Terrorismus:Was wirklich gegen Terror hilft

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Der rein militärische Kampf gegen den Terrorismus ist gescheitert. Strategen denken um.

Von Georg Mascolo

In diesem September jährt sich der schlimmste terroristische Anschlag der Weltgeschichte zum 15. Mal, eine zweite solche Katastrophe ist der Menschheit seither erspart geblieben. Aber damit enden die guten Nachrichten auch schon. Die "religiöse Welle", wie Forscher sie getauft haben, rollt mit unbändiger Gewalt.

Nie zuvor hielten Terroristen so viel Territorium besetzt, destabilisierten so viele Staaten, töteten so viele Menschen. Al-Qaida hat sich faktisch gespalten, der sogenannte Islamische Staat (IS) entstand, die beiden Organisationen leisten sich nun einen tödlichen Wettlauf um die terroristische Vorherrschaft. "Die Zone der Instabilität ist in die unmittelbare Nachbarschaft Europas vorgerückt", schrieb der Bundesnachrichtendienst (BND) gerade in einer Analyse für die Bundesregierung.

Der sogenannte Islamische Staat fühlt sich inzwischen stark genug, diejenigen anzugreifen, die ihn angreifen - und schickt seine Killer an einem Freitagabend auf die Straßen von Paris. Zu den sorgsam geplanten Anschlägen kommen die Einzeltäter, Lone Wolfes, die sich im Internet radikalisieren und auf eigene Faust zuschlagen. In Australien verhaftete die Polizei einen 19-jährigen IS-Sympathisanten, der Sprengstoff in den Beutel eines Kängurus packen wollte, um damit Polizisten zu töten. Das Tier wollte er mit dem IS-Symbol bemalen. Fazit des deutschen Geheimdienstes angesichts des grassierenden Irrsinns: Die Lage für die "westliche Staatengemeinschaft" sei "heute ungleich gefährlicher" als 2001.

Obama hat ein Ende der Zurückhaltung signalisiert

In dieser Situation mühen sich Amerika und Europa darum, Chaos und Instabilität zumindest einzudämmen. Das heißt: Luftschläge gegen den IS mit deutscher Beteiligung, amerikanische Spezialeinheiten zurück im Irak, bald womöglich Ausbilder für Libyen, wo der IS gerade Fuß fasst. Es wäre ein weiterer Einsatz der Bundeswehr. US-Präsident Barack Obama hat seinem Militär ein Ende der Zurückhaltung signalisiert, er sei bereit, mehr zu tun. In diesem Jahr sollen die beiden größten vom IS besetzten Städte zurückerobert werden, Mossul im Irak und Raqqa, Hauptstadt des Kalifats, in Syrien. Zu den militärischen Maßnahmen kommt die Diplomatie - und die Hoffnung auf einen Friedensschluss im syrischen Bürgerkrieg.

Und doch wächst die Erkenntnis, dass seit dem 11. September 2001 etwas Großes schiefgegangen sein muss, dass weder der Entschluss zum Krieg (Afghanistan, der Irak oder Libyen), noch die Entscheidung gegen den Krieg (Syrien) Erfolg hatten. Ebenso wenig half die gezielte Tötung islamistischer Ikonen wie Osama bin Laden.

Manche, wie der republikanische US-Präsidentschaftskandidat Ted Cruz setzen gegen den IS weiter auf militärische Macht und empfehlen einen "Bombenteppich". Auch der frühere Mossad-Chef Shabtai Shavit riet gerade, alle juristischen und moralischen Bedenken beiseitezuschieben. Man müsse nun vorgehen, wie die Alliierten im Zweiten Weltkrieg gegen Dresden: "Sie haben es von der Landkarte getilgt."

Längst hat die Suche nach einem Plan B begonnen, einer neuen Strategie, die Bedrohung zu besiegen oder zumindest einzudämmen. An der Diskussion beteiligen sich altgediente Terrorismus-Experten wie der US-Professor Bruce Hoffman, der sich seit fast vierzig Jahren mit dem Thema befasst - ebenso wie sein Kollege Peter Neumann vom renommierten Londoner King's College. Bruce Riedel gehört zu ihnen, ein ehemaliger CIA-Offizier, der bei der Washingtoner Denkfabrik Brookings zu den führenden Köpfen zählt. Die UN sind dabei, und auch vom BND kommen überraschende Vorschläge.

