Fremdenhass in Sachsen:Stanislaw Tillich hat ein defektes Verständnis von Demokratie

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Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich reagiert seltsam auf die Vorfälle in seinem Bundesland. (Foto: dpa)

Weil Deutschland von Sachsen und der Schande spricht, muss der Landeschef tun, was er ungern tut: Position beziehen. Dabei bedient er sich ausgerechnet derselben Sprache wie Rassisten.

Kommentar von Ulrike Nimz

"Mit Tillich brennt in Sachsen nichts an". Im Jahr 2014 stand dieser Satz auf einer Grillzange, die die CDU vor Ort als Werbegeschenk zur Landtagswahl reichte. Wer gemein sein will, könnte sagen: Wahlversprechen gebrochen. Der Ministerpräsident hat nicht verhindern können, dass Dachstühle brennen, zuletzt der einer Flüchtlingsunterkunft in Bautzen. Natürlich waren 2014 vorrangig Bautzener Senf und Bratwürste gemeint, aber auch etwas anderes, eine hölzerne Botschaft an den Griller und Wähler: bei Bewährtem bleiben.

Was Tillich sagte, war mindestens so aufschlussreich wie das, was er nicht sagte

Stanislaw Tillich war nie einer, der als Erster aufsteht. Eher einer, der sitzen bleibt. Seit 2008 im Amt, ist er der dienstälteste Ministerpräsident. Nun aber, da ganz Deutschland von Sachsen und der Schande spricht, muss er sich bewegen. Mehreren TV-Stationen sollte er am Montag die Frage beantworten: Warum Sachsen? Dabei war das, was er sagte, mindestens so aufschlussreich wie das, was er nicht sagte. So wünschte sich Tillich im ZDF-Interview mehr Ausgewogenheit in der Debatte. Man habe so eine Unsachlichkeit schon einmal erlebt - bei den Protesten um Stuttgart 21. Brandstifter und Baumschützer, Bautzen und Bauzaun. Man setzt gern gleich in Sachsen - auch links und rechts.

Noch bis 2014 mussten zivilgesellschaftliche Initiativen wie "Bautzen bleibt bunt" die Extremismusklausel unterschreiben. Eine Spezialität des Freistaates, die auch dazu führte, dass selbst Holocaust-Überlebende sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen mussten, wenn sie als Referenten gegen rechts auftreten wollten. Tillich selbst hat der Zivilgesellschaft bei ihrem mehr als ein Jahr währenden Kampf gegen Pegida genau einmal zur Seite gestanden: Im Januar 2015, als die Stadt Dresden zu einem Fest im Zeichen von Weltoffenheit und Toleranz aufgerufen hatte. Zu der Veranstaltung waren auch Pegida-Teilnehmer eingeladen. Es war die Zeit, als Sigmar Gabriel noch in Lederjacke in der Landeszentrale für politische Bildung saß, um mit jenen zu reden, die er später als "Pack" bezeichnete.

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Dass er mehr Zivilcourage fordert, muss den Bürgern wie Hohn erscheinen

Tillich schaffte damals das Kunststück, auf einer Bühne zu stehen, die Frauenkirche im Rücken, und nicht einmal das Wort Pegida in den Mund zu nehmen. Dafür sagte er zwei Wochen später den Satz: "Der Islam gehört nicht zu Sachsen." Dass jetzt der Mann, der als Sorbe selbst Teil einer Minderheit ist, die immer wieder Übergriffe durch Neonazis erlebt, von den sächsischen Bürgern mehr Zivilcourage fordert - zumindest denen, die sich jahrelang in ihrem Engagement behindert fühlten, muss es wie Hohn erscheinen.

Seit dem Pogrom von Hoyerswerda 1991 sei in Sachsen einiges gegen Rechtsextremismus getan worden. Auch das sagte Tillich den Öffentlich-Rechtlichen, und es stimmt. Mit dem Operativen Abwehrzentrum ist 2012 eine Einheit gebildet worden, die explizit bei extremistischen Straftaten ermittelt. Dessen Leiter, Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz, sprach Anfang Februar in einem Interview von einer "Pogromstimmung". Man muss also gar nicht zuschauen, wie ein Handyvideo im Netz tausendfach geteilt wird, um zu merken, dass in Sachsen etwas aus dem Ruder läuft. Man muss nur seinen Leuten zuhören.

Tillich spricht denen das Menschsein ab, die es anderen absprechen

Und der Mob von Clausnitz? "Das sind keine Menschen, die das tun", lautete Tillichs erste Reaktion. Auf der Suche nach einem deutlichem Statement bediente er sich ausgerechnet jener Rhetorik, die auch Rassisten nicht fremd ist. Im Ergebnis ist dort ein Ministerpräsident, der denen das Menschsein abspricht, die anderen das Menschsein absprechen. Das ist Dialektik, die von einem defekten Demokratieverständnis zeugt. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt auch für Menschen, die sich falsch verhalten. Stanislaw Tillich sollte das wissen.

© SZ vom 24.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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