USA:Trump, Sanders oder Clinton - Amerika rückt nach links

Amerikanische Flaggen

In welche Richtung geht es für die Supermacht USA nach den Wahlen? (Symbolbild, gespiegelt)

(Foto: Robert Haas)

Die Wähler finden: Reichtum im Land sei ungerecht verteilt, der amerikanische Traum kaum noch realisierbar. Das wissen alle Präsidentschaftsbewerber - und handeln danach.

Essay von Claus Hulverscheidt

Sicher, es war nur New Hampshire. Nicht mehr als eine Momentaufnahme in diesem Präsidentschaftswahlkampf, der das Land noch weitere achteinhalb Monate im Griff halten wird. Dutzende andere Vorwahlen werden folgen, sie werden anderen Gesetzen gehorchen und anders ausgehen. Und doch - eine Botschaft aus New Hampshire wird bleiben: Sechs von zehn Menschen, die wählen gingen, stimmten für Kandidaten, die sich nicht zum politischen Mainstream zählen. Sie stimmten für Ted Cruz und Carly Fiorina, vor allem aber für den republikanischen Unternehmer Donald Trump und den demokratischen Sozialisten Bernie Sanders - wahrlich ein Fanal.

Natürlich muss man sich davor hüten, Trumps und Sanders' Anhänger gedanklich zu einer homogenen Protestwählergruppe zu verschmelzen. Trump findet seine Gefolgschaft vor allem auf dem Land, oft sind es trotzige weiße Männer, die Angst vor dem sozialen Abstieg, vor Terroranschlägen und Überfremdung haben. Dagegen entfacht Sanders einen fröhlichen Zorn - insbesondere unter jungen Menschen, die sich fragen, wie sie ihr Studium bezahlen sollen und das Auseinanderdriften der Gesellschaft stoppen können.

Beide Gruppen glauben, um Zukunftsversprechen betrogen zu werden

Im Kern aber ist das Motiv der so unterschiedlichen Gruppen dasselbe. Es ist Wut über den Washingtoner Filz. Es ist Ärger über die scheinbar grenzenlose Macht der Lobbyisten und die Käuflichkeit von Politik. Und es ist vor allem das Gefühl, vom Wirtschaftsaufschwung abgekoppelt und um Zukunftsversprechen betrogen zu werden. Pathetischer könnte man sagen: Der amerikanische Traum, wonach für Rechtschaffene in diesem Land alles möglich ist, ist für diese Menschen zerplatzt.

Dass die politische Rechte im Laufe der Präsidentschaft Barack Obamas erstarken würde, stand immer zu befürchten. Sie hat das erste afroamerikanische Staatsoberhaupt nie als das ihre akzeptiert und sucht nun wild um sich schlagend nach einer konservativen Identifikationsfigur. Dass zugleich aber auch ganz links eine Protestbewegung entstanden ist, erscheint zumindest auf den ersten Blick kaum plausibel.

Das gilt umso mehr, als Obama eine solide wirtschafts- und sozialpolitische Bilanz vorweisen kann. Die Zahl der Beschäftigten ist um etwa 13 Millionen gestiegen, die Arbeitslosenquote von zehn auf 4,9 Prozent gesunken. Er initiierte das größte Konjunkturprogramm der US-Geschichte und die bedeutendste Gesundheitsreform seit Jahrzehnten. Er erzwang die Sanierung der Autoindustrie, setzte der Wall Street Grenzen und schuf Umweltstandards.

Und doch reicht diese Bilanz offensichtlich nicht, um die gesellschaftlichen Zentrifugalkräfte einzudämmen. Warum nicht?

Antworten findet, wer einen Blick unter die glänzende Oberfläche wirft. Beispiel Arbeitsmarkt. So erfreulich der Beschäftigungsrekord für Obama wie für die Betroffenen ist - das Gros der Arbeitnehmer hat nichts davon, weil anders als bei früheren Aufschwüngen die Löhne kaum steigen. Rechnet man die Inflation heraus, liegt die Kaufkraft der US-Haushalte gar auf dem Stand von Ende der 1960er Jahre. Da sich zugleich die Gehaltsschere immer weiter geöffnet hat - 1965 verdiente ein Firmenchef im Schnitt das Zwanzigfache eines Arbeitnehmers, 2015 das 300-Fache - kann es schon rein mathematisch nicht anders sein, als dass viele Beschäftigte mit mittleren und geringen Löhnen heute real weniger verdienen als vor 50 Jahren.