Auf der Suche nach Plan B

Alle eint die Erkenntnis, dass seit 2001 zu viel schiefgelaufen ist, dass eine Überbetonung des Militärischen stattgefunden habe. Riedel sagt, man habe Milliarden für sogenannte Hard Power ausgegeben, das Ergebnis aber sei mau. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der BND, der in einer Analyse die bange Frage stellt: "Lassen sich die Dschihadisten besiegen?" und jetzt einen "Perspektiv-Wechsel" ins Spiel bringt. Der klassische Ansatz sei gescheitert, nach der herrschenden Denkweise hätten Verfolgung, Verhaftung und Tötung zu weniger Terrorismus und weniger Terroristen führen müssen. Tatsächlich aber habe der "gewaltige Ressourceneinsatz" nicht zu einer Reduzierung geführt: "Das Gegenteil ist der Fall."

Die Vordenker versuchen sich deshalb an einem neuen Entwurf. Darin finden sich seit Langem bekannte Elemente, aber auch Neues und Erstaunliches. Hoffman wie der BND vertreten Thesen, die sich in Teilen wie eine Anleitung für einen Politikwechsel des Westens lesen. Hoffman legte im vergangenen Dezember gemeinsam mit Kollegen der konservativen Denkfabrik American Enterprise eine entsprechende Skizze vor: Angesichts der Lage seien Militärschläge und sogenannte Counter-Insurgency-Aktionen richtig, aber langfristig müsse man konsequent Regierungen unterstützen, welche die Interessen ihrer Bevölkerung vertreten und nicht nur die eines Clans, einer Partei oder einer religiösen Gruppe. Good Governance also.

Man müsse "weg von der Aufmerksamkeit für autoritäre Herrscher", sagt der BND

Saudi-Arabien, Ägypten und viele andere Staaten in der Region wären damit keine verlässlichen Bündnispartner mehr. So ähnlich liest es sich in einem Fünf-Punkte-Plan (Untertitel: "Kultur des Friedens - die Anti-Terrorismus-Strategie der UN"), den die Weltgemeinschaft am Heiligen Abend des vergangenen Jahres vorlegte. Er ist mit seinen mehr als 70 Empfehlungen so etwas wie eine Langfassung des geflügelten Wortes von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, wonach Bomben einen Terroristen töten, aber nur gute Politik Terrorismus beseitigt. Das Papier kommt zwischen den Zeilen zu einem schlichten Fazit: Solange die Regime ihren Menschen nichts zu bieten haben, keine Demokratie, keine Bildung, keine wirtschaftliche Teilhabe, so lange dürfe man sich über den Zulauf zu den Dschihadisten nicht wundern.

Erstaunlicherweise schließt sich der BND in seinen Bewertungen dieser Denkweise an, er plädiert für eine Abkehr von der lange verfolgten Strategie, sich zur Bekämpfung von Terroristen die Unterstützung ortsansässiger Diktatoren zu sichern. Man müsse "weg von der Aufmerksamkeit für autoritäre Herrscher hin zur Ertüchtigung und Unterstützung arabischer Bürger".

Einig sind sich die Vor- und Querdenker auch in ihrer Analyse, dass weder ein militärischer Sieg im Irak noch ein Friedensschluss in Syrien das Problem dauerhaft beseitigen werden. Ein Kalifat ohne Land wäre ein großer Erfolg, auch der Tod oder die Verhaftung des selbsternannten Kalifen Abu Bakr el-Bagdadi, übrigens der erste Doktor der Theologie an der Spitze einer Terror-Organisation. Aber all das wäre nicht das Ende der in weiten Teilen der Region und unter vielen westlichen Muslimen heute so attraktiven Ideologie des IS. Soll heißen: Selbst wenn das Kalifat zerstört wäre, würde der Kampf weitergehen - um das Kalifat wieder zu errichten. In Libyen zum Beispiel. Und damit noch ein Stück näher an Europa als heute.

Wie der IS mit den Mitteln Hollywoods entlarvt werden soll

Auch wenn zumindest in Europa die Zahlen leicht zurückgehen, so ist der Zulauf von Rekruten für den IS noch immer hoch. Keine Terrortruppe hatte jemals so viele Freiwillige. Wichtig ist deshalb eine konsequente Bekämpfung der Propaganda im Internet, die heute für die Islamisten nicht weniger wichtig ist als Bomben und Kalaschnikows. Bruce Riedel setzt daher auf eine massive Ausweitung von Soft-Power, auf eine Gegenerzählung, ja Entlarvung des IS. "Wir sind trotz allem immer noch die Hollywood-Nation. Wir wissen, wie man ein Projekt verkauft und einen Feind schlechtmacht."

In den USA ist inzwischen der ehemalige Time-Journalist Richard Stengel mit dem Entwurf von Gegen-Erzählungen beauftragt, er wurde zum Unter-Staatssekretär im US-Außenministerium berufen. Auf einer Berlin-Reise berichtete er gerade von seiner Arbeit und der Suche nach "glaubwürdigen Stimmen" aus der Region, die sich öffentlich gegen die Islamisten stellen sollen.

