1000. Sendung von Johannes B. Kerner:Kerners Chaoskinder

Ein stattliches Jubiläum: Johannes B. Kerner moderierte seine 1000. Sendung - doch die großen Gäste blieben aus. Statt dessen wurde über Schulpolitik gestritten und vom Hüftgelenk erzählt. Eine kleine Nachtkritik.

Tomasz Kurianowicz

Natürlich weckt eine gigantische Zahl astronomische Erwartungen. Es wäre nicht überraschend gewesen, wenn die gesamte ZDF-Redaktion nächtelang durchgeschuftet hätte, um Johannes B. Kerners 1000. Sendung mit einer hochkarätigen Prominenten-Parade zu feiern.

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Devot, informiert, parteilos: Johannes B. Kerner.

(Foto: Foto: Wolfgang Lehmann/ZDF)

Schließlich hat der quotenstärkste Talkshow-Moderator der deutschen Abendunterhaltung vielfach bewiesen, dass er die im Showbusiness erforderlichen Kontakte besitzt, um selbst Bill Clinton in sein Studio zu locken. Doch weit gefehlt: Die Diskussion um das Thema "Familien- und Schulpolitik - Wie gehen wir mit unseren Kindern um?" stellte nicht nur eine schwammige Frage an den Anfang, sondern ein ebenso müdes Fazit an den Schluss.

Ohnehin begann die Sendung anders als geplant: Ein Mann, der an multipler Chemikalienunverträglichkeit leidet, setzte sich nach 17 Jahren in ein Flugzeug, um zu Kerner zu reisen und über seine unbekannte Krankheit Auskunft zu geben. Das Gespräch knüpfte an eine zuvor im ZDF ausgestrahlte "37-Grad"-Reportage an, in der Christian Schifferles Schicksal porträtiert wurde. Auf jede Art von Düften, Chemikalien und Parfüms reagiert Schüfferles Körper hoch allergisch. Um sich vor den Gerüchen zu schützen, floh der stets mit Mundschutz ausgerüstete Mann in die Natur - in seinen Wohnwagen, fernab der Zivilisation.

Das hätte ein spannendes Thema werden können - doch das kurze, aber eindrucksvolle Gespräch musste leider abrupt unterbrochen werden, um auf das angekündigte Abendthema hinüberzuleiten: von chemischer zu schulischer Unverträglichkeit. Kern der Debatte war die politisch durchgesetzte Verkürzung der gymnasialen Schulzeit von neun auf acht Jahre - liebevoll abgekürzt mit "G8" - und die vermeintlichen Folgeschäden bei Schülern.

Sämtliche Klischees

Der langjährige Industriemanager Hans-Olaf Henkel machte den Anfang und bestätigte mit seiner ökonomisch fixierten Rhetorik sämtliche Klischees, die ein Wirtschaftsboss wachrufen kann: Er schimpfte auf das schulische Weichei-System in Deutschland, rühmte die angelsächsischen Bildungsmodelle, kritisierte faule Studenten und bemängelte Motivationsarmut bei deutschen Jugendlichen. Henkel war der umstrittenste, dafür auch der profilierteste Gast.

Kinderarzt Klaus Kühn vertrat konträre Ansichten, auf die Henkels Häme zielte: Mit ruhiger Stimme warnte er vor zu viel Leistungsdruck. Stress führe zu psychischen und physischen Krankheiten und verursache Unzufriedenheit und Lernhemmungen bei Schülern. Darauf konnten sich schließlich alle Gesprächsteilnehmer einigen: Es fehle schlicht an Geld, um die ambitionierten Ziele des Bildungsministeriums zu realisieren.

Ein Rätsel blieb bis zuletzt, warum der Schauspieler Sky du Mont samt Gemahlin für den Ausgang des Abends unerlässlich war. Nutzlose Kommentare wie beispielsweise der Verweis auf fehlende Feiertage in Hamburg, die du Mont für eine gesunde Kindheit einforderte, ließen seine Präsenz wie ein abgekartetes Spiel zwischen Gast und Moderator erscheinen: Du Mont als Stichwortgeber und Duz-Partner - solche Jubiläumsgäste wünscht man sich.

Doch erst der nächste Programmpunkt stärkte die These von der komplett willkürlichen Gästewahl. Der als "Derrick"-Partner Harry Klein in Erinnerung gebliebene Fritz Wepper erschien mit seiner Tochter Sophie und grüßte zu Beginn seines Auftritts einen Bratwurstverkäufer. Ein symptomatischer Auftakt.

So tröpfelte der Abend dahin. Wepper schilderte das Vater-Tochter-Verhältnis, berichtete über Operationen an seinen Hüftgelenken und philosophierte über das Rauchverbot. Zwischendrin durfte Tochter Sophie von ihrem guten Verhältnis schwärmen. Erst am Schluss des Gesprächs lüftete sich das Geheimnis, warum Familie Wepper jene kostbaren Sendeminuten beanspruchen durfte: Demnächst zeigt das Öffentlich-Rechtliche einen von den Weppers produzierten Film.

Doch was war mit Jubilar Kerner los? Er machte seinen Job wirklich gut: devot, informiert, parteilos. Hans-Olaf Henkel verwies in einer unerwarteten Sendeminute auf den besonderen Anlass des Tausender-Jubiläums, das Publikum reagierte mit spontanem Applaus. Doch der Moderator blieb bescheiden, als ob er sich ertappt fühlte, und wechselte schnell zum Diskussionsthema zurück. Völlig nachvollziehbar: Größere Gratulationsstürme hätten einen glamouröseren Kontext verdient, als diese für Kerners Verhältnisse doch sehr mittelmäßige Sendung.

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