merkel ist für mich wie eine Schwester."

2. Alles hängt an Europa

Die Weltwirtschaft wächst, aber nicht mehr so stark wie früher. Das bereitet vielen Sorgen. Die Finanzmärkte sind zudem so schlecht in das Jahr gestartet wie seit Ewigkeiten nicht mehr, wie etwa der Chef der Credit Suisse, Tidjane Thiam, vorrechnete. Das liegt vor allem am schwächeren Wachstum in China und anderen Schwellenländern. Der Niedergang der russischen Wirtschaft zum Beispiel sei "dramatisch", meinte ein österreichischer Unternehmer, der dort tätig ist.

Die beiden größten Risiken liegen 2016 aber in Europa. Das erste Risiko: die Flüchtlingskrise. Kurzfristig nutzt sie der Kojunktur in Europa. Das Wachstum werde wegen der Neuankömmlinge um 0,2 Prozent höher ausfallen, in Deutschland sogar um 0,5 Prozent, prophezeit IWF-Direktorin Christine Lagarde. Aber mittelfristig, warnte Lagarde, werde die Wirtschaft leiden, falls der Schengen-Raum mit seinen freien Grenzen zusammenbreche. Das zweite Risiko: ein möglicher Brexit. Sollten die Briten im Sommer für einen Austritt aus der EU stimmen, würde dies an den Finanzmärkten zu schweren Verwerfungen führen.

3. Die Deutschen können digital

Das große Motto des diesjährigen Weltwirtschaftsforums, die "Vierte industrielle Revolution", klang so, als sei es aus einer Rede von Angela Merkel stibitzt und dann ein wenig umformuliert worden. Denn die Kanzlerin redet, ebenso wie die Spitzen der deutschen Wirtschaft, seit bald zwei Jahren unentwegt über die "Industrie 4.0". Ein Begriff, den bis vor Kurzem kaum jemand außerhalb von Deutschland benutzte. Nun aber ist er in aller Munde - und der Respekt vor den deutschen Unternehmen enorm.

Natürlich beherrschen Google, Facebook, Airbnb oder Netflix das Geschäft mit dem Endkunden, aber im digitalen Geschäft zwischen Unternehmen gilt Deutschland neben den USA und China als führende Kraft. Er sehe die Chancen "sehr, sehr positiv", meint Wolfgang Fink, der Deutschland-Chef der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs. Am Ende, meint RWE-Chef Peter Terium, komme es allerdings darauf an, ob Europa einheitliche Regeln für den Datenschutz schaffe, die die Unternehmen nicht zu sehr einengten.

Als abschreckendes Beispiel nannte Terium die Regeln für digitale Stromzähler, die Smart-Meter: "Wir haben 80 000 Smart-Meter installiert, aber die sind dumm wie Brot - nicht, weil sie es nicht können, sondern weil sie es nicht dürfen."

4. Niemand redet mehr über die Finanzkrise

Sieben Jahre lang, von 2009 bis 2015, war die Finanzkrise und deren Bewältigung das beherrschende Thema des Weltwirtschaftsforums. Nicht so in diesem Jahr. Klar, Ökonomen und Politiker diskutierten über die Gefahr, dass die US-Notenbank allmählich den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik vorbereitet, während die europäische und die japanische Zentralbank weiterhin mit vielen, vielen Milliarden gegen die Spätfolgen der Krise kämpfen. "Asynchronität" heißt dieses Problem im Jargon der Finanzwelt.

Aber ansonsten? Ruhe an der Front. Umso mehr beherrschten erstmals die künstliche Intelligenz und die Möglichkeiten, die sich daraus für die Wirtschaft ergeben, die Debatte. Ulrich Spiesshofer, deutscher Chef des Schweizer Konzerns ABB, schwärmte ebenso von schlauen Robotern und selbstlernenden Softwareprogrammen wie Vishal Sikka, Chef des indischen IT-Dienstleisters Infosys oder EU-Digitalkommissar Günther Oettinger.

5. Die Ungleichheit wächst, aber es fehlt eine Lösung

Alle Studien belegen: Die Ungleichheit in der Welt wächst, Einkommen und Vermögen driften immer mehr auseinander. Die digitale Revolution wird diesen Prozess noch einmal verschärfen und gerade in der Mitte der Gesellschaft viele Jobs kosten. Salesforce-Chef Marc Benioff spricht "vom globalen Thema Nummer eins" und fordert seine Kollegen auf, endlich aufzuwachen. Benioff sprach von einer "Führungskrise"; Unternehmer dürften nicht allein den Aktienkurs steigern, sondern müssten sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst werden.

Wie sich die Verlierer auffangen lassen, ist jedoch umstritten. Höhere Steuern für die Reichen trafen nicht auf viel Zustimmung. Auch das bedingungslose Grundeinkommen, ein staatlicher Zuschuss für alle, egal ob sie arbeiten oder nicht, traf nicht auf ungeteilte Zustimmung. Während viele Unternehmer aus der IT-Industrie die Idee unterstützten, meint zum Beispiel RWE-Chef Terium: "So etwas hatten wir schon vor 60, 70, 80 Jahren. Damals hieß das Kommunismus."

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