Kinderspielzeug:Die füllige Barbie ist ein großer Fortschritt

New Barbie body types and colors released

Barbies gibt es jetzt mit verschiedenen Hautfarben, Frisuren, Augenfarben und Figuren. Gut so!

(Foto: dpa)

Das Legomännchen im Rollstuhl und die Barbie mit Bauch haben Begeisterung ausgelöst. Doch muss Spielzeug wirklich realistisch sein?

Von Barbara Vorsamer

Ein Kinderzimmer ist ein Hort der Fantasie. Häufig bevölkert von Prinzessinnen und ihrem Hofstaat, manchmal von Supermarktkassiererinnen. Auch Giraffen, Dinosaurier und Bären streifen herum. Und sehr häufig sind die Anwesenden überzeugt, "Vater-Mutter-Kind" zu sein - auch wenn keiner der Protagonisten höher als einen Meter ist.

Wie viel Realität ist an so einem Ort zu erwarten? Wie viel Repräsentation muss sein, wie viel Inklusion? Brauchen wir jetzt auch noch eine Quote fürs Kinderzimmer?

Neu entzündet hat sich diese Diskussion an zwei Neuvorstellungen auf der Spielzeugmesse in Nürnberg. Lego wird im Sommer ein Männchen im Rollstuhl herausbringen, Mattel hat seinem Top-Seller Barbie eine neue Figur verpasst. Es gibt die weltbekannte Puppe nun zusätzlich zum Standardmodell in groß, klein oder kurvig. Die Reaktionen waren positiv.

Spielzeug ist für Jungen oder für Mädchen - zu selten für Kinder

Die Spielzeugwelt, in der sich Kinder bewegen, ist oft einseitig. Alle Protagonisten sind weiß und schlank, schlau und gesund, und wenn sie es einmal nicht sind, ist diese Abweichung keine Normalität, sondern dient der Geschichte gleich als Dreh- und Angelpunkt. Spielzeug ist extrem gegendert, also nach Geschlecht sortiert. Wer einen Laden betritt, muss sich sofort entscheiden: Soll es etwas für einen Jungen sein? Dann bitte zu den blau eingefärbten Regalen! Hier reihen sich Laserschwerter an mehrstöckige Garagen samt den dazugehörigen Autos, es gibt Bälle in allen Größen und Farben. Wer für ein Mädchen einkauft, muss sich Richtung Rosa bewegen und hat die Wahl zwischen Puppenwägen, Miniaturküchen und diversem Glitzerkram zum Basteln.

Barbie wird es weiterhin im rosa Bereich geben, auch mit den neuen Körperformen sind Jungen nicht zur Zielgruppe geworden (obwohl Barbie ganz ursprünglich eine Männerfantasie war. Die Puppe geht zurück auf die Karikatur Lilli aus der Bild-Zeitung). Leider ist ihr Wesen weiterhin eher oberflächlich. Nach wie vor besteht die Hauptaktivität beim Spielen mit Barbies darin, den Puppen Klamotten an- und auszuziehen. Eine Barbiebesitzerin braucht also eine gehörige Menge an Kleidern und Accessoires. Zukünftig sogar noch mehr davon - schließlich haben die unterschiedlichen Barbies nicht dieselbe Konfektionsgröße. Eltern müssen alles doppelt und dreifach kaufen.

Mit der Marke Barbie geht es schon länger bergab

Kritische Stimmen vermuten daher, dass es Mattel gar nicht so sehr um die Vermittlung eines realistischen Körperbildes geht. Zwar sagte Geschäftsführer Richard Dickson bei der Vorstellung der neuen Puppen: "Barbie spiegelt die Welt, die Mädchen um sich herum sehen." Doch in der Welt von Kindern gab es schon immer dunkle und helle, dicke und dünne Frauen, dennoch blieb Barbie fast sechs Jahrzehnte unnatürlich dünn. Eine bessere Erklärung für Mattels neue Strategie liefern daher die Verkaufszahlen. 20 Prozent Umsatz verlor Barbie allein von 2012 auf 2014. Der Guardian bewertet die Diversifizierung als "letzten Ausweg für eine sterbende Marke".

Die Kritik an Mattel in den vergangenen Jahren war immens, spätestens seitdem eine Universität Barbie mit Essstörungen in Verbindung gebracht hat. Durch ihre unrealistischen Körperformen vermittele sie ein Schönheitsideal, dem Mädchen schon mit fünf bis acht Jahren nacheifern wollten, hieß es in der britischen Studie. Ungeklärt ist, ob es wirklich die Puppe ist, die Mädchen magersüchtig macht - oder ob, andersherum, die Barbie in Familien, die ein positives Körperbild vermitteln wollen, gar nicht erst in die Kinderzimmer gelangt.