Auch Pläne, Dschihad-Aussteiger und desillusionierte IS-Rückkehrer über die wahren Zustände im Kalifat berichten zu lassen, gibt es schon lange. Sogar das deutsche Bundesinnenministerium arbeitete einmal an einem solchen Plan. Geschehen ist bisher praktisch nichts. Ebenso wichtig, sagt der Londoner Neumann, sei die konsequente Löschung von terroristischen Inhalten durch die großen Internet-Firmen: "Da muss noch viel mehr geschehen."

Diese auch von vielen Politikern vertretene Forderung scheint inzwischen zu einem Umdenken bei einigen Internet-Konzernen zu führen: Gerade erst kündigte ein Google-Manager bei einer Anhörung im britischen Unterhaus ein Pilotprojekt an. Künftig sollen bei der Suche nach extremistischen Inhalten automatisch Anzeigen für De-Radikalisierungsprogramme auftauchen. Sucht jemand dann mit Schlagworten wie "IS beitreten", taucht eine entsprechende Gegen-Anzeige auf.

In der idealen Islamistenwelt fürchtet der Europäer seinen türkischen Obsthändler

Neumann verweist darauf, dass die in IS-Videos akzentfrei französisch, englisch oder deutsch parlierenden Kämpfer "Produkte unserer Gesellschaft sind". Nun müsse man alles tun, um eine weitere Radikalisierung junger Muslime im Westen zu verhindern.

Der IS und al-Qaida setzen auf genau diese Strategie der Radikalisierung. Anschläge wie in Paris sollen das Misstrauen gegen die 44 Millionen in Europa lebenden Muslime schüren - in der idealen Welt der Islamisten fürchtet sich der Europäer vor seinem türkischen Obsthändler. Die zunehmende Ausgrenzung von im Westen lebenden Muslimen soll sie anfällig für radikale Ideologien machen - es geht also um die Umkehr des Integrations-Gedankens. Der IS nennt das "die Beseitigung der Grauzone". Die UN regen deshalb nationale Präventionspläne an. Das fordert auch der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch. Nicht nur mit Hilfe von Polizisten und Staatsanwälten, sondern auch mit Sozialarbeitern müsse das Phänomen bekämpft werden. Repression werde das Problem nicht lösen.

Erfolg wird dringend benötigt, aber reicht es da, schnell umzudenken? Der BND sagt, ein "Quick-Fix-Maßnahmenkatalog" sei ein "unrealistisches Ziel". Vereinzelte Stimmen fordern deshalb sogar, man müsse mit dem IS verhandeln, das habe man in der Vergangenheit auch mit anderen terroristischen Gruppen getan. Bemerkenswert ist, dass keiner der Experten eine in den Neunzigerjahren bekannt gewordene Strategie befürwortet: Sie trägt den Namen "Lasst sie verrotten!" und wurde zeitweilig erfolgreich von der algerischen Regierung gegenüber der islamistischen Gia-Gruppierung angewandt: Die von ihr besetzten Territorien wurden abgeriegelt, man ließ sie regieren und wartete darauf, dass die örtliche Bevölkerung von der Brutalität und Unfähigkeit der Terroristen genug haben würden, um sich dann mit dem Staat gegen sie zu verbünden.

Eine Aufgabe für Generationen

Ein Bündnis mit sunnitischen Stämmen gilt auch jetzt als Schlüssel zum Sieg über den IS. Aber der Staat des Kalifen ist heute schon zu groß und zu mächtig, als dass man darauf warten wollte, dass er an seinen eigenen Widersprüchen zerbricht. So ruhen alle Hoffnungen zunächst darauf, die terroristische Gefahr zurückzudrängen. Hoffman meint, ein riesiger Erfolg wäre es schon, wenn man den Zustand der Achtzigerjahre wieder erreiche, als islamistische Terrorgruppen wie al-Qaida zwar existierten, aber nicht zu großen Anschlägen in der Lage waren.

Vor allem aber mahnt Hoffman zur Geduld. Die Auseinandersetzung sei eine Aufgabe für Generationen, die Terroristen seien weder Hitler noch die Sowjetunion. Ein Erfolg sei möglich. Nur müssten die Politiker künftig der Versuchung widerstehen, alle paar Jahre die Auseinandersetzung vorzeitig für so gut wie gewonnen zu erklären, so wie 2011, nach dem Tod Bin Ladens. Die Phrase vom Licht am Ende des Tunnels stammt von amerikanischen Generälen und sollte die angeblichen Fortschritte im Vietnam-Krieg anschaulich machen.

Neumann sagt: Wir brauchen viel Geduld. Die religiöse Welle wird noch lange rollen.

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