Zum Tod von Dario Fo:Dario Fo, ein Flegel, ein Nobelpreisträger

Dario Fo, 1996

Literaturnobelpreisträger Dario Fo, noch ohne Literaturnobelpreis: Archivfoto aus dem Jahr 1996 - ein Jahr vor der großen Ehrung in Oslo.

(Foto: DPA)

Als der "italienische Politclown" den Literaturnobelpreis erhielt, war die Überraschung groß. Aber auch die Freude. Nun ist Dario Fo im Alter von 90 Jahren gestorben.

Nachruf von Bernd Graff

1997 war ein merkwürdiges Jahr für die Verleihung der Nobelpreise - und für Dario Fo. Einerseits wurde bejubelt, dass der Friedenspreis an die Internationale Kampagne zum Verbot von Landminen ging - vergeben von eben jener Nobel-Akademie, die der Dynamiterfinder Alfred Nobel 1896 in seinem Testament gestiftet hatte. Dann fragte man sich, warum der Chemiepreis für Paul Boyer dessen Lebenswerk auszeichnet und der Mitausgezeichnete Jens Skou für eine Entdeckung aus dem Jahr 1957 geehrt wurde, obwohl Nobels letzter Wille zur jährlichen Bestandsaufnahme der Forschung zwingt. Die Zeitung Svenska Dagbladet wunderte sich auch darüber, wie die ausgezeichnete Physikforschung der Menschheit nutzen könne: "Wofür soll es gut sein, wenn Atomuhren, die heute eine millionstel Sekunde pro Jahr falsch gehen können, genauer werden?" Doch über keinen Nobelpreis in diesem Jahr wunderte man sich so wie über den für Dario Fo.

Fo galt als volksnaher italienischer Dramatiker.

Ausgerechnet er, der die Theaterform der "piccoli teatri" hochhielt, mit der dem Publikum improvisierte Einpersonenstücke oder "verstecktes Theater" präsentiert werden. Gespielt wird an alltäglichen Orten (Supermarkt, Bushaltestelle, Fußgängerzone, usw.), um den künstlichen Rahmen des Theaters zu sprengen und die Stücke in die Realität zurückzubringen, aus der sie stammen. Ausgerechnet dieser Mann erhielt 1997 den Nobelpreis für Literatur.

Welch ein Irrtum! Welch ein Spaß! Entsprechend reagierten die schwedischen Zeitungen mit Titeln wie "Raus aus dem Elfenbeinturm" und "Endlich macht der Nobelpreis Spaß." Die Süddeutsche Zeitung schrieb damals: "Als die Nachricht, Dario Fo erhalte den diesjährigen Nobelpreis für Literatur, die Redaktion erreichte, war die Verwunderung groß. Die Überraschung löste sich schnell auf in fröhlichem Gelächter." Denn ausgezeichnet wurde ein "italienischer Politclown, ein nicht nur in seiner Heimat populärer, radikal engagierter Volksschauspieler." Ja, schon, aber eben auch einer, der kaum geschrieben hat, vor allem als politische Person bekannt und bereits 71 Jahre alt war (was allerdings für die Akademie noch nie ein Kriterium gewesen ist).

Urheber brisanter Farcen

Dario Fo wurde am 24. März 1926 in Sangiano bei Varese als Sohn des Bahnhofsvorstehers, Amateurschauspielers und Sozialisten Felice Fo und dessen Frau Pina Rota geboren. Die Familie musste infolge der Versetzungen des Vaters häufig umziehen. Fos Großvater, ein Gemüsehändler, war ein bekannter "Fabulatore", also ein Geschichtenerzähler, der Dario und seine Geschwister Fulvio und Bianca früh mit dem Volkstheater und der Erzähltradition vertraut machte. Da seine Familie im antifaschistischen Widerstand aktiv war, half er von 1940 an seinem Vater, Flüchtlinge und Deserteure in die Schweiz zu schmuggeln. Einer Rekrutierung durch die faschistische Armee von Salò konnte er sich zwar erst nicht entziehen, versteckte sich jedoch später bis zum Kriegsende. Danach setzte er sein Studium der Kunst und Architektur am Polytechnikum in Mailand fort, ohne es jemals abzuschließen. Denn Fo begeisterte sich mehr für die Theater- und Filmarbeit.

