Serien-Recaps:Wer hat geerbt, geliebt oder betrogen?

Sherlock - Die Braut des Grauens

Benedict Cumberbatch (r.) in der Titelrolle von Sherlock und Martin Freeman als treuer Assistent Watson.

(Foto: ARD Degeto/BBC/Hartswood Films 2)

Bissige Nachbesprechungen einzelner Serienepisoden werden immer beliebter. Wer nur deutsches Fernsehen sieht, kann sich das kaum vorstellen.

Von Kathleen Hildebrand

Der Abspann der letzten Folge Krieg und Frieden läuft noch, da sind die Preise schon vergeben: Der für den "besten Widersacher" geht an die intrigante Gräfin Helene, des guten Grafen Besuchows treulose Gattin. Den "Audrey-Hepburn-Award für die beste Damen-Darstellung" bekommt die Schauspielerin Aisling Loftus für den glaubwürdigen Fatalimus, mit dem sie die arme Cousine Sonja spielt.

Die Preise verleiht jede Woche die britische Autorin und Komikerin Viv Groskop - in ihren sogenannten Recaps für den britischen Guardian, die sofort nach Ausstrahlung der neuesten Episode online gehen. Ihre Texte sind kurze, pointenreiche Rezensionen, die rekapitulieren, wer in der BBC-Verfilmung von Tolstojs Klassiker gerade geerbt, geliebt oder betrogen hat.

In Großbritannien und den USA ist das Recap eines der erfolgreichsten neuen Genres, die der Journalismus in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat. New York Times, Guardian, Variety und Vulture, die Unterhaltungswebseite des New York Magazines - alle recappen.

Die erfolgreichsten US-Serien, aber auch beliebte Exportware wie die britische Adelsserie Downton Abbey oder den Über-Erfolg Sherlock, manche auch ausgewählten Trash wie The Bachelor. Die New York Times sucht momentan nach Mitarbeitern für ein neues Portal, das den Lesern bei der Entscheidung helfen soll, welche Serie sie als nächstes "binge-watchen" sollen, also eine Folge nach der anderen ansehen.

Jemand guckt fern und schreibt hinterher auf, was er gesehen hat?

Recaps sind die logische Reaktion des Journalismus auf jenes vielbeschworene goldene Fernsehzeitalter, das Serien wie Mad Men, Breaking Bad und Homeland hervorgebracht hat. Formate, bei denen es sich durchaus lohnt, jede einzelne Episode sehr genau anzusehen. Weil jede einzelne so komplex ist, dass einem die eine oder andere Referenz schon mal entgehen kann.

Trotzdem: Jemand guckt fern und schreibt hinterher auf, was er gesehen hat? Klingt reichlich redundant. Wer nur deutsches Fernsehen sieht, kann sich kaum vorstellen, wie jemand auf so eine Idee kommen könnte. Doch die Recap-Kultur schwappt nach und nach über. Inzwischen werden immerhin Tatort und "Dschungelcamp" in deutschen Onlinemedien nachbesprochen. Und mit Deutschland 83 gab es diesen Winter eine Serie, bei der es sich gelohnt hätte, dass kluge Menschen sich Gedanken über sie machen.

Wie ein Gespräch mit einer witzigen Freundin

Im deutschsprachigen Internet findet man Recaps vor allem auf den Seiten serieslyawesome.tv oder serienjunkies.de. "Manche Leute lesen nur noch Recaps", sagt Serienjunkies-Redakteur Axel Schmitt. "Die interessiert eine bestimmte Serie eigentlich gar nicht mehr, aber sie wollen trotzdem wissen, wie es weitergeht." Die Einzelrezensionen werden auf seiner Seite am häufigsten angeklickt. "Wir schauen immer nach Amerika", sagt er, "und beobachten, was sich da so tut, wie sich die Textform entwickelt."