Marketing-Gag oder sinnvolle Sortimentserweiterung?

Pinkstinks, eine Organisation, die sich gegen sexistisches Spielzeug einsetzt, glaubt nicht daran, dass es all die unterschiedlichen Puppen in die Läden schaffen werden. Die Logistik sei zu kompliziert, sagt Gründerin Stevie Meriel Schmiedel. "Ich befürchte, die kurvige Barbie ist ein Marketinginstrument." Als "sinnvolle Sortimentserweiterung" bezeichnet Willy Fischel, Geschäftsführer des Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels, hingegen die neuen Produkte. "Am Ende entscheiden aber die kleinen und großen Konsumenten, ob die Innovation ein Erfolg wird", sagt Fischel.

Die wenigsten Kinder spielen Geschäftsführer

Womöglich geht es der Kurven-Barbie also wie der Präsidentin oder der Unternehmerin. Diese Modelle machten zwar Schlagzeilen, in Spielzeugläden und Kinderzimmern sind aber nur wenige von ihnen zu finden. Die wenigsten Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter haben eine Idee davon, wie man "Präsidentin" spielt. Was soll eine Sechsjährige denn da machen - mal eben zum Spaß eine Rede zur Lage der Nation halten oder ein paar Gesetze unterzeichnen? Von so etwas haben Kinder keine Vorstellung, brauchen sie auch nicht.

Sie spielen Vater-Mutter-Kind, weil Familie eine Lebenswelt ist, die sie kennen und verstehen. Die Lebenswelt von Kindern beinhaltet aber sehr wohl Menschen, die nicht den Barbie-Maßen von 99-46-84 entsprechen, die nicht weiß sind und die Behinderungen haben.

Spielwarenmesse 2016

Neu im Lego-City-Sets: Das Männchen im Rollstuhl und das Baby.

(Foto: dpa)

Insofern sind Kurven-Barbie und Rolli-Männchen ein großer Fortschritt. Alternative Spielzeuge wie die Puppe Lammily oder das Rollimännchen Wheely gibt es zwar schon länger. Es sind jedoch Nischenprodukte, im Spielzeugladen um die Ecke gibt es sie nicht. Dass nun Marktgiganten wie Lego und Mattel realistischeres Spielzeug anbieten, ist neu.

Auf die Eltern kommt es an

Die Spielzeughersteller reagieren damit auf die Kritik von Gleichstellungs- und Behindertenverbänden - vor allem aber darauf, dass die Käufer kritischer werden. Evelyn Mazzocco, bei Mattel zuständig für die Marke Barbie, sagte dem Time Magazin: "Die Millenial Mom ist nur ein kleiner Teil unserer Zielgruppe. Doch sie ist unsere Zukunft." Als "Millenial Moms" bezeichnen Marketingstrategen die Mütter, die zwischen 1978 und 1994 geboren sind. Diese informieren sich im Internet, sind in drei bis vier sozialen Netzwerken aktiv und 90 Prozent von ihnen teilen dort regelmäßig Informationen zu ihren Konsumentscheidungen.

Einer wachsenden Gruppe dieser Eltern ist Gleichberechtigung und Inklusion ein Anliegen und sie beschweren sich seit Jahren zu Recht, dass Spielzeug und Kinderbücher den diversen Lebenswelten ihrer Kinder zu wenig Rechnung tragen.

Türsteher vor dem Kinderzimmer

Andi Weiland, Pressesprecher des Behindertenverbandes Sozialhelden, lobt Lego daher vor allem dafür, dass der Rollstuhlfahrer nicht im Krankenhaus-Set enthalten ist, sondern im City-Set, also in einem alltäglichen Umfeld. Er hofft: "Vielleicht bauen Kinder künftig barrierefreie Legohäuser." Oder kämmen einer Puppe den schwarzen Kurzhaarschnitt und ziehen einer kurvigen Barbie den Bikini an. Ob es in Kinderzimmern bald so zu geht? Es wäre eine schöne Vorstellung.

Am Ende sind es vor allem die Eltern, die das Weltbild ihrer Kinder formen. Eltern sind die Türsteher am Kinderzimmer, bestimmen - zumindest bis zu einem gewissen Alter - wer und was da rein kommt und was nicht. Sie sind dabei aber auf das angewiesen, was Spielzeughändler im Angebot haben. Kurven-Barbie und Rolli-Männchen spiegeln unsere diverse Welt deutlich besser als die bisher populären Produkte.

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