Forum:Ein Lob der Unabhängigkeit

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Dr. Anselm Görres ist Volkswirt, seit 1996 Inhaber des Interim- Providers ZMM Zeitmanager München GmbH sowie Mitgründer des Interim-Verbands AIMP. (Foto: privat)

Ärzte, Anwälte, Berater - sie alle dürfen freiberuflich oder angestellt wirken. Warum nicht auch Manager und Spezialisten? Ein echter Freelancer ist alles andere als ein verhinderter Angestellter.

Von Anselm Görres

Schon in Babel bildeten Architekten, Baumeister, Händler und Handwerker oder Heil- und Rechtskundige die kreative Mitte zwischen Oberschicht und Volk. In der Neuzeit sorgten Zünfte und freie Berufe für freiere Stadtluft und schafften erste Sozialwerke. Mit der Industrie kamen ganz neue Dienstleister, überwiegend firmennah, wie Berater und Firmenanwälte, Grafiker und Werber, Handelsvertreter und Makler oder Coaches und Trainer. Sie arbeiteten für Firmenkunden, doch selten bei ihnen, sondern im eigenen Büro, meist parallel für viele Kunden.

Erst die Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts brachten neue Anbieter, deren Dienst meist beim Kunden erfolgte, oft über Monate und Jahre. Gut 20 000 Deutsche arbeiten nun als Interimsmanager, 200 000 als Projektspezialisten, IT-Kräfte und andere Auftragnehmer. Ihr Markterfolg fußt zentral auf engster Einbettung in Strukturen und Prozesse der Auftraggeber. Eben diese Einbettung schafft aber Rechtssorgen. Sind Interimsmanager und Freelancer nicht vorsorgepflichtige Arbeitnehmer? Sie parken, arbeiten und essen Seite an Seite mit angestellten Managern und Projektteams des Kunden. Sie nutzen dessen Visitenkarten, Telefone und Mailadressen. Wo bitte, liegt der Unterschied?

Doch die Rechtsfolgen wären bitter, würde die Selbständigkeit beendet. Profis würden in eine ungewollte Anstellung gezwungen. Kunden droht eine Nachzahlung beider Sozialbeiträge (für Arbeitgeber wie -nehmer). Sind Interim-Agenturen beteiligt, müssten sie Zeitarbeitszulassungen einholen und erkrankten Zeitmanagern Löhne fortzahlen. So entstünden Mehrkosten, die keinem helfen. Bürokratie satt, selbst für Kurzeinsätze.

Der überzeugte Freelancer wird verkannt, sieht man ihn nur als verhinderten Angestellten

De facto geschieht in dieser Hinsicht noch wenig, Arbeits- oder Sozialgerichtsurteile gibt es kaum. Umso größer sind indirekte Schäden, vor allem durch verschreckte Kunden, die zu schlechten Alternativen greifen. Das alles bedroht die Wahlfreiheit, Wirtschaftlichkeit und Zukunft des Marktes für eingebundene Freiberufler. Ärzte, Anwälte, Berater: Alle dürfen freiberuflich oder angestellt wirken. Warum nicht auch Manager und Spezialisten?

Was tun? Eine Viertelmillion Menschen sind in Sorge. Seit Jahren plagt das Thema die zuständigen Verbände, die Dachgesellschaft Deutsches Interim Management DDIM und den Arbeitskreis Interim Management Provider AIMP in der Interim-Branche, bei den Freelancern etwa den Bund der Selbständigen BDS/BVMU oder den Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland VGSD. 2015 sorgten zwei Professoren für gute, das Arbeitsministerium für schlechte Nachrichten. Katharina Uffmann vom Wittener Institut für Familienunternehmen verfasste die bisher tiefste Analyse der Rechtsfragen im Interim-Markt. Der Münchner Arbeitsrechtler Volker Rieble erstellte ein Kurzgutachten für den AIMP. Beide argumentieren, dass professionelle Zeitmanager als freie Dienstnehmer tätig sein können, ohne arbeitsrechtlich Angestellte zu werden. Solange sie projektbezogen arbeiten, schulden sie keine Sozialabgaben. Das gilt auch für Sanierungen und Transaktionen. Der Wermutstropfen: Möglich ist eine Rentenbeitragspflicht und zwar umso eher, je länger und je stärker Externe Linienaufgaben wahrnehmen.