Das Beispiel lässt sich auf fast alle anderen Erfolge Obamas übertragen: Trotz Gesundheitsreform haben noch immer 29 Millionen Amerikaner keine Krankenversicherung. Trotz Finanzreform sind die Banken des Landes größer und mächtiger denn je. Trotz Umweltreform bleiben die USA gemeinsam mit China der Weltklimakiller Nummer eins. Und trotz Bildungsreform sind viele öffentliche Schulen des Landes in einem erbärmlichen Zustand.

Typen wie Trump und Sanders wollen die Welt auf den Kopf stellen

Es ist die Mischung aus schleichendem Verfall, der Zaghaftigkeit des Präsidenten und der Blockade des Kongresses, die die Menschen zermürbt und sie empfänglich macht für die Tiraden des Donald Trump und die Schalmeiengesänge des Bernie Sanders. Beide wollen sich nicht damit begnügen, die guten Dinge ein wenig zu verbessern und die schlechten ein wenig abzumildern - sie wollen die Welt auf den Kopf stellen: Trump, indem er illegale Immigranten aus dem Land wirft und den einfachen Amerikanern damit die vermeintlich lohndrückende Job-Konkurrenz vom Hals schafft, Sanders, indem er den Reichen ans Geld geht und kräftig umverteilt.

Ob es Trump oder Sanders je ins Weiße Haus schaffen wird - niemand weiß das. Doch selbst wenn nicht: Zumindest Sanders kann schon jetzt für sich beanspruchen, dass er das Land verändert und die wirtschaftspolitischen Koordinaten nach links verschoben hat. Noch zu den Zeiten des Präsidenten Bill Clinton wäre ein Kandidat wie er verlacht oder als "Kommunist" angefeindet worden - nicht nur von den Republikanern, sondern auch vom demokratischen Establishment. Nun sind es seine Themen, die den Wahlkampf mit prägen und die anderen Kandidaten dazu zwingen, sich zu positionieren.

An niemandem wird das so deutlich wie an Hillary Clinton. Noch vor Monaten gerierte sich die ehemalige First Lady und Außenministerin als mittig-verlässliches Gegenmodell zum vermeintlich spinnerten Revoluzzer aus Vermont. Seit der Spinner ihr jedoch in den Meinungsumfragen auf die Pelle gerückt ist, hat sich Clinton immer weiter angenähert. Auch sie fordert jetzt, die Banken an die Kette zu legen, Reiche höher zu besteuern, den Mindestlohn kräftig anzuheben und Frauen besser zu bezahlen. Selbst wenn manche Kurskorrektur allein taktisch bedingt sein mag: Eine Präsidentin Clinton würde links von ihrem Amtsvorgänger Obama stehen - und noch weiter links von der Präsidentschaftskandidatin Clinton des Jahres 2008.

Der Linksruck trifft auch die Republikaner

Noch interessanter aber ist: Der Linksruck trifft auch die Republikaner - obwohl es ja die rechten Lautsprecher wie Trump, Cruz und Marco Rubio sind, die in der Debatte den Ton angeben. Doch die Welt der Fernseh-Streitrunden, in der die Kandidaten darum wetteifern, wer der konservativste von ihnen ist, ist das eine. Draußen, bei den Menschen, im echten Wahlkampf, klingt vieles plötzlich ganz anders.

Trump etwa will Familien mit bis zu 50 000 Dollar Jahreseinkommen komplett von der Steuer befreien und die Einnahmeausfälle durch eine Schließung von Steuerschlupflöchern für Konzerne gegenfinanzieren. Cruz und Rubio sind zwar steuerpolitisch noch auf eher alten Pfaden unterwegs, rücken jedoch dafür an anderer Stellen nach links: Rubio geriert sich als Anwalt der Geringverdiener und der Studenten mit ihren kaum noch tragbaren Ausbildungskosten. Cruz hält neuerdings die massenhafte Inhaftierung meist schwarzer Kleinkrimineller für falsch und fordert damit zumindest auf gesellschaftspolitischem Gebiet mehr Liberalismus - auch wenn er mutmaßlich eher um Hillary Clintons Hand anhalten würde als den Begriff auch nur in den Mund zu nehmen.

