Fotografie:Lichtspiel

Der Schweizer Magnum-Fotograf René Burri feiert in seinen Bildern die Bewegung - "Mouvement" heißt denn auch sein zweibändiges Buch-Projekt, das nun postum erschienen ist.

Von Hannes Vollmuth

René Burri war immer unterwegs. Er besaß 16 Pässe und hat in seinem Fotografenleben Presseausweise und Tickets im Gewicht von fünf Kilogramm angehäuft. Wer bei seiner Agentur Magnum nach ihm fragte, erhielt im Zweifel die Antwort "en avion", im Flugzeug. Sein letztes Buchprojekt, an dem er kurz vor seinem Tod 2014 noch saß, heißt jetzt auch noch "Mouvement", Bewegung - eine Pointe, die Burri wohl gefallen hätte.

"Mouvement" besteht aus zwei Bänden: Der eine Band zeigt Aufnahmen in Schwarz-Weiß, der andere Farbbilder. Auch im stilistisch ernsteren Schwarz-Weiß-Band drängt alles nach vorne, ist gespannt von menschlicher Energie und einem Glauben an die Zukunft. "Rio de Janeiro, Brasilien 1960" heißt ein Bild, eines der vollkommensten: Zwei Frauen durchqueren in anmutiger Geschäftigkeit ein Foyer, sind ganz bei sich, während die schrägstehende Sonne den Boden zerteilt, ein geometrisches Lichtspiel. Zwei Meter entfernt drei Männer im Anzug. Sie stehen nur da und schauen, verträumt, jungenhaft, verführt von dem Moment, der da vorüberzieht.

Henri Cartier-Bresson, Burris Lehrer und Kollege bei Magnum, fotografierte wie ein Jäger, der die Wirklichkeit absuchte nach dem einen entscheidenden Moment. Burri, geboren 1933 in Zürich, war anders. Für sein berühmtestes Bild, das den Revolutionshelden Che Guevara mit einer Havanna-Zigarre im Mund zeigt, benötigte er mehrere Stunden. Er war eben zurückhaltend, fast schüchtern. Viele seiner Motive hat Burri deshalb auch mit langen Brennweiten herangeholt und sie erst so in formstrenge Kompositionen verwandelt. René Burri, der sein Handwerk an der Kunstgewerbeschule in Zürich gelernt hat, war Schüler von Hans Finsler, Produktfotograf und Vertreter der neuen Sachlichkeit. Finsler wollte Bilder von großer Klarheit, prägnante Motive.

Diese Ästhetik hat Burri geprägt, aber seine Farbfotografien sind mehr noch als das, hell und leicht, flirrend vor Bewegung, fast synästhetisch. Fahrräder quietschen, Autos donnern, Flugzeuge gleiten, Ampeln blinken, Menschen heben den Arm, Zeige- und Mittelfinger zum Victory-Zeichen gespreizt. Einige Fotografien sind sogar unscharf, halb absichtsvoll, halb dem Aufnahmemoment geschuldet. Als wollte René Burri von einer Welt erzählen, die Pausen gar nicht braucht.

René Burri: Mouvement. Diogenes Verlag / Steidl Verlag 2015. 308 Seiten, 75 Euro.

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