Tourismus:Kochen für Fremde

Tourismus: Wie bei Freunden: Nach dem Vorbild von Airbnb gibt es inzwischen auch Internetseiten, die Hobbyköche und Touristen in aller Welt zusammenbringen.

Wie bei Freunden: Nach dem Vorbild von Airbnb gibt es inzwischen auch Internetseiten, die Hobbyköche und Touristen in aller Welt zusammenbringen.

(Foto: eatwith.com)

Auf Reisen nie mehr im Hotel am Katzentisch sitzen? Im Netz gibt es immer mehr Plattformen, die Touristen und einheimische Hobbyköche zusammenbringen.

Von Evelyn Pschak

Es gibt Menschen, die wären nicht gerade erfreut, wenn ein Unbekannter ihre Erdgeschosswohnung für eine Buchhandlung halten, mal eben hereinkommen und auf die Toilette gehen würde.

Petra Hart stört das nicht. Der Überraschungsbesuch hat sie sogar auf die Idee gebracht, die exponierte Lage ihres Amsterdamer Apartments in einem schicken Klinkerneubau am Ufer des IJ dafür zu nutzen, Leute kennenzulernen. "Ich kann Fremde doch auch gleich als Gäste hereinbitten", sagte sich die 43-jährige Holländerin.

Hart unterhält sich gerne, nutzt als Webdesignerin digitale Plattformen - und sie kocht gut. Das macht sie zur idealen Gastgeberin für EatWith. Das kalifornische Start-up-Unternehmen ist im Internet einer der großen Vermittler privater Angebote zum Mit-Essen. Auf vielen Webseiten bitten inzwischen Hobbyköche an den eigenen Tisch. Travelingspoon.com bedient vor allem den asiatischen, eatfeastly.com den amerikanischen Markt, voulezvousdiner.com hat seine Wurzeln in Paris, und seit vergangenen August bietet airdnd.nl sogenannte Huiskamerrestaurants an, also Wohnzimmer-Restaurants in holländischen Städten.

Besucher, die völlig unbekannt sind

So muss man heutzutage keine Freunde am Urlaubsort haben, um einen Blick in die Kochtöpfe von Einheimischen zu werfen und mit ihnen zu essen. Am Bildschirm lassen sich, sortiert nach Reiseziel und Essensvorliebe, Römer, New Yorker oder Bad Tölzer als Gastgeber auswählen. Diese bereiten dann für Besucher, die sich zwar online angemeldet haben, ihnen aber völlig unbekannt sind, ein Menü zu. Das muss nicht immer Hausmannskost sein. "Alpine Delights. A Bavarian Getaway Experience" bietet etwa ein Gastgeber über EatWith im oberbayerischen Egling an, für 58 Euro pro Person. Serviert wird Tatar vom Oberland-Rind, geräucherter Saibling, geschmorter Ochsennacken und zum Dessert Mohnschmarrn an Apfelragout.

Wer vorrangig in deutschen Städten nach Wohnzimmerrestaurants sucht, wird auf den Listen von supperclubbing.com fündig. In manchen Supper Clubs wird schon so lange privat gekocht, dass sie bereits als Institutionen gelten. Der 2007 in Wien eröffnete The Dining Room der Niederösterreicherin Angelika Apfelthaler gehört als erstes Private-Dining-Lokal Österreichs dazu (www.thediningroom.at). Ebenso die "Cesarine", eine ganze Brigade von italienischen Köchinnen, die seit 2004 über die Internetseite homefood.it ihre Kochkünste in 150 Städten anbieten.

Das Prinzip des Restaurants im privaten Umfeld hat EatWith also nicht erfunden. Einer der Gründer, Guy Michlin, beansprucht für sein Unternehmen allerdings, dass die Idee "vor uns keiner auf globaler Ebene durchgezogen hat".

Tourismus: Petra Hart ist seit Jahren im Geschäft und hat bereits 500 Fremde bei sich zu Hause in Amsterdam empfangen.

Petra Hart ist seit Jahren im Geschäft und hat bereits 500 Fremde bei sich zu Hause in Amsterdam empfangen.

(Foto: eatwith.com)

Die Gemeinschaft, das weltweite Vernetzen sei dem Unternehmen besonders wichtig. "Wir wollen, dass unsere Mitglieder sich als Teil von etwas Großem begreifen." Die Vermittler bekommen einen Anteil des Preises für das Essen, bei EatWith sind es rund 15 Prozent. Damit bleibt das Essen für den Gast bezahlbar: Ein dreigängiges Menü mit Amuse-Gueule, Kürbissuppe, Thymianhuhn und Marsala-Ofenbirne kostet den Besucher von Petra Hart 28 Euro, Getränke inklusive. Hart selbst kalkuliert dabei pro Person mit etwa 14 Euro Kosten. Würde man einen Stundenlohn ansetzen, wäre mit so einer Einladung also nicht viel verdient - trotzdem bewirten die Gastgeber ihre Besucher natürlich nicht nur aus Nächstenliebe. Ohne einen gewissen Idealismus bleibt aber wohl keiner lange dabei. Nur einen Gast zu bewirten, lohne sich finanziell nicht, sagt Hart, und trotzdem finden solche Essen bei ihr statt. "Ich bin selbst viel allein gereist und weiß, wie es sich anfühlt, wenn man im Hotelrestaurant am Katzentisch sitzt."