Widerstand gegen den Linksruck ist offenbar zwecklos

Ob alle republikanischen Kandidaten Überzeugungstäter sind, sei dahingestellt. Sicher ist: Die Umfragen kennen sie. Sechs von zehn US-Bürgern meinen demnach, dass der Reichtum im Land ungerecht verteilt ist und dass die Regierung etwas dagegen tun sollte. Jeder zweite Amerikaner ist dafür, Spitzengehälter staatlich zu deckeln - eine Idee, die aus Sicht altgedienter Republikaner einem Anschlag auf die Freiheit gleichkommt. Doch Widerstand ist zwecklos: Auch mehr als jeder dritte konservative Wähler will Veränderungen.

Die geltende republikanische "Trickle-down"-Doktrin jedenfalls, wonach Steuererleichterungen für Gut- und Spitzenverdiener zu mehr Wohlstand führen, der dann bis in die Mitte und nach ganz unten durchrieselt - sie reicht im Amerika des 21. Jahrhunderts nicht mehr. Gar nichts rieselt da, wie die Lohn- und Gehaltsentwicklung der gewöhnlichen Bürger in den vergangenen drei Jahrzehnten gezeigt hat. Die Architekten jener Zeit, von Ronald Reagan bis George W. Bush, sie haben mit ihrer Steuerpolitik die Stahlbetondecke zwischen dem Penthouse und den darunter liegenden Stockwerken der amerikanischen Gesellschaft nicht durchlässiger gemacht, sondern noch weiter abgedichtet.

Auch der nächste republikanische Präsident wird deshalb weiter links stehen müssen - sicher nicht gemessen an Obama, wohl aber an Reagan sowie Vater und Sohn Bush, den drei letzten Amtsinhabern aus den eigenen Reihen. Dieser Prozess ist längst im Gang: Allem öffentlichen Getöse zum Trotz, hat beispielsweise keiner der konservativen Bewerber ernsthaft vor, Obamas so verhasste Gesundheitsreform komplett zu beseitigen. Gewiss, es gäbe Änderungen, je nachdem, wer die Wahl gewinnt, auch erhebliche. Aber eine plumpe Abschaffung, eine Rückkehr zum Zustand von 2010, als mehr als 40 Millionen Amerikaner ohne Krankenversicherung dastanden, ist nicht mehr vorstellbar.

Von links nach rechts ist es wie immer nicht weit

Hinter dem amerikanischen Traum verbirgt sich die Idee, dass es in diesem Land jeder, der wirklich will, nach oben schaffen kann. Erfolg, gerade auch wirtschaftlicher, ist demnach eine Frage der Tatkraft, des Fleißes und des Wagemuts. Man muss sich diese Idee stets vor Augen halten, wenn man begreifen will, warum sich die Amerikaner manch sozialpolitische Debatte leisten, die aus europäischer Sicht hinterwäldlerisch anmutet: Wo Erfolg allein vom Willen abhängt, erscheint umfassender sozialer Schutz - eine staatliche Krankenversicherung etwa - nicht nur überflüssig, sondern sogar systemwidrig.

Doch der Mythos ist zerstoben, der Traum ausgeträumt. Wer ihn in der neuen Welt des 21. Jahrhunderts wiederbeleben will, muss alte Wege verlassen und neue beschreiten. Viele Amerikaner wissen das, und das ist der Grund dafür, dass sie der alten politischen Garde die kalte Schulter zeigen und sich mehr oder weniger vertrauenswürdigen Kandidaten zuwenden, die ein Ende des Trotts versprechen.

Von ganz links nach ganz rechts - und umgekehrt - ist es dabei wie immer nicht weit. Die politische Linke, gerade in Europa, bestreitet das gerne, doch die Amerikaner sind da pragmatisch: "Ich will Trump", hat dieser Tage eine Mittdreißigerin aus New Hampshire der Washington Post erzählt. "Aber wenn ich Trump nicht bekommen kann, dann hätte ich gerne Sanders."

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