US-Geheimdienst:NSA forschte Merkel umfassender aus als bislang bekannt

NSA forschte jahrzehntelang das Kanzleramt aus

Das Kanzleramt in Berlin: Eine neue Wikileaks-Veröffentlichung liefert weitere Belege für die Überwachung Angela Merkels durch die NSA.

(Foto: dpa)
  • Neue Wikileaks-Enthüllungen liefern weitere Belege für die umfassende Überwachung des Kanzleramts durch den US-Geheimdienst NSA.
  • Vermerkt sind unter anderem Gespräche, die Angela Merkel mit europäischen Staatschefs und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen führte.
  • In einem Fall griff die NSA offenbar ihre Informationen über Silvio Berlusconis außenpolitischen Berater ab.

Von John Goetz und Antonius Kempmann

Der US-Geheimdienst NSA hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel offenbar in größerem Umfang ausgeforscht als bislang bekannt. Das zeigen Dokumente der Enthüllungsplattform Wikileaks, welche die Süddeutsche Zeitung, der NDR und der WDR vorab einsehen konnten. Darunter sind detaillierte Vermerke von Gesprächen, die Merkel mit europäischen Staatschefs und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen führte.

Ein NSA-Bericht enthält Details eines Treffens zwischen Merkel und dem französischen Präsidenten Nikolas Sarkozy sowie dem italienischen Premierminister Silvio Berlusconi im Jahre 2011. Merkel und Sarkozy hätten bei einem Treffen Druck auf Berlusconi ausgeübt, Maßnahmen zur Reduzierung der Staatsverschuldung und zur Stärkung des Bankensektors zu ergreifen, heißt es. Sie hätten keine Ausreden zur gegenwärtigen Lage Italiens akzeptiert und Berlusconi gedrängt, mit konkreten Maßnahmen zu zeigen, dass seine Regierung das Schuldenproblem seines Landes ernst nehme.

Weitere Belege für eine engmaschige Überwachung Merkels

Der Bericht zitiert Berlusconis außenpolitischen Berater Valentino Valentini, das Treffen sei "angespannt" und "sehr unfreundlich" gewesen. Offenbar griff die NSA über ihn die Informationen ab. Eine Liste von Selektoren, die Wikileaks ebenfalls veröffentlichte, lässt darauf schließen, dass weitere italienische Beamte wie etwa der Botschafter bei der Nato oder der Berater für nationale Sicherheit ebenfalls angezapft wurden.

Auch hörte die NSA offenbar ein Gespräch zwischen Angela Merkel und dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ab. Laut dem NSA-Vermerk über die Unterhaltung habe Ban Merkel mitgeteilt, dass die Weltöffentlichkeit weiterhin die EU in der Führungsrolle bei der Bekämpfung des Klimawandels sehen wolle. Ohne ein starkes EU-Engagement in der Sache sei es für die Vereinten Nationen schwierig, sich bei dem Klimagipfel in Poznan Ende 2008 auf konkrete Ziele festzulegen.

Ban lobte Merkel außerdem für ihre persönlichen Anstrengungen in der Klimafrage und ihre Überzeugungsarbeit bei ihren EU-Kollegen. Merkel wiederum zeigte sich optimistisch, dass ein kommender EU-Gipfel trotz der schwierigen Frage des Emissionshandels Fortschritte bringen werde. Aus dem Bericht ist nicht ersichtlich, auf welchem Wege die NSA an die Gesprächsinhalte gelangte. Eine von Wikileaks zeitgleich veröffentlichte Liste von Selektoren listet jedoch auch weitere UN-Stellen als Abhörziele auf, etwa den Repräsentanten des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge in Zentralasien, Bernard Doyle.

Zusätzlich zu den Merkel-Berichten enthält die aktuelle Wikileaks-Veröffentlichung vornehmlich Vermerke zu Japan und Italien. Ein NSA-Papier berichtet über ein Gespräch zwischen dem italienischen Premierminister Silvio Berlusconi und seinem israelischen Amtskollegen Benjamin Netanjahu aus dem Jahre 2010. Berlusconi habe demnach versprochen, Italiens Einfluss dahingehend geltend zu machen, dass Israel seine strapazierten Beziehungen mit den USA reparieren könne.

Netanjahu wird zitiert, dass der Bau von 1600 Häusern in Ostjerusalem - der Auslöser der Verstimmungen - schon seit Jahrzehnten geplant sei. Lediglich die falsche Handhabung des Themas durch einen Regierungsbeamten habe hier zu einem Problem geführt. Abgegriffen wurde der Inhalt des Gesprächs offenbar aus Berichten italienischer Diplomaten. Die Berichte zu Japan drehen sich um japanische Außen- und Handelspolitik. Hierzu hörte die NSA offenbar japanische Diplomaten während der Vorbereitung internationaler Konferenzen wie etwa des G-8-Gipfels ab.

Die aktuelle Wikileaks-Veröffentlichung liefert weitere Belege für eine engmaschige Überwachung Merkels durch die NSA. Seit Oktober 2013 ist publik, dass die NSA Merkels privates Handy abhörte. Im vergangenen Juli berichtete die SZ mit Verweis auf Wikileaks-Dokumente, dass die NSA die deutsche Bundesregierung jahrelang systematisch ausgespäht habe. Besonders zahlreich fanden sich Telefon- und Faxanschlüsse von Kanzleramtsmitarbeitern auf den Selektorenlisten der NSA, darunter auch Handynummern. Die Namen der dort genannten Mitarbeiter legen nahe, dass die Überwachung des Kanzleramts mindestens bis in die Ära Kohl zurückreicht.

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