Syrien:Hunger, Folter, Mord

Die Nachrichten aus Syrien verdichten sich zu einem furchtbaren Bild: Luftangriffe, Streumunition - und alle Seiten begehen Kriegsverbrechen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Die UN haben gewarnt, dass durch die Offensive der syrischen Regierungstruppen, verbündeter Milizen und der russischen Luftwaffe 300 000 Menschen in Aleppo von jeder Versorgung abgeschnitten werden könnten. Bis zu 150 000 dieser in den von Rebellen kontrollierten Vierteln lebenden Menschen könnten versuchen zu fliehen, teilte das Büro des UN-Nothilfekoordinators Stephen O'Brien in Genf am Dienstag mit. Der Syrien-Direktor des Welternährungsprogramms (WFP), Jakob Kern, sagte: "Wir sind extrem besorgt, weil der Zugang und die Versorgungsrouten von Norden in den Ostteil von Aleppo nun abgeschnitten sind." Diese Viertel sind unter der Kontrolle von Rebellen. Den Westen der Stadt mit etwa noch einer Million Einwohnern hält dagegen die Regierung.

Zehntausende Menschen aus Aleppo und Orten an zwei Verbindungsstraßen zur Türkei sind in den vergangenen Tagen vor den Kämpfen und dem Bombardement an die Grenze geflohen. Dennoch wies Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel zurück. Es gebe keine Belege dafür, dass russische Luftangriffe Zivilisten treffen würden, sagte er. Merkel hatte bei ihrem Besuch in Ankara am Montag gesagt: "Wir sind entsetzt über das, was den Menschen an Leid durch Bombenangriffe vorrangig von russischer Seite entstanden ist."

Auch in anderen Landesteilen setzten Regierungstruppen und russische Kampfjets ihre Angriffe fort. Aus einem von Rebellen gehaltenen Gebiet nahe Homs meldeten Aktivisten allein in der Nacht zum Dienstag 22 Luftangriffe. In der Dunkelheit fliegen fast ausschließlich die besser ausgerüsteten russischen Flugzeuge. Aus Darayya, einem der belagerten Vororte südwestlich von Damaskus, berichten Aktivisten, regimetreue Milizen würden eine Erstürmung des Ortes vorbereiten, der an den Luftwaffenstützpunkt Mezzeh grenzt. In Darayya sind 12 000 Menschen eingeschlossen.

Bei ihrem Vormarsch setzen die russische Luftwaffe und das syrische Regime laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in großem Stil international geächtete Streumunition ein. Die Menschenrechtler dokumentierten, dass seit dem 26. Januar bei mindestens 14 Angriffen diese Waffen abgeworfen oder vom Boden aus verschossen wurden; die tatsächliche Zahl dürfte weit höher liegen. Attackiert wurden damit Ziele in den Gouvernements Aleppo, Damaskus, Idlib, Homs und Hama, alles Schauplätze von Regierungsoffensiven. Allein bei den von HRW dokumentierten Angriffen starben mindestens 37 Zivilisten, unter ihnen neun Kinder und sechs Frauen. Dutzende wurden verletzt.

A general view shows a damaged street with sandbags used as barriers in Aleppo's Saif al-Dawla district

Durch Aleppo, die Großstadt im Norden Syriens, zieht sich die Front: Der Osten wird von Rebellen kontrolliert, der Westen von der Regierung.

(Foto: Hosam Katan/Reuters)

Human Rights Watch hat die Echtheit bestätigt: Die Fotos zeigen 6000 Opfer des Regimes

Streubomben sind auch lange nach den Angriffen eine große Gefahr für Zivilisten, weil viele der enthaltenen Submunitionen nicht explodieren. Sie können aber jederzeit hochgehen, wenn man sie berührt. Ein Medienaktivist aus der belagerten Stadt Talbiseh bei Homs dokumentierte Dutzende solcher nicht detonierter Sprengkörper. Die Rechercheplattform Bellingcat bestätigte, dass sie vom gleichen Typ sind, mit dem russische Flugzeuge auf dem Stützpunkt Hmeymim bestückt werden. Das Verteidigungsministerium in Moskau hat bislang bestritten, derartige Munition einzusetzen. Sowohl Syrien als auch Russland sind jedoch der von 118 Staaten ratifizierten Streumunitionskonvention nicht beigetreten.

Schwere Vorwürfe gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad, aber auch gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und die Nusra-Front, den syrischen Ableger von al-Qaida, erheben die UN auch wegen der "massiven und systematisierten Gewalt einschließlich der Tötung von Gefangenen", wie es in einem Bericht an den UN-Menschenrechtsrat heißt. Gefangene der Regierung würden "zu Tode geschlagen oder starben aufgrund von Verletzungen durch Folter". Die Regierung habe Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begangen, darunter Ausrottung, Mord, Folter, Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt. Seit Beginn des Aufstandes gegen Assad gebe es willkürliche Verhaftungen vor allem von Männern ab 15 Jahren. Zehntausende befänden sich in Haft, Tausende weitere habe man verschwinden lassen. HRW hatte bereits im Dezember nach neunmonatiger Recherche einen Bericht veröffentlich und die Echtheit von Fotos bestätigt, die ein unter dem Codenamen Caesar bekannt gewordener Militärfotograf aus dem Land geschmuggelt hatte. Allein darauf sind mehr als 6000 Getötete zu erkennen

Der bewaffneten Opposition wirft der UN-Bericht vor, Regierungssoldaten nach der Gefangennahme zu töten. Der IS und die Nusra-Front, beide von den UN als Terrororganisationen eingestuft, werden beschuldigt, willkürlich Gefangene zu töten und auch zu foltern. An Verbrechen der Nusra-Front seien etwa im Gouvernement Idlib auch andere Gruppen der bewaffneten Opposition beteiligt gewesen.

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