Jazz:Der Melancooliker

Jazz: Vollbart, Undercut, Trompete: Avishai Cohen

Vollbart, Undercut, Trompete: Avishai Cohen

(Foto: Caterina di Perri / ECM Records)

Sieht aus, als käme er gerade aus Alaska vom Waldroden, spielt, als habe es Miles Davis nie gegeben: Der israelische Trompeter Avishai Cohen und sein grandioses neues Album.

Von Andrian Kreye

Es ist für einen Trompeter mit Hang zur Melancholie wie Avishai Cohen nicht leicht, dem Schatten von Miles Davis zu entkommen. Man stutzt bei seinem neuen Album "Into The Silence" (ECM) auch erst einmal. Da spielt er gleich zu Beginn auf der gestopften Trompete Linien über Pausen, mit denen die Rhythmusgruppe fast stärkere Akzente setzt als mit ihrer minimalistischen Begleitung.

Das fesselt einen vom ersten Moment an, weil da eine Vertrautheit entsteht. Es erinnert an Davis' "Kind of Blue" oder "In A Silent Way", an Jazzplatten, die auch Leute gehört haben, die mit Jazz sonst nichts anfangen können. Doch Davis' Klangbild hat sich als musikalisches Äquivalent zu Edward Hoppers Bildern der einsamen Großstadt als Inbegriff des Modernismus eingeprägt. Schwer, das zu umgehen.

Nun mussten sich Trompeter im Modern Jazz schon immer vom übermächtigen Miles lösen, genauso wie Altsaxofonisten immer mit dem Erbe von Charlie Parker und Tenorsaxofonisten mit dem Werk von John Coltrane zu kämpfen hatten. Viele Trompeter haben sich mit einem Höchstmaß an Aggressivität freigekämpft, Freddie Hubbard etwa oder der junge Wynton Marsalis. Auch Cohen versuchte das auf seinen ersten sieben Alben, die er auf kleinen und kleinsten Labels veröffentlichte.

Alles wunderbar. Aber warum nur muss es wie in einer unbeheizten norwegischen Kirche klingen?

Er ging sogar noch einen Schritt weiter. Auf vielen seiner Aufnahmen spielt er im Trio. Das ist eine Form der musikalischen Muskelprotzerei, mit der vor allem Tenorsaxofonisten wie Sonny Rollins oder Joe Henderson die Deutungshoheit über ihr Instrument beanspruchten.

Auf "Into The Silence" schlägt Cohen allerdings einen ganz anderen Weg ein. Vielleicht spielt es ja auch eine Rolle, dass Produzent Manfred Eicher Cohen und seine vier Musiker von New York nach Pernes-les-Fontaines gebracht hat, ein mittelalterisches Kleinstädtchen im südlichsten Frankreich. Fern der Jazzmetropole hat er sie offensichtlich dazu gebracht, sich noch einmal ganz neu mit ihrer Musik auseinanderzusetzen. So eine Zwangsverinnerlichung tut nicht allen Musikern gut. Oft genug verlieren sie in der europäischen Ruhe ihr Feuer. Wenn sie es aber schaffen, das Lodern zu einem Simmern zu reduzieren, ohne an Kraft zu verlieren, können sie zu größter Form auflaufen.

Mit Avishai Cohen ist Eicher das gelungen. Es mag nicht leicht gewesen sein. Avishai Cohen gehört zu einer Generation junger israelischer Musiker, die in New York ihr gelobtes Land des Jazz suchten. Viele begannen ihre Laufbahn im Smalls, einem Jazzkeller im Greenwich Village. Der Bassist Omer Avital etwa, der Gitarrist Gilad Hekselman oder der Bassist Avishai Cohen (der eben genauso heißt wie der Trompeter, weshalb der sein erstes Album "Avishai Cohen - The Trumpeter" nannte). Auch Cohen trat dort immer wieder auf.

New York ist für Musiker aber nicht nur deswegen so verführerisch, weil es bis heute kaum eine Stadt gibt, in der die Jazzszene auf so engem Raum so viele Musiker versammelt und die Voltstärke des Alltags zu jeder Stunde so hoch ist, sondern auch weil die Jazzgeschichte dort so präsent ist wie sonst nirgendwo. Weit weg davon erarbeitet sich Avishai Cohen deswegen auf "Into the Silence" über fünf Stücke hinweg eine Sprache, mit der er sich von Miles befreien kann. Die Melancholie speist sich hier nicht aus dem Kanon des Cool, sondern aus einem Moment des sehr privaten Schmerzes. Cohen schrieb die Stücke in der Zeit nach dem Tod seines Vaters. Wie manisch hörte er damals die Klaviermusik von Sergej Rachmaninow.

Diese Wucht reduzierte Cohen auf dem Album konsequent. Zurückhaltung ist Programm. Klavier, Kontrabass und das extrem sparsame Schlagzeug halten die Spannung über das gesamte Album mithilfe dieser strategischen Pausen. Stärkstes Stück ist deswegen auch "Dream Like A Child", das er seinem Vater widmet. Das Eingangsthema spielt kurz mit der Melodik aus Cohens israelischer Heimat. Dann gibt Cohen dem Klaviertrio gut fünf Minuten freien Raum, den es sparsam bespielt. Erst spät legt er mit dem Saxofonisten Bill McHenry modale Bläserlinien über ein Kontrabassmotiv, das in seiner Schlichtheit ganz deutlich auf Coltranes "A Love Supreme" verweist.

Kein leichter Stoff. Cohen hat mit diesem Album trotzdem die Chance, zu jener Gruppe junger Jazzmusiker zu stoßen, die von einer neuen Offenheit des Publikums profitieren, die gar nicht über den Jazz gekommen ist, sondern über den Rapper Kendrick Lamar. Der vermittelte mit seinem Album "To Pimp A Butterfly" einem neuen Publikum weniger die Musik als die Haltung des Jazz, das sich dann auf so unterschiedliche Musiker wie Kamasi Washington, Charles Lloyd oder Gregory Porter einließ.

Mag sein, dass es Avishai Cohen auch hilft, dass er mit Vollbart und Undercut-Frisur so aussieht wie all die schicken Jungs, die so wirken, als hätten sie gerade eine Waldlichtung in Alaska freigeschlagen. Es gibt auf Youtube sogar ein Imagefilmchen zum Album, in dem Cohen in seinem malerisch schummrigen New Yorker Apartment mit tätowierten Armen Vinylplatten aus dem Regal zieht.

Das mag alles auf die falsche Spur führen. Die Modewelt der heutigen Hipster hat mit dem abstrakten Kosmos der Hipster im Modern Jazz kaum etwas gemeinsam. Auch die klirrende Kälte des künstlichen Halls, mit der so viele ECM-Aufnahmen klingen, als seien sie in einer unbeheizten norwegischen Kirche entstanden, wird Avishai Cohens Melancholie nicht gerecht. Aber das sind Äußerlichkeiten, die nicht davon ablenken können, dass ihm gerade deswegen ein so grandioses Album gelungen ist, weil ihn Manfred Eicher aus seiner Traumwelt des New Yorker Jazz geholt und so zu einer Musik gebracht hat, mit der er über sich selbst hinauswachsen kann.

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