Wissenschaftlicher Dienst:Verlierer auf allen Seiten

Gutachter sehen in Ausnahmen vom Mindestlohn für Flüchtlinge eine Gefahr für den sozialen Frieden.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags sehen den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland gefährdet, wenn die Bundesregierung Flüchtlinge generell vom Mindestlohn ausschließt. Dies wäre dazu geeignet, "den sozialen Frieden zu gefährden und ausländerfeindlichen Tendenzen in der Gesellschaft Vorschub zu leisten", heißt es in einem Gutachten des unabhängigen Bundestags-Fachbereichs, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Gleichzeitig äußern die Autoren der Dienste, die die politische Arbeit der Abgeordneten durch Fachinformationen und Stellungnahmen unterstützen sollen, erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Für Brigitte Pothmer, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, ist deshalb klar: "Die CDU kann ihre Idee, Flüchtlinge für sechs Monate vom Mindestlohn auszuschließen, gleich wieder einmotten." Die Arbeitgeberverbände hatten sogar eine Ausnahme für zwölf Monate gefordert.

Das Bundesverfassungsgericht sagt, abgeleitet vom allgemeinen Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz, klipp und klar: Der Staat darf nicht einen bestimmten Personenkreis von einer Vergünstigung ausschließen, der einer anderen Gruppe gewährt wird - es sei denn, es gibt gute Gründe für eine angemessene Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem. Der Gesetzgeber hat also einerseits große Gestaltungsspielräume, muss aber genau abwägen. Nun wird in dem Gutachten eingeräumt, dass die gesetzliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro die Stunde für viele Flüchtlinge "eine hohe Hürde beim Einstieg in den Arbeitsmarkt" sei. Trotzdem kommen die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags zum Schluss: "Insgesamt dürfte (...) eine pauschale Mindestlohnausnahme unabhängig von der vorgesehenen Dauer nicht als angemessen im Sinne der verfassungsrechtlichen Interessenabwägung zu betrachten sein."

Dafür nennen sie gleich mehrere Gründe: Erstens wären die Interessen von allen bereits hier lebenden Arbeitnehmern berührt. Für sie bedeute eine Ausnahme vom Mindestlohn für Flüchtlinge "einen Wettbewerbsnachteil, da sie befürchten müssen, dass Arbeitgeber bei gleicher Qualifikation einen für sie günstigeren Arbeitnehmer mit Fluchthintergrund bevorzugt einstellen". Dies würde den Arbeitsmarkt "insgesamt verzerren und damit die Arbeitsmarktgerechtigkeit bedrohen".

Zweitens würde eine - in dem Fall - Bevorzugung von Flüchtlingen "letztlich Risiken für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bergen". Damit wäre "einer sozialen Integration der bevorzugten Gruppe (...) nicht gedient. Die Entstehung unerwünschter Parallelgesellschaften könnte die Folge sein", warnen die Experten. Drittens sei die Gruppe der Flüchtlinge viel zu unterschiedlich. Es gebe unter ihnen auch solche mit hoher Qualifikation. Diese benötigten Ausnahmen vom Mindestlohn gar nicht und wären dadurch "unangemessen benachteiligt". Viertens gebe es genug andere Förderprogramme, um Flüchtlingen den Sprung auf den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Und die seien "bei gleicher Eignung weniger belastend".

Es gibt aber bereits Sonderregeln beim Mindestlohn, etwa für Langzeitarbeitslose. Arbeitgeber dürfen ihnen bei einer Einstellung die ersten sechs Monate weniger als die 8,50 Euro zahlen. Diese Regelung wird nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit jedoch kaum genutzt. Ausnahmen vom Mindestlohn sind für die Grünen-Abgeordnete Pothmer daher "Scheinlösungen", die auch Flüchtlinge am Arbeitsmarkt "keinen Millimeter weiterbringen".

Jetzt dennoch für sie Löhne unterhalb der 8,50 Euro zu fordern, bereite nur "den Nährboden für Ressentiments. Flüchtlinge werden so dem Vorwurf ausgesetzt, mit Dumpinglöhnen die Arbeitsmarktchancen einheimischer Arbeitsloser zu schmälern. Es stehen genügend Populisten bereit, die das für ihre Zwecke nutzen würden", sagt Pothmer.

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