Seine spätere Frau, die aus einer Schauspielerfamilie stammende Franca Rame, traf er im Jahr 1951 bei der gemeinsamen Erarbeitung einer Revue. Mit ihr wurde er zu dem äußerst produktiven, auf der ganzen Welt erfolgreichen Urheber brisanter, bei aller Sozialkritik oftmals himmelschreiend komischer Farcen, die er meist gemeinsam mit Franca Rame verfasste. 1951 wurde Fo angeboten, eine Sendung für das öffentlich-rechtliche Radio Rai zu moderieren. Er verfasste hier 18 satirische Monologe, in denen er biblische Themen politisch interpretierte. Offenbar zu politisch - empörte Vorgesetzte setzten die Show ab. Ähnlich erging es ihm mit seinen Theaterstücken. Die waren Publikumserfolge, wurden jedoch oft nach Interventionen der Kirche zensiert.

Vom Hofnarren zum fahrenden Sänger

1959 gründeten Fo und Rame eine eigene Theatergesellschaft, "La compagnia Dario Fo - Franca Rame", bei der beide gemeinsam für Text, Regie, Inszenierung, Produktion und Aufführung verantwortlich waren. Die Stücke wurden im Mailänder Piccolo-Theater uraufgeführt und danach auf Tourneen durch ganz Italien gezeigt.

Den internationalen Durchbruch schaffte Fo 1960 mit der grotesken Volkskomödie "Gli arcangeli non giocano a flipper" ("Erzengel spielen nicht am Flipper"). 1962 übernahm er die Moderation der Fernsehsendung Canzonissima, die zwei Jahre später abgesetzt wurde. Fo bekam dann Auftrittsverbot im italienischen Fernsehen und klagte dagegen in einem spektakulären Prozess, der 1974 in letzter Instanz gegen ihn entschieden wurde. 1968 wandelte sich Fo eigenen Worten zufolge vom "Hofnarren der Bourgeoisie" zum "fahrenden Sänger des Volkes". Er gründete 1968 und leitete bis 1970 die der Kommunistischen Partei Italiens nahestehende Theatergruppe "La Nuova Scena", mit der er in Vorstädten, Fabriken und Gefängnissen gastierte.

Mehrfach auf offener Bühne verhaftet

Nach der Spaltung der Gruppe rief Fo mit seiner Frau in Mailand das Theaterkollektiv "La Comune" ins Leben, mit dem er gesellschaftskritische Stücke auf die Bühne brachte. Auf dieses "Theater der großen Provokation" reagierte der Staat immer wieder mit juristischen Sanktionen und zahlreichen Prozessen. Mehrmals wurde Fo auf offener Bühne verhaftet. 1977 protestierte Papst Paul VI. nach einer Fernsehsendung von Fo bei der italienischen Regierung und drohte, der Vatikan werde der "Schändung der religiösen Gefühle der Italiener nicht schweigend zusehen". 1980 und 1983 verweigerte man Fo und seiner Frau die Einreise in die USA zu einer Tournee und verwies auf deren Mitgliedschaft in der Gefangenenhilfsorganisation "Soccorso Rosso".

Dario Fo und Franca Rame, man kann nie nur ihn nennen, verstanden ihre Theaterstücke als Ermunterungen für den Augenblick, weniger als Beitrag zur Literaturgeschichte. "Wir sind Flegel. Wir sind überzeugt, dass im Gelächter, im Grotesken der Satire, der höchste Ausdruck des Zweifels liegt, die wichtigste Hilfe der Vernunft." Die Stockholmer Akademie verlieh ihm also deswegen den Nobelpreis, weil er, so die Begründung, "in der Nachfolge der mittelalterlichen Gaukler der Commedia dell'arte die Macht geißelt und die Würde der Schwachen und Gedemütigten wieder aufrichtet." Seine Stücke, die in mehr als 30 Sprachen übertragen und in 60 Ländern aufgeführt wurden, waren an deutschen Bühnen erfolgreich, auch wenn nach Kritikermeinung jeder Biss in seinen Politpossen fehlte und meist nur die pure Spaßmacherei übrigblieb.

"Dario Froh macht alle Fo" hatte Alexeij Sagerer mal auf den italienischen Theater-Allrounder gereimt, dessen wesentliches Anliegen es war, mit seinen anarchistischen und poetischen Dramoletten, Sketchen, Kabarett-Pantomime-Nummern ungehorsam, derb und provokant zu sein, aber immer getragen von einer unstillbaren Sehnsucht nach dem geglückten Leben.

Franca Rame verstarb 2013. Jetzt ist auch ihr Ehemann Dario Fo, der überraschendste Nobelpreisträger, den es je gab, im Alter von 90 Jahren gestorben. Bekannt wird dies am Tag der Nobelpreisverleihung. Eine Überraschung, aber keine heitere.

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