Unruhe erzeugte jüngst das Arbeitsministerium mit einem Referentenentwurf für das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Dabei sind die Motive nachvollziehbar. Im Niedriglohnbereich greifen fragwürdige Firmen zu fragwürdigen Methoden. Prekäre Pseudo-Selbständige brauchen Schutz. Eine klarere Grenze zwischen Anstellung und Freiberuf ist überfällig. Leider leidet der bisherige Ansatz unter Oberflächlichkeit, Lebensfremdheit und Asymmetrie. Die Juristen des Arbeitsministeriums erhöhten die Zahl der Indizien zur Arbeitnehmer-Erkennung von drei auf acht, darunter das Arbeiten in Kundenräumen (!) oder fehlende Gewährleistung. Als ob die Arbeitswelt Grenzen zwischen Angestellten und Externen nicht längst verwischt hätte. Viele Angestellte arbeiten ohne Stempeluhr und weisungsfrei zu Hause oder nehmen Sabbaticals, wie Freelancer.

Der Staat muss auch typische Freelancer-Merkmale abfragen: Kurze Kündigungsfrist, unfixierte Laufzeit, Verzicht auf Krankengeld und bezahlte Fortbildung, Parallelsuche nach Folgejobs, eigener Marktauftritt, eigene Vorsorge, Monatshonorare oberhalb der Beitragsgrenzen oder Branchenengagement. Jede nur negative Indizienkette wäre einseitig. Doch die Positivindizien ändern nichts daran, dass die Arbeit Externer und Interner im Alltag kaum unterscheidbar ist. Denn genau das ist ja Ziel der Einbettung: Engste Teamarbeit.

Tun zwei das Gleiche, ist es nicht dasselbe. Die wahren Unterschiede liegen nicht in der Job-Beschreibung, sondern darin, was beide neben dem Job betreiben. Der Interne muss sein innerbetriebliches Fortkommen pflegen, der Externe die außerbetriebliche Zukunft seiner Ich-AG. Zudem geht es nicht um die äußere Form, sondern die innere Haltung. Der überzeugte Freelancer wird verkannt, sieht man ihn nur als verhinderten Angestellten. Sein Selbstverständnis ist unternehmerisch. Er will Verantwortung, verhandelt mit Kunden auf Augenhöhe und steigt aus, wo seine professionelle Kompetenz nicht einbringbar ist. Er arbeitet im System, ohne Teil davon zu sein. Durch häufigen Kundenwechsel bewahrt er Unabhängigkeit. Er ist freier Unternehmer, kein Leiharbeiter.

Solche Haltungen wird der Staat mit noch so langen Checklisten nicht erfassen. Die Lösung: Der Gesetzgeber muss nicht Indizien zählen, sondern auf den Willen der Vertragspartner abheben. Das ist Kern der Vertragsfreiheit, ja auch des Grundrechts der Berufswahl.

Soweit mein Appell an den liberalen Rechtsstaat. In Sachen Sozialstaat denken die Deutschen parteiübergreifend nicht neoliberal, sondern sozial- und christdemokratisch. Es bleibt ungerecht, wenn gut verdienende Selbständige allenfalls über ihre Steuern zum Sozialstaat beitragen. Bismarcks soziale Pflichtversicherung ist national wie international ein Erfolgsmodell. US-Präsident Obama brachte Amerika auf einen ähnlichen Kurs, nur viel später.

Fast jeder Selbständige ist krankenversichert. Aber bis heute zwingt ihn kein Gesetz zur Altersvorsorge. Sollen die Beitragszahler für verarmte Selbständige aufkommen? Lasst uns die von Bismarck hinterlassene Lücke schließen. Bismarck für alle! Zwischen bloßer Versicherungspflicht oder Bürgerversicherung liegen viele Lösungen. Zugleich muss der Sozialstaat davon abgehen, gut verdienende Selbständige unter einen Schutzschirm zu zwingen, den sie weder wollen noch brauchen.

© SZ vom 25.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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