Das Versprechen vom "Freund in der Ferne"

2012 wurde EatWith in Tel Aviv gegründet, heute ist der Firmensitz in Kalifornien. Das Unternehmen beschäftigt 25 Mitarbeiter, die Webseite wächst schnell. Die Gastgeber kommen bereits aus 150 Städten in 34 Ländern und bieten von italienisch bis vegan, von Ethnofood bis zur Fusionsküche so ziemlich alles an. Sogar Ex- Sterneköche sind unter den Gastgebern.

Dabei ist das Unternehmen nach eigenen Angaben wählerisch bei der Auswahl der Köche. Nur rund vier Prozent der Bewerber würden akzeptiert, sagt Michlin. 10 000 potenzielle Gastgeber seien derzeit im Auswahlverfahren. Geprüft wird die Qualität der Menüs - und dass alles "sicher und sauber" ist, erklärt Michlin.

Wie das große Vorbild Airbnb schmückt sich EatWith mit Attributen wie Authentizität und Individualität. Und wie Airbnb beschwört es das Versprechen vom "Freund in der Ferne". Das gefällt nicht jedem. Die Hotellerie-Branche wirft Airbnb Geschäftemacherei auf ihre Kosten vor, weil sich die Anbieter ja Personal, Sozialabgaben und Steuern sparten. Die Kommerzialisierung verwässere zudem die eigentliche Idee der Sharing-Economy: Wenn nicht ein normaler Mieter, sondern eine Immobiliengesellschaft das Loft online anbietet, findet sich der Gast in genau jener Anonymität wieder, der er entfliehen wollte. Dasselbe könnte man EatWith vorhalten - zumal etliche Gastgeber ihren Beruf aufgegeben haben und nun Vollzeit-Bewirter sind. Guy Michlin hält dagegen, dass der Besuch in einem Restaurant "etwas ganz anderes" sei als ein EatWith-Abend. Die Alternative sei für die Gäste eher Kino oder Theater.

Persönlicher als in einem Restaurant ist der Kontakt in der Regel. Schließlich isst man gemeinsam mit den Köchen an ihrem Küchen- oder Esszimmertisch. Petra Harts Küche etwa ist nur durch einen kleinen Tresen vom Esszimmer getrennt. Es riecht heimelig nach Kartoffelgratin. "Der ist aus rohen Kartoffeln gemacht, deswegen schmeckt er wie die Reibekuchen meiner deutschen Großmutter", sagt die Niederländerin. Ihr siebenjähriger Sohn schaut im Sternchen-Pyjama durch die Schlafzimmertür und fragt nach der Kuscheldecke im Trockner. Seine Mutter vertröstet ihn, ohne dabei das Huhn im Pancettamantel aus den Augen zu lassen.

Im Sommer, wenn mehr Touristen in der Stadt sind, empfängt Petra Hart mindestens einmal pro Woche Fremde als Gäste, im Winter seltener. Für mehr als 500 Unbekannte habe sie inzwischen gekocht, schätzt Hart; Menschen mit den unterschiedlichsten Gepflogenheiten: Die Gruppe von sechs ukrainischen Pärchen verlangte als erstes nach Wassergläsern für den selbst mitgebrachten Wodka. Die zwölf Gynäkologen, die während einer Tagung bei ihr aßen, sprachen den ganzen Abend nicht miteinander. Und der 81 Jahre alte ehemalige britische Minister aus der Ära Thatchers kam mit seiner Frau und berichtete, er habe "nicht einen einzigen langweiligen Moment mit Margaret" erlebt. Nur an eine Einladung kann Hart sich erinnern, bei der es ihr während der Planung mulmig wurde. Zwei Männer aus Saudi-Arabien hatten sich angekündigt, als einzige Gäste. Hart bat ihren Freund zum Essen hinzu. Im Nachhinein betrachtet wäre das nicht nötig gewesen, sagt sie: "Das waren einfach sehr nette Jungs."

Anreise: KLM fliegt fünfmal täglich von München nach Amsterdam, Hin- und Rückflug ab 98 Euro, www.klm.de . Übernachtung: INK Hotel, Doppelzimmer ab 168 Euro pro Nacht, www.mgallery.com . Privat essen: www.eatwith.com Weitere Auskünfte: www.holland.com

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