Ein gutes Recap ist mittlerweile längst mehr als eine Inhaltsangabe. Es zu lesen ist, als unterhielte man sich mit einer gut informierten, witzigen Freundin über das, was man gerade gemeinsam gesehen hat. Gute Recaps kritisieren, nehmen dramaturgische Fehltritte aufs Korn (noch einmal Viv Groskop über Krieg und Frieden: "Bitte die Schauspieler nicht noch mal russische Volkslieder - auf Russisch! - singen lassen!") und loben klug, was es zu loben gibt. Sie sind persönlich, sagen auch mal "ich". Sie ziehen Parallelen zu Serien-Klassikern, zu Filmen und zu älteren Episoden. Die besten Recaps sind eigentlich Kritiken.

Die Recaps zu der notorisch symbolbefrachteten Serie Mad Men etwa waren gern mal fünf bis sieben Seiten lang. Spezielle Kostüm-Recaps analysierten die Bedeutung von Don Drapers haifischgrauen Anzügen im Kontrast zu den Farben der Kleider seiner Frauen. Andere riefen lange zurückliegende Episoden wieder auf, ohne die die aktuelle offenbar nur unzureichend verstanden werden konnte.

Bitte sag mir, was ich gerade geguckt habe

Diese Detailversessenheit fanden viele Medienjournalisten lange irgendwie unziemlich. Recaps wurden als Online-Spielwiese für Fans geschmäht, als journalistisches Fastfood von geringer Relevanz. Doch die Häme verkennt die Komplexität und den ästhetischen Anspruch vieler Serien. Nach einer besonders mysteriösen Folge von Breaking Bad schrieb ein amerikanischer Student auf Twitter eine Nachricht an den bekannten Recapper Andy Greenwald und flehte um Aufklärung: "I need @andygreenwald to tell me what I just watched."

Gerecappt wird aber auch aus einem profaneren Grund. Viele Serien erreichen ein großes und leidenschaftliches Publikum. Sie generieren im Internet eine gewaltige Aufmerksamkeit, von der Online-Portale etwas abhaben möchten. Gilbert Cruz, stellvertretender Chefredakteur des Portals Vulture, sagte dem Wall Street Journal: "Jede Webseite muss das Spiel um die Klickzahlen mitmachen. Wenn wir die Recaps von unserer Seite nähmen, wäre das ein schwerer Schlag für uns."

Der Kampf um Recap-Leser ist dabei immer härter geworden: Schnelligkeit zählt. In Zeiten, in denen die Schauspieler einer Serie noch während der Ausstrahlung der neuesten Folge diese live auf Twitter mitkommentieren, wie es die Darsteller der US-Serie Scandal tun, muss spätestens am nächsten Morgen die Folge vom Vorabend besprochen sein.

"Homeland"-Macher Alex Gansa lobt manche Recaps stilistisch, mag sie aber eigentlich nicht

Noch mehr aber zählt Originalität. Es sind längst nicht mehr nur arme Freiberufler, die sich für ein schmales Honorar die Nacht nach der Ausstrahlung um die Ohren schlagen, sondern immer öfter etablierte Autoren, die so ihre Bekanntheit steigern. Die Zeitreise-Serie Outlander besprach die US-Literaturprofessorin und Gender-Theoretikerin Roxane Gay, und Matt Zoller Seitz, vormals Filmkritiker der New York Times, schrieb über Mad Men.

Diese Entwicklung geht auch an den Serienmachern nicht vorbei. Alex Gansa, Produzent von Homeland, lobte den Stil mancher Recaps seiner Serie. Insgesamt aber lehnt er das Genre aus Selbstschutz ab: "Die wahnsinnige Genauigkeit, mit der jede Episode auseinandergenommen wird, macht die Beteiligten verrückt." Der größere Zusammenhang gerate dabei aus dem Blick.

Dass Fans und Autoren die Lupe, einmal aufgenommen, wieder zur Seite legen, ist jedoch vorerst sehr unwahrscheinlich.

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