Euro-Rettung:Klage vor dem Verfassungsgericht: Wie viel Macht hat die EZB?

Views Of Frankfurt's Financial District As German Economy Boosted By Domestic Demand

Seit November 2014 residiert die EZB im gläsernen Neubau.

(Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)

War das Anleiheprogramm der Europäischen Zentralbank rechtens? Der EuGH sagt ja. Für die Kläger ist die EZB dagegen ein "Finanzdiktator".

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Das Bundesverfassungsgericht ist nicht der Bundestag, aber bisweilen gehört auch in Karlsruhe eine griffige Rhetorik zum Arsenal der Beteiligten. Um also der Anhörung zur Europäischen Zentralbank (EZB), die aus Klägersicht mit ihrer Ankündigung zum Staatsanleihenkauf vom Sommer 2012 ihre Befugnisse überschritten hat, die nötige Dramatik zu verleihen, sprach der Freiburger Rechtsprofessor Dietrich Murswiek, Bevollmächtigter des Klägers Peter Gauweiler, von einem "Endspiel". Christoph Degenhart (Leipzig), juristischer Vertreter der Kläger von "Mehr Demokratie", bemühte dagegen das Bild von der "Zauberformel", mit der sich die EZB rechtswidrig die Wirtschaftspolitik angeeignet habe. Markus Kerber, Vertreter einer weiteren Klägergruppe, setzte noch eins drauf: Die EZB sei ein "souveräner Finanzdiktator".

Tatsächlich war die Verhandlung der vorletzte Akt eines ungewöhnlichen Verfahrens; das Urteil wird in einigen Monaten gesprochen. Nach den Klagen gegen die nie umgesetzte Ankündigung des EZB-Chefs Mario Draghi, Staatsanleihen in notfalls unbegrenzter Höhe zu kaufen - dem sogenannten OMT-Programm - hatte der Zweite Senat das Verfahren im Januar 2014 dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. In diesem Beschluss hatte der Senat des Bundesverfassungsgerichts seine Ansicht sehr deutlich gemacht, wonach die EZB mit dem OMT-Programm ihr währungspolitisches Mandat überschritten habe. Der EuGH war den selbstbewussten Karlsruher Richtern zwar in einigen Punkten entgegengekommen, doch in der Kernfrage war das EU-Gericht anderer Meinung: Die EZB habe erlaubterweise Geldpolitik betrieben - daran änderten die mittelbaren wirtschaftlichen Folgen ihres Tuns nichts.

Am späten Dienstagnachmittag wurde aus den Fragen der Karlsruher Richter deutlich, dass ihre Skepsis in diesem Punkt nicht gewichen ist. Verfassungsrichter Peter Müller erinnerte daran, dass die als unabhängige Institution konzipierte EZB demokratisch nun mal kaum legitimiert sei. Müsse da nicht, so fragte Müller, besonders streng auf die strikte Einhaltung des währungspolitischen Mandats geachtet werden? Auch Präsident Andreas Voßkuhle bekräftigte, der Preis dieser Unabhängigkeit sei eine klare Eingrenzung der EZB-Zuständigkeiten. Und Peter Huber, zuständiger Berichterstatter in dem Verfahren, bekannte, dass er ein gewisses "Störgefühl" bei der Vorstellung habe, der EZB die Freiheit zu überlassen, zur Durchsetzung der Preisstabilität freihändig in die Wirtschaftspolitik überzugreifen.

Die wirklich schwierige Frage ist freilich: Wenn Karlsruhe beim Thema Währungspolitik der EZB anderer Meinung ist als der EuGH - was folgt daraus? Eine direkte Konfrontation mit dem EuGH wäre theoretisch möglich, gilt als eher unwahrscheinlich. Denkbar ist stattdessen, dass das Gericht die Klagen zwar abweist, aber in der Urteilsbegründung versucht, zumindest die deutschen Organe - Bundesregierung, Bundestag, Bundesbank - dazu anzuhalten, auf die geldpolitische Sauberkeit der EZB hinzuwirken.

Wie weit reicht eigentlich die Klagebefugnis jedes einzelnen EU-Bürgers?

Darauf deutet auch der Umstand hin, dass das Gericht bei der zweiten Frage des Verfahrens - beim Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung - mit dem EuGH-Urteil durchaus zufrieden zu sein scheint. Denn das Verfassungsgericht hatte in seinem Beschluss gewisse Vorgaben formuliert, unter denen Staatsanleihenkäufe am Sekundärmarkt zulässig seien. Der EuGH hat dies in seinem Urteil aufgegriffen und damit Leitplanken für das OMT-Programm formuliert; er ging unter anderem von einer faktischen Obergrenze aus, trotz Draghis Ankündigung, notfalls unbegrenzt zu kaufen. Aus den Fragen der Karlsruher Richter war herauszuhören, dass sie den EuGH hier für verbindlich halten.

In der Anhörung wurde aber auch deutlich, dass der Senat einige grundsätzliche Fragen im Blick hat, die für künftige Verfahren im EU-Kontext eine Rolle spielen werden. Etwa: Wie weit reicht die Klagebefugnis des Bürgers? Möglich, dass Karlsruhe von seiner bisherigen Großzügigkeit abrückt. Voßkuhle sagte jedenfalls, eine gewisse Eingrenzung sei nötig, sonst könne jeder gegen Kompetenzüberschreitungen von EU-Organen klagen.

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